Diakonischer Mehrwert ist bedroht

Heiner Geißler sieht ökumenische Sozialstationen vor Herausforderungen – Landeskirche mehr gefragt

Mitarbeiter der Sozialstation Edenkoben-Herxheim-Offenbach vor dem Gebäuder der Station. Fotos: VAN

Breit aufgestellt: Viele Sozialstationen – hier Mitarbeiter in Edenkoben – bieten neben ambulanter Pflege mittlerweile auch Tagesbetreuung an.

Fachkräftemangel, wenig finanzieller Spielraum und eine Kirche, die mehr tun könnte: Heiner Geißler macht sich Sorgen um die Zukunft der ökumenischen Sozialstationen im Bereich der pfälzischen Landeskirche. Der ehemalige rheinland-pfälzische Sozialminister hatte in den 1970er Jahren zusammen mit dem Diakonischen Werk der pfälzischen Landeskirche und dem Caritasverband der Diözese Speyer die ökumenischen Sozialstationen als neues Modell auf den Weg gebracht.

Eines der größten Probleme seien die Entgelte der Kassen. Sie entsprächen seit Jahren nicht mehr dem zeitlichen Aufwand und den Kosten für medizinische Leistungen und Pflege, erklärt Geißler, Vorsitzender der Ökumenischen Sozialstation Edenkoben-Herxheim-Offenbach. Insbesondere bei den Behandlungspflegeleistungen, die die Kassen selbst tragen müssen, gebe es große Defizite. Das bestätigt Heike Ibba, Pflegedienstleiterin und stellvertretende Geschäftsführerin der Ökumenischen Sozialstation Edenkoben-Herxheim-Offenbach. Seit 1995 habe es, rechne man den Inflationsausgleich mit hinein, hier keine Erhöhung mehr gegeben.

Während die Entgelte stagnieren, steigen die Leistungen, die erbracht werden müssen. Ein Beispiel ist die Wundversorgung. Krankenschwestern kümmern sich um Wunden von Patienten, die vor 20, 30 Jahren damit noch gar nicht entlassen worden wären, sagt Ibba. „Wir haben von der Überleitungskraft vom Diakonissen-Krankenhaus Speyer, die die Patienten verteilt, gehört, dass sie schwierige Wundversorgungen fast nur noch an Sozialstationen verteilt bekommt.“ „Viele private Pflegedienste übernehmen das nicht mehr, da der Aufwand nicht mehr dem entspricht, was die Kassen bezahlen.“ Das bestätigt Franz-Georg Treitz, Verwaltungsleiter der Ökumenischen Sozialstation St. Ingbert-Blies- und Mandelbachtal. „Wir bekommen die Problempatienten.“

Dass sich die Sozialstationen um solche Fälle kümmern – flächendeckend –, sei einer der großen Unterschiede zu privaten Pflegediensten, sagt Geißler. Der andere sei der „Diakonische Mehrwert“. Ambulante Pflege bedeute nicht nur, dass man Spritzen setzt, sondern sich um den seelischen Zustand der Patienten kümmere. Immer mehr Menschen lebten allein. „Unsere Schwestern müssen das machen, was früher Freunde, Kinder, Verwandte übernommen haben, das erfordert aber Zeit.“ Zeit, die immer knapper wird. „Da ist vielleicht gerade noch ein kurzes Gebet drin während der Pflege“, sagt Anette Schmidt, Pflegedienst­leiterin der Ökumenischen Sozialstation Rockenhausen-Alsenz-Obermoschel-Winnweiler. Umso wichtiger seien kostenfreie Angebote jenseits der Pflege wie ein offenes Trauercafé, um das Alleinstellungsmerkmal der Einrichtungen zu betonen. Wenn diese Unterschiede zu privaten Anbietern nicht mehr gelebt würden, „braucht es keine ökumenischen Sozialstationen mehr“, warnt Geißler.

Dass es zu wenig ausgebildete Fachkräfte in der Pflege gibt, trifft die Sozialstationen härter als private Pflegedienste, sagt Geißler. Schließlich wollten sie durch die hohe Qualität der Betreuung überzeugen. Daher sei eine Aufwertung des Berufs notwendig: „Die Sozialstationen müssten sich zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschließen, die selbstständig für höhere Tarife kämpft.“

Momentan ließen sie sich vertreten durch Caritas oder Diakonie. Die wiederum sind Mitglieder in der sogenannten Pflegegesellschaft, in der auch private Dienste vertreten sind. Letztere hätten aber weniger Aufwendungen, weil sie nicht flächendeckend arbeiteten und niedrigere Gehälter zahlten. Dementsprechend schnell würden sie in Verhandlungen Tarifen zustimmen, die langfristig diakonischen Mehrwert unmöglich machen, erklärt der Sozialstationvorsitzende. Er fordert deshalb die Landeskirche auf, entweder starker Verhandlungspartner gegenüber den Kassen zu sein oder die Kirchengemeinden wie früher finanziell zu unterstützen.

„Sozialstationen sind eigentlich das wichtigste Sprachrohr der Kirche“, sagt Geißler. Den Hunger bekämpfen, kranke Leute pflegen und versorgen, seien Kernthemen der Evangeliumsverkün­digung. „Aber die Kirchen verkennen die Chance für die Verkündung des Glaubens.“ Dabei könnte man über die Sozialstationen in den Familien prä­sent sein, wie es früher einmal die Schwestern waren. Stattdessen seien die Sozialstationen das letzte oder vorletzte Rad am Wagen in Sachen Ökumene. Caritas und Diakonie leisteten gute Arbeit, träten jedoch bei sozialen Themen nicht gemeinsam auf. Ähnlich äußert sich Florian Weisenstein, Verwaltungsleiter der Ökumenischen Sozialstation Homburg-Kirkel. Er sieht die Einrichtungen als „Stiefkind der Kirche“.

Pfarrer Albrecht Bähr, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Diakonie in Rheinland-Pfalz, bestätigt die höheren Aufwendungen der Sozialstationen. „Allerdings bekommen Caritas und Diakonie wie auch das DRK in Verhandlungen deshalb immer einen Sonderbonus“, sagt Bähr. Er sieht die aktuelle Tarifsituation weniger dramatisch. „Die Kassen haben erkannt, dass die Kosten für stationären Aufenthalt hochgehen, wenn die ambulante Pflege nicht funktioniert.“ Er verstehe, wenn die gestrichenen Zuzahlungen der Landeskirche an die Kirchengemeinden als gewisses Desinteresse der Kirche ausgelegt werden. Auch ein ökumenischer Spitzenverband sei sicher eine gute Idee, jedoch rechtlich nicht machbar.

Um das diakonische Profil der Sozialstation zu erhalten, plädiert er dafür, die Sozialstationen an die Kirchen­gemeinden heranzurücken, Gemeinwesenarbeit vor Ort zu stärken. Was zum Teil sehr gut funktioniere, beispiels­weise in Pirmasens. Den Krankenpflegevereinen komme für den diakonischen Mehrwert besondere Bedeutung zu. „In Frankenthal wird über Mitgliedsbeiträge eine Kraft finanziert, die Hausbesuche macht“, sagt Bähr. Um sich breit aufzustellen, seien diakonische Träger wie in Pirmasens oder am Donnersberg sinnvoll. Die Etablierung einer professionellen Geschäftsführung in gemeinnützigen GmbHs sieht er in Zeiten immer größerer Haushalte als zukunftsfähiges Modell. „Was nicht heißt, dass die übrigen Sozialstationen schlechte Arbeit machen.“ Florian Riesterer

Geschichte der Sozialstationen

Bis in die 1970er Jahre kümmerten sich evangelische Diakonissen und katholische Ordensschwestern um die häusliche Pflege. Da aber wegen der Arbeitsbedingungen der Nachwuchs zunehmend ausblieb, etablierte die Landesregierung in Zusammenarbeit mit Diakonie und Caritas das Modell der ökumenischen Sozialstationen. Die katholischen und evangelischen Krankenpflegevereine, die bisher die Schwesternstationen getragen hatten, übernahmen mit den jeweiligen Kirchengemeinden des Einzugsgebiets die Trägerschaft.

Heute existieren 33 ökumenische Sozialstationen auf dem Gebiet der Landeskirche mit rund 2300 hauptamtlichen und rund 600 ehrenamtlichen Mitarbeitern. 27 Sozialstationen sind nach wie vor als eingetragener Verein geführt, sechs sind eine gemeinnützige GmbH. flor

Heiner Geißler tot

Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler starb im Alter von 87 Jahren in Gleisweiler. Bis zuletzt nahm er an Podien teil und gab Interviews – zum Beispiel zu den Themen 500 Jahre Reformation oder Bergpredigt. Über das Thema dieses Artikels sprach der KIRCHENBOTE noch vor wenigen Tagen mit Heiner Geißler in Herxheim, wo er Vorsitzender der Sozialstation war. KB

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