Das Risiko gemeinsam schultern

Solidarische Landwirtschaften mit starkem Zulauf – Regionalgruppe Rheinland-Pfalz-Saarland gegründet

Eichblattsalat und mehr: Marc Grawitschky (links) und drei Helferinnen bei der Ernte auf dem Wahlbacherhof. Foto: Steinmetz

Salat, Fenchel und Mangold sind nur ein Bruchteil dessen, was auf den Feldern des Wahlbacherhofs in Contwig reift. Für Sommer und Herbst sind bereits Zucchini, Kürbisse, Sellerie und Wirsing gesetzt. Rund 300 Legehennen und zwischen neun und 16 Mastschweine liefern Eier und Fleisch. Das Besondere: Landwirt Marc Grawitschky und seine Lebensgefährtin Marlene Herzog wissen genau, auf wessen Tischen das Essen landet. Seit 2005 betreiben sie eine solidarische Landwirtschaft. Sie verpflichten sich für ein Jahr, für die Gemeinschaft zu produzieren. Im Gegenzug übernehmen die 140 Anteilseigner die Kosten für Produktion und Verarbeitung. So ernährt der Hof rund 300 Personen. Fleisch, Obst, Gemüse und Eier holen sie sich auf dem Hof oder in einer Ausgabestelle bei St. Ingbert-Hassel ab, nehmen dafür Fahrten von bis zu 20 Minuten mit dem Auto auf sich.

„Wenn man so viele Kulturen anbauen möchte wie wir, funktioniert das nicht über den Großhandel“, sagt Grawitschky. Die Alternative sei, dreimal die Woche einen Marktstand aufzubauen. „Was nur geht, wenn der Markt gut läuft.“ Und um Contwig herum trete man schnell in Konkurrenz zu Kollegen. Im Gegensatz dazu ist die Solawi ein geschlossener Wirtschaftskreislauf. Überschussproduktion ist nicht vorgesehen.

Vielleicht deshalb ist die Idee erfolgreich. Laut dem Netzwerk Solidarische Landwirtschaft gibt es bundesweit mindestens 145 solidarisch bewirtschaftete Höfe und 102 Initiativen. Als 2012 mit der Netzwerkarbeit gestartet wurde, waren es gerade einmal acht, sagt Netzwerksprecherin Stephanie Wild. Allein seit Januar dieses Jahres sind rund 30 Höfe dazugekommen, pro Woche gehen im Schnitt zwei bis drei Anfragen von Landwirten oder Verbraucherinitiativen ein. Das Netzwerk will potenzielle Anteilseigner und Höfe zusammenführen.

Was nicht immer leicht ist. Rebecca Simon beispielsweise sucht mit ihrem Lebensgefährten einen Hof im südlichen Hessen, Rheinland-Pfalz oder im Norden Baden-Württembergs, auf dem sie dieses Konzept umsetzen könnte. Viele Besitzer machten bei einer Übergabe enge Vorgaben, wie der Hof weiterzuführen sei. Dazu komme die Finanzierung, erklärt die 31-Jährige aus dem Raum Schwäbisch Hall, die sowohl eine landwirtschaftliche Ausbildung als auch ein Studium der Ökologischen Agrarwissenschaften hinter sich hat.

Anfangs war Simon, die gerne Milchschafe halten sowie Getreide und Hülsenfrüchte anbauen möchte, nicht unbedingt vom Konzept überzeugt. „Das war mir zu experimentell“, gibt sie zu. Erst als sie gegen Ende des Studiums auf dem zweiten so erfolgreich geführten Hof bei Witzenhausen als Gärtnerin mitarbeitete, fand sie daran Gefallen. „Größtmöglicher Kontakt zu den Menschen, die Wertschätzung der Ware“, nennt sie ihre Gründe.

Dies ist nicht nur für die Landwirte eine große Motivation, hat Anteilseignerin Rebecca Chong aus Zweibrücken bemerkt. Sie hat die Mitmacher auf dem Wahlbacherhof anlässlich ihrer Bachelorarbeit zur Motivation befragt. Frische, saisonale, regionale, biologische Lebensmittel sind ihnen genauso wichtig wie die Idee der Selbstorganisation. Wer möchte, kann einmal die Woche auf den Hof kommen und jäten helfen, freitags wird beim Ernten angepackt.

Trotz der regelmäßigen Hilfe hat Grawitschky vier Mitarbeiter angestellt. Außerdem hilft Manfred Nafziger. Der ehemalige Hofinhaber ist jetzt Hauptgesellschafter einer Kommanditgesellschaft. „Das war für uns bei der Übernahme das geschickteste Modell“, sagt Grawitschky. „Auf diese Weise müssen wir den Hof nicht pachten.“

Anfangs war Grawitschky unsicher, ob das Konzept aufgehen würde. Solche Ängste kennt auch Stephanie Wild vom Bundesnetzwerk. „Ab 100 Leuten ist das aber eine relativ sichere Nummer.“ Es gebe jedoch genauso Höfe, die sich mit weniger Anteilsinhabern rentieren. Nur selten gingen negative Rückmeldungen ein. Oft seien es dann eher persönliche Gründe oder Probleme bei der Kommunikation. So bei der Solidarischen Landwirtschaft Oberalben. Dort trennten sich zwei Kompagnons nur drei Monate nach dem Start im vergangenen Jahr wegen unterschiedlicher Ansichten. Gestorben ist die Idee dennoch nicht. 23 Anteilseigner gehen mit Landwirt Alexander Gerthner ins zweite Anbaujahr.

In der Nähe größerer Städte sei es am leichtesten, Mitstreiter zu mobilisieren, sagt Wild. Allerdings habe sich gezeigt, dass dort auch die Fluktuation der Anteilszeichner größer sei. Auf dem Wahlbacherhof Contwig hören pro Jahr rund zehn Prozent auf, ist die Erfahrung von Grawitschky. „Man muss das Abholen der Waren auf dem Hof ins Leben integrieren.“ Dafür stehen jetzt schon wieder Leute auf der Warteliste. Wenn es deutlich mehr Anteilseigner würden, müssten sie mehr Mitarbeiter einstellen, erklärt Grawitschky. Außerdem nehme dann die Büroarbeit weiter zu.

Schließlich ist die Kommunikation wesentlicher Bestandteil. Was wann angebaut wird oder warum eine Ernte nicht so gut ausfällt wie geplant, steht im Rundbrief und auf der Homepage. Ein jährlich neu gewähltes Hofkomitee vermittelt zwischen Anteilseignern und Kommanditgesellschaft. Dabei können durch die verdeckte Bieterrunde am Anfang jeder Saison auch wirtschaftlich schwächere Mitglieder teilnehmen.

Mittlerweile ist der Bauernhof mehr als reiner Produktionsort. Ein Event-Komitee kümmert sich um Feiern, veranstaltet ein Strohkino, es gibt Angebote zur Wildnispädagogik wie Feuermachen ohne Feuerzeug. Das Hofkomitee hat Rezepte zu wenig bekannten Gemüsesorten zusammengestellt. „Als es in einem Jahr eine Tomatenschwemme gab, haben sich die Leute informiert, wie das Einmachen funktioniert“, sagt Rebecca Chong. In einem Bücherregal können gelesene Bände ausgetauscht werden, andere Mitmacher verwirklichten die Idee eines Kräuterbeets. Die Solawi verändere das Verhalten der Mitglieder, hat Chong festgestellt. „Viele backen inzwischen ihr eigenes Brot.“ Andere achten auf Biosiegel bei der Kleidung oder kaufen nur noch lose Seifen, um Müll zu vermeiden. Sogar ein eigenes Solawi-Lied ist entstanden.

Solche Ideen wollen die Mitglieder weitergeben. Vergangenen Herbst hat Chong die Regionalgruppe Rheinland-Pfalz-Saarland gegründet. Ende Juni fand das zweite Treffen statt. 13 Höfe sind darin vertreten, darunter der Akazienhof Neustadt oder der Bioland Betrieb Klaus Fix in Rödersheim-Gronau, der die Solidarische Landwirtschaft Mannheim-Ludwigshafen beliefert. Viele sind erst in den letzten Jahren entstanden. Chong nennt weitere Höfe, die eine Solawi werden wollen – und sich neben der Weitergabe von Wissen auch ganz praktisch unterstützen. Als der Schmitthof in Weitersweiler in der vergangenen Saison zu viele Zwiebeln hatte, schenkte er sie dem Wahlbacherhof Contwig. Auch so funktioniert Solidarische Landwirtschaft. Florian Riesterer

Solawi-Konzept

Das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft hat sich an verschiedenen Orten auf der Welt unabhängig voneinander entwickelt. In den 1960er Jahren entstanden in Japan „Teikeis“, zu Deutsch „Partnerschaften“, in den 1980er Jahren in den USA die „Community-supported Agriculture“ (CSA). Diese Art der landwirtschaftlichen Vermarktung fand auch in Frankreich und der Schweiz Anklang. In Deutschland wurde 1988 der Buschberghof in Hamburg als erster Betrieb solidarisch bewirtschaftet. Flor

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