Schwieriges Erinnern an den Kanzler der Einheit

Manche Kommunen haben es mit Straßenumbenennungen etwas zu eilig – In Ludwigshafen ist der Oberbürgermeister-Wahlkampf betroffen

Wird kein Helmut-Kohl-Platz: Die Frankenthaler CDU wollte nach dem Tod des Altkanzlers den Rathausplatz umbenennen. Foto: Bolte

Soll nach dem Willen von Ex-„Bild“-Chef Kai Diekmann Helmut Kohls Namen tragen: Der Frankfurter Flughafen. Foto: epd

Vor einem Monat war die Stadt Frankenthal mit Vollgas vorausgeprescht, nun folgte die Kehrtwende. Der zentrale Rathausplatz soll doch nicht mehr in Helmut-Kohl-Platz umbenannt werden, beschlossen die Stadträte einstimmig. Nach massiven Protesten von Anwohnern und Gewerbetreibenden hatte die CDU-Mehrheitsfraktion selbst die Rücknahme ihres eigenen, mit hauchdünner Mehrheit durchgesetzten Beschlusses auf die Tagesordnung gesetzt. Jetzt soll in aller Ruhe parteiübergreifend nach einem passenden Ort gesucht werden, der den Namen des früheren Bundeskanzlers tragen könnte.

Nach Kohls Tod konnte es manchen Kommunen gar nicht schnell genug damit gehen, zu seinen Ehren eine Straße oder einen Platz umzubenennen. Insbesondere in Rheinland-Pfalz, wo der Politiker von 1969 bis 1976 als Ministerpräsident amtierte und sich als mutiger Reformer stockkonservativer Strukturen einen Namen machte, werden seine Verdienste auch von politischen Gegnern anerkannt. Offenbar sind aber längst nicht alle vorschnellen Initiativen wirklich gut durchdacht und vorbereitet.

Ein wenig kurios liest sich etwa die Begründung, mit der die CDU in Germersheim eine Straßenumbenennung beantragte und dabei auf die ganz besondere Beziehung des späteren Kanzlers zu der Stadt hinwies. Kohls erste Ehefrau Hannelore habe am Germersheimer Dolmetscher-Institut studiert, heißt es in dem Antrag: „Helmut Kohl soll oftmals seine spätere Frau in Germersheim besucht haben.“

Ärger gibt es um das Andenken des am 16. Juni gestorbenen Altkanzlers sogar in dessen Heimatstadt Ludwigshafen, wo die Rheinallee nach einem Beschluss der CDU-SPD-Koalition eigentlich künftig den Namen Helmut-Kohl-Allee tragen soll. Ein Teil der knapp einen Kilometer langen Straße war erst vor wenigen Jahren schon einmal umbenannt worden. Geschäftsleute ärgern sich über die anstehenden Kosten einer neuen Namensänderung und fürchten, dass Kunden Läden und Büros nicht mehr finden, weil sie von ihren Navigationsgeräten in die Irre geleitet werden. Der Widerstand habe keinen politischen Hintergrund, betonen sie.

Kohl überschattet in Ludwigshafen mittlerweile auch den Oberbürgermeister-Wahlkampf. Sogar CDU-Kandidat Peter Uebel, der im ersten Wahlgang nur auf Platz zwei landete, fordert inzwischen, den Beschluss zu kippen. „Die Politik kann nicht gegen den Willen der Bürger entscheiden“, bestätigt er seine Haltung auf Nachfrage. Selbst CDU-Mitglieder hätten ihm gesagt, dass die Straßenumbenennung im Hauruckverfahren ihnen nicht gefalle.

Rechtlich genießen Kommunen große Freiheiten, wie und nach wem sie ihre Straßen benennen. Anlieger hätten auch kein Anrecht auf Schutz vor Umbenennungen, betont das Innenministerium. So gelten in Rheinland-Pfalz lediglich einige „Empfehlungen“, die in den Verwaltungsvorschriften zur Gemeindeordnung aufgeschrieben stehen: In einer Gemeinde soll ein Straßenname nur einmal verwendet werden, Umbenennungen sind „auf unbedingt notwendige Fälle“ zu beschränken, und die Namen von Personen sollen „erst nach Ablauf einer gewissen Zeit seit deren Ableben“ verwendet werden.

Im Falle des früheren Kanzlers war von einer angemessenen Wartefrist vielfach aber nichts mehr zu spüren. Der frühere „Bild“-Chefredakteur und Kohl-Intimus Kai Diekmann schlug eine Umbenennung des Frankfurter Flughafens zu Ehren seines verstorbenen Freundes vor, als der noch nicht einmal beerdigt war.

Die Vergabe von Straßennamen sei immer ein Akt der „geschichtlichen und kulturellen Selbstvergewisserung“, sagt der Mainzer Historiker Andreas Rödder. Er fürchtet, dass an der Frage einer Helmut-Kohl-Straße alte parteipolitische Schlachten der Vergangenheit fortgesetzt werden: „Es ist nicht überzeugend, mit fliegenden Fahnen einen Willy-Brandt-Platz einzurichten, aber einen Helmut-Kohl-Platz abzulehnen.“ Im Fall von Ludwigshafen hält Rödder es in jedem Fall für angemessen, dass auch eine prominente Straße künftig Kohls Namen trägt. Schließlich sei der frühere Kanzler der bekannteste Ludwigshafener überhaupt. Allerdings hält auch er nicht viel von Aktionismus: „Es muss kein Nachteil sein, damit zwei Jahre zu warten.“

Als Politiker und Staatsmann war Kohl sicherlich umstrittener als andere Spitzenpolitiker. Allerdings scheiden sich keineswegs nur an seinem (Straßen-)Namen die Geister. Auch Straßenumbenennungen zu Ehren von Kohls 2015 gestorbenem Amtsvorgänger Helmut Schmidt sorgten mancherorts für Ärger. In Hannover etwa sollte die Hindenburgstraße zur Helmut-Schmidt-Straße werden. Anwohner waren dagegen, und die örtliche CDU argumentierte, auch der umstrittene Reichspräsident habe eine Würdigung verdient. Die Debatte läuft noch.

Der Generalfeldmarschall, der Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannte, ist für Kommunalpolitiker vielerorts ein straßentechnisch rotes Tuch. Besonders unpassend erschien den Verantwortlichen die  Hindenburg-Straße in der Mainzer Neustadt, als dort vor knapp zehn Jahren eine neue Synagoge erbaut wurde. Weil sich eine Umbenennung der kompletten Straße nicht durchsetzen ließ, man der Jüdischen Gemeinde eine politisch so heikle Adresse aber nicht zumuten wollte, wurde nur ein kurzer Straßenabschnitt in Synagogenplatz umbenannt – obwohl die Kultusgemeinde dies niemals gefordert hatte.

Einfacher hatten es die Ratsherren von Lübeck, der Geburtsstadt von Willy Brandt. Dort wurde kurz nach dem Tod des Friedensnobelpreisträgers auf einem alten Hafen- und Gewerbegelände eine repräsentative Musik- und Kongresshalle errichtet. Die Hansestadt kam so ohne hässliche Streitigkeiten zu einer repräsentativen Willy-Brandt-Allee in zentraler Lage wenige Schritte vom Holstentor entfernt.

In Sachen Kohl läuft unterdessen ausgerechnet in Mainz, wo eine Koalition von SPD, FDP und Grünen die Stadtpolitik bestimmt, alles auf eine einvernehmliche Lösung hinaus. Kohl sei ein „herausragender Staatsmann und überzeugter Europäer“ gewesen, erklärte SPD-Oberbürgermeister Michael Ebling. „Deshalb ist es für die Landeshauptstadt selbstverständlich, dass wir ihm zu Ehren im Zentrum der Mainzer Innenstadt mit dem Helmut-Kohl-Platz ein würdiges Andenken setzen.“ Geplant ist die Umbenennung des Geländes zwischen Landtag und Kurfürstlichem Schloss, nahe am Rhein, aber ganz ohne private Anlieger. Karsten Packeiser

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