Menschen brauchen Heimat und Zukunft

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Deutschland hat ein Problem, Europa hat ein Problem: Hunderttausende Menschen begehren Einlass, weil in ihrer Heimat Krieg herrscht, Unterdrückung oder einfach nur blanke Not. Doch alle Habenichtse und Verfolgte einfach an der Einreise zu hindern, ist keine Lösung.

Handlungsbedarf besteht in zweierlei Hinsicht: Der tausendfache Tod im Mittelmeer ist eine Schande für Europa. Doch nachdem Griechenland, von den übrigen EU-Ländern im Stich gelassen, seine Landgrenze zur Türkei abgeriegelt hat, bleibt nur noch der Seeweg. Weiteres Ungemach blüht Flüchtlingen, die es irgendwie nach und durch Griechenland geschafft haben, derzeit in Makedonien. Zum anderen verlangen die widerwärtigen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland nach klarer Ansage und schnellem Handeln. Da ist die Bundeskanzlerin gefragt. Sie bestimmt laut Verfassung die Richtlinien der Politik.

Rund 800 000 Flüchtlinge werden in diesem Jahr in Deutschland erwartet, doppelt so viele wie zunächst angenommen und viermal so viele wie 2014. Aber sind das wirklich zu viele? Gut 900 000 Menschen fanden auch 1992 Aufnahme in Deutschland. Knapp die Hälfte kam über das damals noch weit gefasste Asylrecht, das daraufhin durch kleinkrämerische Regeln ergänzt wurde, die übrigen waren vorwiegend Kriegsflüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien und Russlanddeutsche aus der aufgelösten Sowjetunion. Was damals gelang, muss auch heute möglich sein. Man darf ruhig daran erinnern, dass Zehntausende DDR-Flüchtlinge nicht nur auf die Freiheit, sondern auch auf den Wohlstand des Westens aus waren. Auch die deutschen Amerika-Auswanderer im 19. Jahrhundert und nach dem Zweiten Weltkrieg waren vor allem Wirtschaftsflüchtlinge. Unser Land braucht sogar Zuwanderer, um die Sozialsysteme stabil zu halten.

Deutschland muss seiner Verantwortung als eines der reichsten Länder der Erde anders gerecht werden als durch Abschottung. Doch wie? Es ist zwar müßig, mit Rechtsradikalen zu argumentieren. Sie sind unbelehrbar. Aber die Behauptung der Nazi-Partei NPD, Flüchtlinge missbrauchten das Asylrecht, bedarf des Widerspruchs. Jeder, wirklich jeder Nicht-Deutsche hat das Recht, hier einen Antrag auf politisches Asyl zu stellen. Dieser Antrag ist zu prüfen und falls unbegründet, zu verwerfen.

Für Menschen aus Syrien, Irak, Eritrea, Somalia oder Afghanistan ist der Anspruch evident. Im Westbalkan sieht das anders aus. Doch in Ermangelung eines Einwanderungsgesetzes zwingt Deutschland dessen Bürger geradezu ins Asylverfahren. Die EU wäre gut beraten, Albanien und dem Kosovo die Mitgliedschaft in Aussicht zu stellen, Bedingungen daran zu knüpfen und bei deren Erfüllung zu helfen: stabile demokratische Strukturen, Kampf der Korruption, Rechtssicherheit. Niemand verlässt seine Heimat, der dort eine Zukunft sieht.

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