Verzicht auf törichte und unnütze Fragen

Die Pfälzische Kirchenunion hat eine längere Vorgeschichte – In vielen Gemeinden gab es Lokalunionen

Historisches Gemälde in der Speyerer Dreifaltigkeitskirche: Das gemeinsame Abendmahl nach der Unionssynode. Foto: archiv

Die Evangelische Kirche der Pfalz existiert in ihren heutigen Grenzen erst seit knapp 200 Jahren. Auslöser war die Neuordnung Europas nach dem Ende der napoleonischen Ära, als die Pfalz als „Rheinprovinz“ in das Königreich Bayern eingegliedert wurde. Erstmals wurde sie zu einem zusammenhängenden politischen Gebilde. In der Zeit vor der Französischen Revolution war die heutige Pfalz unterteilt in ungefähr 40 teils sehr kleine Herrschaftsbereiche. Auch die Verteilung der Konfessionen ähnelte einem Flickenteppich.

Dabei wurde die Trennung der protestantischen Konfessionen in Lutheraner und Reformierte schon lange als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Nach dem Dreißigjährigen Krieg trat ab Mitte des 17. Jahrhunderts in ganz Europa eine Entwicklung ein, an der auch die Pfalz Anteil hatte: Die Erfahrung aus den Religionskriegen mit ihren furchtbaren Verwüstungen ließ ein Bewusstsein dafür wachsen, dass es zwischen den Konfessionen zu einem sozialverträglichen Zusammenleben kommen muss. Politisch war es das Zeitalter der Toleranz. Und auch in den protestantischen Kirchen änderte sich ab dem späten 17. Jahrhundert das Klima entscheidend. Aus den vormals starren Lehrgebäuden der lutherischen und reformierten Orthodoxie erwuchsen neue Bewegungen.

Eine dieser Bewegungen war der Pietismus. Seine Anhänger wollten ein frommes Leben in der Nachfolge Jesu führen und sich in tätiger Nächstenliebe üben. Konfessionelle Unterschiede spielten bei der Suche nach der wahren Frömmigkeit keine Rolle. Auf der anderen Seite gab es Anhänger der philosophischen Aufklärung, die nach einer vernunftgemäßen Begründung des christlichen Glaubens suchten. Auch diese aufgeklärten Christen konnten die Unterschiede zwischen der lutherischen und reformierten Lehre nicht mehr als trennend begreifen.

Dieses neue geistige Klima führte etwa ab Mitte des 18. Jahrhunderts zu Bestrebungen, einen Zusammenschluss der lutherischen und reformierten Gemeinden in die Wege zu leiten.

Im Jahr 1750 kursierte in Grünstadt eine anonyme Friedensschrift mit dem Titel „Siphunculus Irenicus“. Darin wurde, um einen „allgemeinen Kirchen- und Landfrieden“ zu erreichen, eine Kirchenvereinigung gefordert. Diese sollte so durchgeführt werden, dass sich die Kirchen auf die „Lehrart Christi und seiner Apostel“ besinnen, die „lauter und einfältig“ unter Verzicht auf „törichte und unnütze Fragen“ vorzutragen sei. Auch wurde gefordert, die „Mitteldinge“ freizugeben. Diese Mitteldinge waren zum einen Kirchenbräuche, die niemand aufgezwungen werden sollten, zum anderen aber auch die unter den Konfessionskirchen hoch umstrittene Abendmahlsfrage. Diese sollte so gelöst werden, dass die „nach den Worten der Einsetzung … versierenden Geheimnisse aber einem jeden nach seiner inneren Überzeugung auf sein Gewissen zu empfangen und zu beurteilen frei gelassen werden“.

Allein die Betonung des einzelnen Gewissens in der Frage des Abendmahls ließe diese anonyme Schrift bereits als ein Vorläuferwerk der Unionstheologie mit ihrer Hochschätzung der Gewissensfreiheit erscheinen. Aber noch etwas anderes ist erstaunlich: Bereits 1750 wird das Unionswerk nicht als eine Tat der Theologen und Obrigkeiten angesehen, sondern es wird der Zukunftstraum einer mündigen Gemeinde vorgetragen, die den „Lehrgebäuden und eigenen Satzungen“ der Geistlichen und der Obrigkeit „die Lehren des Heilands und seiner Apostel“ entgegensetzt. Damit ist der „Siphunculus Irenicus“ frühes Zeugnis eines neuzeitlichen Kirchenbegriffs, dem die Partizipation der Gläubigen wichtiger ist als die Reinhaltung der kirchlichen Lehre.

Knapp vier Jahrzehnte später brachte dann die Revolution im Nachbarland Frankreich einen entscheidenden Einschnitt nicht nur für die Protestanten, sondern für die gesamte Bevölkerung in der Pfalz. Die Revolutionstruppen verleibten sich die linksrheinischen Gebiete ein und machen die Pfalz zusammen mit Rheinhessen ab 1793 zu einem französischen Departement. Viele Kirchengebäude wurden in dieser Zeit zerstört oder für andere Zwecke verwendet; das kirchliche Leben kam komplett zum Erliegen. Erst die „Organischen Artikel“ unter Napoleon von 1802 sichern den Kirchen ein neues Existenzrecht.

Zu diesem Zeitpunkt gab es kaum noch ein Bewusstsein für die Unterschiede zwischen lutherischer und reformierter Theologie; auch konnten sich die wenigsten Dörfer weiterhin zwei evangelische Kirchen mit zwei Pfarrern leisten. Schon 1805 vollzogen die Evangelischen in Lambrecht eine erste lokale Union.

Allerdings gibt es Zweifel, ob das Motiv für die Lambrechter Union der Wunsch nach friedlichem Zusammenleben der Konfessionen war oder nicht vielmehr die Beilegung eines kirchlichen Streits. Der früh verstorbene Historiker Johannes Müller machte schon 1967 darauf aufmerksam, dass die Akten über die Lambrechter Union in einer Sammelakte über kirchliche Streitigkeiten in pfälzischen Gemeinden im Staatsarchiv Speyer aufbewahrt würden. Der Streit habe darin bestanden, dass die wenigen lutherischen Christen sich zum lutherischen Pfarrer in Neustadt hin orientierten, woraufhin die Reformierten den Lutheranern die Mitbenutzung ihrer Kirche verboten. Da sich die beiden Parteien nicht einigen konnten, riefen sie den Speyerer Unterpräfekten Verny als Vermittler an, der ganz pragmatisch so entschied, wie er es von den protestantischen Gemeinden in Mainz, Trier und Koblenz kannte: In Mainz etwa wurde auf der Grundlage der „Organischen Artikel“ bereits 1802 eine Unionsgemeinde gegründet.

Im Gedenkjahr der Reformation 1817 entstand an vielen Orten eine regelrechte Basisbewegung, deren Ziel eine Vereinigung der protestantischen Gemeinden war. Beginnend mit Speyer im Oktober 1817, folgten bis Ende des Jahres Landau, Kusel, Zweibrücken, Rockenhausen, Bergzabern, Limbach, Dielkirchen, Großkarlbach, Kirchheimbolanden, Ernstweiler, Edenkoben, Annweiler, Dürkheim, Otterberg und Katzweiler. Bis zum März 1818 erklärten sich dann noch Nußdorf und Dammheim, Offenbach, Kaiserslautern, Godramstein, Rumbach, Wilgartswiesen, Hinterweidenthal und Germersheim zu Unionsgemeinden. Weitere Gemeinden schlossen ebenfalls Lokalunionen unter der Übernahme von Unionsurkunden aus anderen Gemeinden.

Das Ergebnis dieser Entwicklung vor Ort war die Kirchenunion im August 1818. Die Vereinigung der Lutheraner und Reformierten kam durch eine Volksbefragung zustande, bei der 40?167 Haushaltsvorstände mit „Ja“ stimmten und nur 539 mit „Nein“. Für August 1818 wurde eine gemeinsame Generalsynode nach Kaiserslautern einberufen. Unter reger Anteilnahme der Bevölkerung bewegten sich die neun refor­mierten und acht lutherischen Inspektoren (Dekane), die 17 Pfarrer und 17 Nichttheologen von der lutherischen Kirche in einer Festprozession zur reformierten Stiftskirche. Die Synode endete mit der Feier eines gemeinsamen Abendmahls. Martin Schuck

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