Historische Stätte vom Verfall bedroht

Ruhestandspfarrer Ralf Piepenbrink kümmert sich um den Erhalt des jüdischen Friedhofs Ingenheim

Kümmert sich um den Erhalt des Friedhofs: Ruhestandspfarrer Ralf Piepenbrink. Foto: VAN

Bedrohte Idylle: Auf 10000 Quadratmetern erstreckt sich der Friedhof der einst größten jüdischen Landgemeinde der Pfalz. Foto: VAN

Der jüdische Friedhof in Ingenheim ist ihm längst zur Herzensangelegenheit geworden. Seit Pfarrer Ralf Piepenbrink vor fünf Jahren altersbedingt in den Ruhestand wechselte, sorgt der aktive Einsatz für die bedeutende jüdische Kultstätte am Ort seines jahrzehntelangen Gemeindedienstes dafür, dass es mit der Ruhe nicht überhandnimmt.

Dabei atmet der spätsommerliche Spaziergang durch das lichtdurchflutete Areal der jüdischen Begräbnisstätte am äußersten Ortsrand von Ingenheim Idylle pur; Baumriesen, Sträucher, Efeuranken und sattes Wiesengrün, naturbelassen, dennoch irgendwie gepflegt. Dazwischen ragen die steiner­nen Mahnmale in unruhigen Reihen, schlicht oder in üppiger Steinmetzkunst, teils verwittert, teils durch ihre Inschriften umgehend Aufmerksamkeit reklamierend. 10000 Quadratmeter Geschichte zwischen 1650 und 1978. Ein friedlicher, ein verführerischer Ort auch. Eine Einladung zum Einlass in eine archaische Welt. Faszinierende Kunst und Kunde der Grabsteine.

Ralf Piepenbrink, Aktivist im „Arbeitskreis Jüdisches Leben in Ingenheim“, der sich in zwei Schwerpunktgruppen um Erhalt und historische Aufarbeitung des Jüdischen Friedhofs Ingenheim, der Grablege der bis ins 20. Jahrhundert größten jüdischen Gemeinde in der Pfalz, bemüht, ist im höchsten Grade besorgt. Der Substanz des unschätzbar wertvollen Denkmals droht der witterungsbedingte Verfall. Die Grabsteine, einzig erhaltene Zeugnisse des reichen jüdischen Lebens am Ort und in der Region, größtenteils aus porösem Sandstein gefertigt, erodieren zusehends, Tafeln mit Inschriften fallen herab, zerbrechen, Texte gehen verloren. Aggressive Luftverschmutzung und saurer Regen beschleunigen den Verfall. „Jeder weitere Winter bringt wieder neue Verluste“, so Piepenbrink. Eine Entwicklung, die, letztlich schicksalhaft, nicht aufzuhalten sei. Aber umso mehr sei Eile zur Dokumentation geboten.

Er selbst verbringt jede Woche etliche Stunden in Archiven, denn er ist Teil der Gruppe, die sich um die historische Einordnung der Grablegen, Entzifferung der Inschriften, Übersetzung und Recherche der Familiengeschichten kümmert. Eine andere Formation des guten Dutzends von Menschen, die sich ehrenamtlich in der Pflege des jüdischen Erbes engagieren, trifft sich allwöchentlich zur Pflege des Areals; mäht die Wiesen, entfernt Wildwuchs, richtet umgefallene Grabstelen wieder auf, sichert gefährdeten Baumbestand.

Ralf Piepenbrink weist ausdrücklich darauf hin, dass sich der Friedhof nach religiösem Verständnis in voller Funktion befindet, da jüdische Gräber nicht aufgelassen werden, sondern der Grabplatz der beerdigten Person in Ewigkeit zugehört. Von den 1200 noch erhaltenen Grabsteinen sind derzeit rund 880 mit entzifferbaren Inschriften versehen. Um die unschätzbar wertvollen Zeugnisse für nachfolgende Generationen zu erhalten, hat der Pfarrer mit seinem Arbeitskreis ein detailliertes finanzielles Konzept erstellt, dessen Umsetzung sich auf die Dauer von drei Jahren erstrecken würde.

Eingeschlossen darin ist ein professionelles Fotoshooting – mühsam, wie Piepenbrink eindrucksvoll demonstriert. Denn die Sandsteininschriften sind je nach Lichtverhältnissen und Einfallwinkel äußerst schwierig abzulichten. Zuvor allerdings müssen die Stelen behutsam gesäubert werden. Mithilfe der Fotodokumentation könnten dann die Texte übersetzt und kommentiert, als Online-Edition aufbereitet und, wie teils schon geschehen, in die Homepage eingepflegt werden. Rund 70000 Euro würde die gesamte Rettungsmaßnahme kosten.

Dass auf höherer Ebene die Bedeutung des Kulturdenkmals Würdigung findet, belegt schon die Tatsache, dass das Land Rheinland-Pfalz die Pflege des Areals mit jährlich 1,20 Euro pro Quadratmeter bezuschusst. Über einen Antrag zur Aufnahme ins Leader-Projekt – einem überregionalen Netzwerk zur Förderung besonderer Objekte im ländlichen Raum – habe man laut Auskunft von Ortsbürgermeister Dietmar Pfister bereits Beratungen in den Gemeindegremien geführt. Mit bis zu 50 Prozent der benötigten Summe, so der Ortschef, könne da gerechnet werden. Allerdings nur für den Fall, dass die verbleibende Summe von 35000 Euro bereits gesichert sei. „Da tun wir uns als kleine Kommune schwer und sind auf Sponsoren angewiesen. Aber wir denken über Lösungen nach.“

Auch Ralf Piepenbrink hofft auf Sponsoren – privat bis prominent, etwa auch von der Jüdischen Kultusgemeinde. Und er appelliert einmal mehr daran, die Zeugnisse eines gewichtigen Teils pfälzischer Geschichte nicht dem Vergessen anheimzugeben. „Es geht um unser Gedächtnis, das wir mit Blick auf die politische Bildung der nachfolgenden Generationen weitergeben müssen.“ Er regt als weiterführende Maßnahmen eine Hinweistafel am Friedhof, die verstärkte Zusammenarbeit mit Schulen und die Erstellung einer Informationsbroschüre für Touristen an. Auch bietet er für interessierte Gruppen Führungen. Zu erreichen ist Ralf Piepenbrink unter Telefonnummer 0 63 49/9 39 32 43 oder per E-Mail unter ralf.piepenbrink(at)nospamt-online.de. Gertie Pohlit

Kleiner Ort als Zentrum jüdischen Lebens

Mehr als 80 jüdische Friedhöfe gibt es in der Pfalz, deren größter – Essingen bei Landau – bis in die heutige Zeit genutzt wird. Die Anlage in Ingenheim bezieht ihre herausragende Stellung vor allem aus dem Fakt, dass der kleine Ort zwischen Bad Bergzabern und Landau bis ins 20. Jahrhundert die bedeutendste jüdische Landgemeinde der Pfalz beherbergte. Die 578 Mitglieder mosaischen Glaubens stellten 1848 etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung.

Sie prägten aktiv das kulturelle wie wirtschaftliche Leben des Orts und der Region. So etwa die Familie des Getreide- und Fruchthändlers Benedikt Deutsch, dessen repräsentative Niederlassung am Schnittpunkt von Bergzaberner Straße und Obergasse, erbaut 1841, dem Betrachter im Ortsbild von Ingenheim bis heute ins Auge fällt.

Es heißt im Volksmund ganz unbedarft das „deutsche Haus“. Was einem womöglich weniger leicht über die Lippen geht, wenn man weiß, dass die Nationalsozialisten das prächtige Gebäude 1939 kurzerhand als Zentrale für die Hitlerjugend requirierten. Seine Bewohner hatten es geschafft, in die USA zu entkommen – bis auf Abraham Deutsch, den Seniorchef. Der ließ sein Leben im Konzentrationslager Gurs.

Diese und andere Lebensgeschichten öffnen sich dem Interessierten auf der umfassend und kompetent gestalteten Homepage der ehrenamtlichen Friedhofsaktivisten www.juedisches-leben-ingenheim.de. Da erfährt man alles Wissenswerte rund um Daten und Historie des Friedhofs, gesellschaftliche Hintergründe, Baugeschichtliches zur Synagoge ebenso wie grundsätzliche Informationen zum jüdischen Bestattungskult, Steinmetzkunst und Landschaftspflege.

Zudem ist die Webseite eine Fundgrube für Genealogen. Mithilfe der Inschriften und archivarischer Forschung ließen sich Familiengeschichten rekonstruieren. Interaktive Module – Straßenkarten, Kontaktformulare, Frageportale – sollen helfen, mithilfe der Bevölkerung der Forschung weitere Erkenntnisse zuzuführen. gpo

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