Expertenmacht und demokratische Kontrolle

von Gerd-Matthias Hoeffchen

Gerd-Matthias Hoeffchen

Wie gefährlich ist TTIP? Das geplante transatlantische Handels- und Investitionsabkommen spaltet die Gemüter. Auf der einen Seite hört man Befürchtungen. Von Chlorhühnchen ist die Rede, genmanipulierten Lebensmitteln. US-amerikanische Konzerne könnten europäische Staaten verklagen, wenn deren Gesetze ihnen nicht passten. Auf der anderen Seite beteuert die EU-Kommission, welche die Verhandlungen mit den transatlantischen Partnern führt, das sei Unfug. Sie stellt die wirtschaftlichen Vorteile dar, die ein solches Abkommen hätte: Wer nicht mitmache, habe auf dem internationalen Markt schon verloren.

Das Problem: Der normale Mensch kann das nicht beurteilen. Seit Sommer 2013 werden die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen geführt. Das zeigt eine gefährliche Tendenz der modernen Demokratie: Der Bürger ist darauf angewiesen, dass er vertraut – den Experten und den Mächtigen. Und zwar immer mehr. Die Frage ist: Können wir uns blindes Vertrauen leisten?

Sicher, es gibt gute Gründe dafür, dass manches zunächst einmal geheim bleibt. Auch dafür, dass nicht gleich alles und jedes über eine Volksabstimmung entschieden wird. Das wäre ein Wahnsinnsaufwand. Zudem sind viele Dinge so kompliziert, dass man sie besser Experten überlässt. Jeder, der in einem Vereins- oder Kirchenvorstand mitgearbeitet hat, kennt das: Man fühlt sich als Nichtprofi schnell überfordert. Das ist der Grund, warum wir keine direkte Demokratie haben, sondern eine repräsentative: Wir bestimmen Spezialisten, damit sie für uns die notwendigen Aufgaben erledigen.

Aber: Diese Spezialisten müssen ­demokratisch kontrolliert werden. Tatsächlich jedoch dürfen inzwischen selbst Parlamente wie der Deutsche Bundestag nicht mehr Einblick erhalten, was bei TTIP genau verhandelt wird. Wie soll Demokratie funktionieren, wenn nicht einmal die gewählten Volksvertreter an Verhandlungen beteiligt werden, die – vermutlich – über die künftige Welt­ordnung bestimmen?

Vertrauen ist gut, auch gegenüber den Experten. Aber man sollte es, wenn es um Einfluss, Macht und Profit geht, nicht übertreiben. Das ist ja der Grundgedanke der modernen Demokratie mit ihrer Gewaltenteilung: Nicht eine Gruppe, Kommission (oder Kirchenleitung) allein entscheidet alles; man teilt es auf, damit einer dem anderen auf die Finger schaut. So viel Menschenkenntnis muss sein.

TTIP ist schlimm. Die Art, wie das geplante Abkommen hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, ein Skandal. Wenn EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström jetzt ankündigt, mehr Transparenz zuzulassen, ist das ein Zeichen der Hoffnung: Offenbar konnte der massive öffentliche Protest nicht länger überhört werden. Skepsis und Vorsicht bleiben aber weiterhin geboten: Eine Woche zuvor nämlich hatte die EU-Kommissarin exakt das Gegenteil gefordert.

Der Autor ist Chefredakteur der Wochenzeitung „Unsere Kirche“.

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