Notenschätze aus der Raritätenkiste

Die Pfälzische Singgemeinde blickt auf 28 Jahre zurück – Ab 2018 wird sie unter neuem Namen firmieren

Proben letztmals für ein Konzert unter altem Namen: Jochen Steuerwald und die Pfälzische Singgemeinde in Speyer. Foto: Landry

Wenn die „Pfälzische Singgemeinde“ demnächst im traditionellen West-Ost-Spagat – hier Zweibrücken, da Speyer – erneut zwei mutmaßlich grandiose Konzertabende absolviert haben wird, jeder Klavierauszug zugeklappt, der letzte Applaus verebbt sein wird, streifen die knapp 120 Akteure diesmal mit der Chorkleidung auch gleich ihr „Etikett“ ab. Denn aus „Pfälzische Singgemeinde“ – nach 28 Jahren unumstritten ein Markenzeichen – wird ab Januar 2018 der „Evangelische Oratorienchor der Pfalz“. So weit der Blick nach vorn.

Angefangen hat alles mit einer mutmaßlichen „Eintagsfliege“: Flankiert vom 25. Landeskirchenmusiktag sollte erstmals ein großes Oratorienwerk Sänger aus der gesamten Landeskirche zusammenführen. Die Haydn’sche „Schöpfung“ am 22. Juni 1990 in der Abteikirche zu Otterberg unter Leitung des damaligen Landeskirchenmusikdirektors Udo R. Follert wurde ein unerwartet großer Erfolg, der auf Nachhaltigkeit pochte. Damit war die „Pfälzische Singgemeinde“ aus der Taufe gehoben. Sie etablierte sich binnen Kurzem als gut aufgestellter Oratorienchor der Landeskirche und auf Augenhöhe mit den beiden überregionalen Ensembles, „Evangelische Jugendkantorei der Pfalz“ und Kammerorchester „Corona Palatina“, jedoch mit eigenem Profil.

Jochen Steuerwald, der Follert 2008 als oberster Kirchenmusiker und künstlerischer Leiter der Ensembles nachfolgte, konnte auf gewachsene Strukturen aufbauen. Einmal im Monat trifft man sich zur Probe, abwechselnd in Kaiserslautern und Speyer, dazu kommen Regionalproben, Chorfreizeiten, Probenwochenenden und besonders „heiße Übephasen“ kurz vor den zwei Aufführungen, die nicht immer auf dieselben Orte, aber traditionell auf West- und Vorderpfalz verteilt sind.

Pro Jahr ein großes Projekt, das ist zu stemmen. Rücksicht genommen wird dabei auf die lokalen Verpflichtungen der Sänger. Denn die tun in aller Regel im heimatlichen Kirchenchor, in ihrer Stadtkantorei oder auch auf der Orgelbank Dienst. „Das sind oft erfahrene Sängerinnen und Sänger, die ja nicht abgezogen werden, sondern im Gegenteil auch ihre hier erworbenen Erfahrungen in ihren Gemeinden mit einbringen sollen“, betont Steuerwald.

Die Möglichkeit, ab und an bei einer großen Oratorienaufführung mitzuwirken, dazu die Kontaktpflege mit Gleichgesinnten weit über die heimatliche Kirchturmspitze hinaus, „das ist ein ungemein schönes, bereicherndes Angebot“, begeistern sich zum Beispiel Ingeborg Möller aus Ludwigshafen und die Neustadterin Annette Zapp.

Ein unterstützender Freundeskreis hat sich 2012 etabliert, einen Chorbeirat, der auf dem Fundament einer solide erarbeiteten Satzung fungiert, gibt es bereits seit 2006. Dessen emsig agierender, organisierender, dem Chorleiter sekundierender Vorsitzender ist bis heute Martin Kaufmann, kirchenmusikalisches Urgestein aus Zweibrücken. Mit sieben Jahren hat er als Knabensopran im Kinderchor begonnen, nennt Adolf Graf, Heinz Umlauff und Fritz Sander, Pioniere der pfälzischen Nachkriegskirchenmusik, als seine Ziehväter und ist auch nach 63 aktiven Jahren noch kein bisschen sangesmüde.

Wie schon sein Vorgänger greift Jochen Steuerwald bei der Werkauswahl gerne in die Raritätenkiste. Gewiss finden sich auch die großen Mendelssohn-Oratorien, Brahms, Bruckner und Schubert im mittlerweile imposanten Repertoire des Chors. Aber ebenso lagen schon Komponisten wie Heinrich von Herzogenberg („Erntefeier“, 2010), Edvard Elgar („The Dream of Gerontius“, 2012), Gottfried Homilius (Kantaten, 2014) oder César Franck und sein Ausnahmewerk „Les Béatitudes“ (2014) auf den Pulten. Das erweitert Horizonte, bei Singenden wie Hörenden.

Mit Mozart und Beethoven sind aktuell wieder große Namen im Spiel, allerdings mit Werken, die nicht unbedingt ganz oben stehen in der Aufführungshitliste. Beim kurzzeitig lauschenden Probenzaungast letztens in Speyer-Nord jedenfalls weckte nicht nur der prachtvolle Chorklang, sondern auch die Bekanntschaft mit dem aparten kompositorischen Duktus gespannte Erwartung. Also: unbedingt hingehen. Gertie Pohlit

Konzertprogramm: Zwei Titanen an der epochalen Schwelle

Wolfgang Amadeus Mozart, der alle überstrahlende Vollender der klassischen Epoche; Ludwig van Beethoven, das Genie an der Schwelle zur Romantik: Ihre geistlichen Werke zählen zum Standardrepertoire jedes leistungsfähigen Chors.

Auch wenn die C-Dur-Messe, Beethovens Opus 86, 1807 als fürstliche Auftragskomposition entstanden, in der Wahrnehmung etwas hinter der ungleich populäreren „Missa Solemnis“ verschwindet: In Beethovens Schaffen markiert sie einen Wendepunkt. Die Abkehr nämlich vom formalen Duktus Haydn’scher Prägung – ungeachtet der ungebrochen glühenden Verehrung für den Lehrmeister –, seinen kühnen Ausbruch aus dem klassischen Symmetriekorsett; hin zur Emotionalität, die weder eruptiven Ausbruch noch geradezu kindliche Innigkeit scheut.

Eine eigenartige Metamorphose verfügte Mozarts „Drei geistliche Hymnen“ in den Katalog der geistlichen Literatur. Ihre Genese hat diese Musik in Mozarts „italienischer Epoche“. Drei Reisen, immer nur unterbrochen durch kurze Anwesenheitszwänge in Salzburg, um ja das erzbischöfliche Salär nicht zu verlieren, hatten den Heranwachsenden ins Land der blühenden Zitronen geführt; und ein ganzes Paket von Opern, Kantaten, Oratorien und Schauspielmusiken zu antiken und biblischen Stoffen gezeitigt.

Mit „Thamos“ hat sich Mozart schon 1773 beschäftigt, die Skizzen Jahre später aus aktuellem Anlass wieder aus der Schublade gezogen. 1779 nämlich versprach der skandalumwitterte Immanuel Schikaneder mit seiner Thespis-Truppe den von Schnürlregentristesse und erzbischöflicher Strenge geplagten Salzburgern ein grandioses Bühnenspektakel. Mozarts erste Begegnung übrigens mit dem skurrilen Theaterprinzipal, der ihn animierte, seine Musiken zum Schauspiel „Thamos, König von Ägypten“, dem Freimaurerdrama von Freiherr Tobias Philipp von Gebler, zu überarbeiten und zu ergänzen. Trotz Schikaneders enormer Bühnenpräsenz und Mozarts großartiger Musik: Den Salzburgern missfiel das Stück, und es verschwand alsbald in der Versenkung.

In Mozarts Nachlass indes fanden sich Transkriptionen der drei Chorhymnen. Mit geistlichem Text unterlegt. Ob von ihm selbst gefertigt, darüber herrscht Uneinigkeit. Gesichert ist aber, dass Mozart die komplexe und dramatisch vielgestaltige Chormusik nicht sang- und klanglos beerdigen wollte. Wer genau hinhört, wird gewiss die Anklänge an „Don Giovanni“ und den „Zauberflöte“-Tamino vernehmen. gpo

Beethoven, Messe C-Dur, Mozart, Drei geistliche Hymnen; Vera Steuerwald (Sopran), Sophia Maeno (Alt), Gernot Heinrich (Tenor), Reuben Willcox (Bass), Pfälzische Singgemeinde, Cappella Isopolitana Bratislava; Leitung Jochen Steuerwald; Samstag, 18. November: Zweibrücken, Alexanderskirche; Sonntag, 19. November: Speyer, Gedächtniskirche, jeweils 17 Uhr. Karten: www.reservix.de, Info: www.pfaelzische-singgemeinde.de.

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