Den inneren Hebel umlegen

Neue Formen von Gemeinde bei ökumenischer Initiative „Schon jetzt“ gesucht – Stammtische in der Pfalz

Lust auf Veränderung (von links): Kevin Krehmer sowie die Projektinitiatoren Stephanie Schlenczek und Felix Goldinger. Foto: Riesterer

Sie sind auf der Suche. Sie wollen etwas Neues schaffen. Und sie wollen nicht länger warten. „Schon jetzt“ heißt treffenderweise die ökumenische Initiative, die Pastoralreferent Felix Goldinger vom Bistum Speyer und Stephanie Schlenczek vom Missionarisch Ökumenischen Dienst der Evangelischen Kirche der Pfalz ins Leben gerufen haben. Ihr Ziel: Menschen zu bewegen, neue Formen von Gemeinde zu entwickeln und dabei eigenen Träumen zu folgen.

Hinter der Idee steht eine bittere Erkenntnis. Religion wird immer weniger tradiert, Menschen verlieren den Bezug zur Kirche. Doch ob es nun der Ärger über die Institution Kirche ist oder sich Menschen nicht mehr als Zielgruppe der Kirche fühlen, es geht Schlenczek und Goldinger nicht darum, ausführlich die Gründe zu analysieren, sondern Antworten auf diese Prozesse zu geben. „Es ging mir selbst so, dass ich gedacht habe, ich fühle mich irgendwie fremd in der eigenen Kirche“, sagt Goldinger.

Die Initiatoren sind sich sicher, dass es vielen so geht wie ihnen selbst. Die beiden großen Kirchen seien in den vergangenen Jahren versorgende Kirchen gewesen, mit unterschiedlichen Angeboten zwar, von Kirchenmusik bis hin zu Kursen zu Spiritualität. Stets seien die Teilnehmer aber nur Konsument dessen gewesen, was auf die Beine gestellt worden sei von Haupt- und Nebenamtlichen. Dabei gebe es genug Menschen, die selbst etwas gestalten wollten. Deren Engagement sei gerade vor dem Hintergrund immer größerer Gemeinden auf katholischer und evangelischer Seite eine besondere Chance.

Zugleich gebe es mehr Orte als Kirchengemeinden, an denen Gemeindearbeit möglich sei. Inspirationen erhielten Goldinger und Schlenczek durch Kontakt zum Gemeindekonzept „Fresh Expressions of Church“ („Fresh X“) aus England. Die Abkehr von der klassischen Gemeinde habe hier schon früher als in Deutschland eingesetzt, sagt Goldinger. Hinter „Fresh X“ steht der Gedanke, spirituelle Angebote aus den Räumen der Kirche zu tragen und ­Menschen in ihrem Alltag zu erreichen. Schlenczek nennt als Beispiel eine Andacht im Fitnessstudio.

Doch solche neuen Formen von Gemeinden entstehen nicht über Nacht. Um Menschen mit ähnlichem Antrieb zu finden, veranstalten deshalb beide seit vergangenem Herbst „Stammtische für Entdecker“. Quer durch die Pfalz und Saarpfalz, um möglichst viele zu erreichen. Aber auch so gibt es bereits „Wiederholungstäter“. Eingeladen wird in Restaurants oder Kneipen, allein durch den Veranstaltungsort wollen Schlenczek und Goldinger den Blick auf Orte richten, an denen man sich normalerweise nicht aufhält, wenn es um das Thema Kirche geht.

Der Stammtisch ist in erster Linie Vernetzung und Austausch. Für junge Erwachsene, die der Jugendarbeit entwachsen, fehlten Formen von Gemeinde, sagt etwa Kevin Krehmer aus Oppau. Manch einer bekomme dann seine erste Gehaltsabrechnung, sehe die Kirchensteuer und trete aus, sagt der 20-Jährige. Ein anderer Teilnehmer habe von einem Kinoabend mit anschließender thematischer Gestaltung berichtet, sagt Goldinger. Der findet zwar noch im Gemeindehaus statt, aber an der Idee lasse sich weiterarbeiten. Und ganz aus dem Nichts neu erfinden kann und will sich eine neue Form von Gemeindearbeit nicht, sagt Schlenczek. Genauso wenig wie es beiden darum geht, das Bisherige über Bord zu werfen. Es ist genauso wichtig und richtig, betonen beide. „Wir verwahren uns dagegen zu sagen: Das, was da ist, ist schlecht.“

So soll es auch künftig selbstverständlich Gebete geben. „Vielleicht auch im Wechsel, aber möglicherweise anders klingend, weil die kirchliche Sprache für viele zu weit weg ist von ihrer Alltagssprache“, sagt Goldinger. Spiritualität hat auch bei den Stammtischen seinen Platz. „Wir haben versucht, ins Gebet zu kommen, das eine Mal laut im Wechsel, das zweite Mal in der Stille“, sagt Goldinger. Für viele sei das das I-Tüpfelchen der Veranstaltung gewesen, so die Rückmeldungen der Teilnehmer. „Das Beten ist noch mal ein stärkendes Moment, das die Gemeinschaft betont“, sagt Schlenczek. Viele wollten bei den Stammtischen über den Glauben sprechen. Umgekehrt müsse das nicht unbedingt der Grund sein, weshalb die Leute kommen. „Dass wir beten, wussten die Leute ja vorher nicht.“

Überhaupt ist das Konzept der Stammtische völlig offen. Eine feste Struktur gibt es noch nicht. „Und wenn wir feststellen, dass irgendetwas eingefahren ist, sind wir gerne wieder bereit, daran zu rütteln“, sagen beide. Wiedererkennungswert haben lediglich die sich überlagernden blauen Sechsecke als Markenzeichen der Initiative. In die zweimal sechs Ecken der geometrischen Formen könnten die zwölf ­Apostel hineingelesen werden, so Schlenczek und Goldinger. Schließlich werde Gemeinde weitergetragen, weitergedacht. Und die Überschneidung sei die Stelle, an der sich das Reich Gottes und der Menschen treffe.

Die Sechsecke finden sich nicht nur auf dem Internetauftritt. Beim jüngs­ten Stammtisch in Kaiserslautern schmück­ten sie Bierdeckel, auf denen sich Teilnehmer im Restaurant Aufgaben notieren konnten. Andere Teilnehmer erkundigten sich dann nach einem Tag, zwei oder drei telefonisch, was daraus geworden ist. Dranbleiben an den Ideen, umsetzen, nicht nur reden, das ist offenkundig das Ziel, auch wenn es manchmal einfach nur heilsam sei, sich gegenseitig zuzuhören, sagen die Initiatoren. „Oft meinen wir Katholiken oder Protestanten dasselbe, nutzen aber andere Vokabeln, die uns fremd sind.“ So bekommt die Unterzeile der Initiative, „Ökumenisch. Einfach. Anders“, durchaus mehrere Bedeutungen.

Die nächsten Ziele sind klar gesteckt. Über die Stammtische sollen weitere Entdecker neuer Gemeindeformen begeistert werden. Früchte tragen soll diese Phase beim „Ein(pfalz)reich-Wo­chen­ende“ im Butenschoen-Haus Mitte September mit ersten konkreten Ideen. Motiviert hat noch einmal ein Seminar zum Thema „Fresh X“ Ende Januar in Altleiningen. Herausforderung, da sind sich beide einig, wird sein, sich zu trauen, in den öffentlichen Raum zu gehen mit der Kirche. Was auch bedeutet, sich mit dem eigenen Glauben auseinanderzusetzen. Am Ende stehe, „den inneren Hebel umzulegen. Von einer Anbieterkirche zu einer Kirche, die mit den Leuten wächst“, sagt Goldinger. Was ebenso heißt, nicht wieder in das alte Muster zu verfallen und sich sofort als Hauptamtlicher anzubieten.

Motiviert sind sowohl Schlenczek als auch Goldinger, das wird deutlich. Der einzige Wermutstropfen, so äußern beide: Dass sie nicht noch mehr Zeit ihrer jeweiligen Tätigkeit in Bistum oder Landeskirche für das Projekt investieren können. Florian Riesterer

Termine

Nächster Stammtisch, Freitag, 16. Februar, 19 bis 21.30 Uhr, Pirmasens, Kuchems Brauhaus, Schlossstraße 44; weitere Termine jeweils um 19 Uhr am Montag, 30. April, Dienstag, 19. Juni, Montag, 13. August, und Dienstag, 6. November, Ort wird unter www.schon-jetzt.de bekannt gegeben; dort auch Anmeldung zum „Ein(pfalz)reichswochenende“ am 14. und 15. September im Butenschoen-Haus Landau. flor

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