Mozarts Intermezzo in der Pfalz

Die Orgel in der Paulskirche Kirchheimbolanden ist eines der letzten Werke von Johann Michael Stumm

Hat bereits zwei Sanierungen hinter sich: Die Stumm-Orgel aus den 1740er Jahren in der Paulskirche Kirchheimbolanden. Foto: Pohlit

Hätte der jugendliche Gast aus dem fernen Salzburg damals, 1778, schon geahnt, dass allein seine Stippvisite in der kleinen Residenz Kirchheimbolanden knapp 170 Jahre später „lebensrettend“ für die von Meister Stumm erstellte Orgel in der Paulskirche sein würde – wer weiß: Er hätt’ ihr vielleicht noch g’schwind eine Ouvertür’ oder wenigstens ein Fugerl zugeeignet, der Wolfgang Amadé.

1943 nämlich, als die Götterdämmerung das „Tausendjährige Reich“ endlich zu verdunkeln begann, sollten die Kriegsfackeln noch einmal auflodern. Mit Glockenstahl und Zinnpfeifen. Und dass die Stumm-Orgel in der lutherischen Schlosskirche der Nassau-Weilburger dem barbarischen Inferno entging, verdankt sie allein dem Salzburger Komponisten und trägt seither zu Recht seinen Namen: Mozart-Orgel.

Dabei hatte der 22-Jährige, der vom Vater gemeinsam mit der Mutter auf eine Rundreise durch die süddeutschen Residenzen entsandt worden war, um endlich eine veritable Anstellung als Hofkompositeur zu erlangen, eher widerwillig auf der Kirchheimbolander Orgelbank Platz genommen. Das ist belegt. Von München, wo der mächtige Kurfürst Carl Theodor Mozart hinhält, reist der Komponist diesem über Augsburg nach Mannheim nach. Von dort aber bricht der sinnenfrohe Potentat samt Hofstaat bald wieder nach München auf. Mozart bleibt in Wartehaltung und ist obendrein – oje – zum ersten Mal ernsthaft verliebt. Aloysia, die Angebetete, darf mitreisen, als die kunstsinnige Fürstin Caroline ins benachbarte Residenzstädtchen einlädt. Sechs Tage dauert der Aufenthalt, und Wolfgang Amadé wird zu Ausflügen auf die Orgeltastatur genötigt, tut eher unlustig, was grad commod’ erscheint. Das Geld wird knapp, und wenig später wird er widerspruchslos Vater Leopolds ungnädiger Aufforderung Folge leisten und die „miefige“ Pfalz verlassen. Fort mit dir nach Paris!

Martin Reitzig, Bezirkskantor für den Bereich Donnersberg-Winnweiler mit Sitz in Kirchheimbolanden, schwärmt vom außergewöhnlichen Instrument in der Paulskirche, zu Beginn der 1740er Jahre erbaut, eines der letzten und zudem besterhaltenen originalen Werke von Johann Michael Stumm (1683 bis 1747), dem Gründervater einer der berühmtesten Orgelbauerdynastien.Zwei substanzielle „Liftings“ hat die barocke Schönheit erfahren, einmal 1936, sehr behutsam und kundig durch die angesehene Firma Steinmeyer – seither gibt es einen zweiten elektrifizierten Spieltisch und der Pedalumfang wurde erweitert. Die Firma Oberlinger aus Windesheim ging dagegen in den 1960er Jahren weniger zimperlich zu Werke und verfügte den alten, durchaus funktionsfähigen mechanischen Spieltisch zugunsten eines weiteren neuen ins Abstellkämmerchen. Dennoch: Die Mozart-Orgel genießt in Fachkreisen hohes Ansehen. Ein solches Kleinod begeistert Interpreten aus Nah und Fern, zieht soghaft an. Das beweist eine ganze Reihe von Konzertveranstaltungen, die Reitzig regelmäßig organisiert, unter anderem den „Kirchheimbolander Orgelsommer“.

Es sei sehr pflegeintensiv, sein „Baby“, sagt Martin Reitzig, belohne aber mit einem berückend schönen und unverwechselbaren Klang. Eine authentische Stimme aus der barocken Vergangenheit. Wobei, räumt er ein, das stets mit einem kleinen Fragezeichen versehen bleibe – wie weit sind wir heute vom ursprünglichen Klang weg? Zumal das Instrument zu Beginn einen Halbton höher intoniert gewesen sei. Glücklich wäre er fürs Erste, wenn sich – natürlich eine Frage der Finanzen – die klimatischen Bedingungen in der Kirche etwas „orgelgerechter“ gestalten ließen. Extremen Temperaturschwankungen beispielsweise – winters wie sommers ein Problem – könnte man schon durch entsprechende Fensterverglasung entgegengewirken.

Für Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald und den für alle technischen Belange zuständigen Orgelbausachverständigen der Landeskirche, Gero Kaleschke, rangiert das Instrument durchaus auf den vorderen Plätzen der kurz- und mittelfristig zu sanierenden Orgeln in der Pfalz. Auch wenn kein akuter Handlungsbedarf bestehe, so Steuerwald, sei doch Ziel, den historischen Stumm’schen Spieltisch wieder in das Ensemble zu integrieren. Für eine historiengetreue Wiedergabe von Renaissance- und Barockliteratur. Die elektronische Variante sei für alle späteren Epochen einsetzbar. Ein entsprechendes Gutachten liege in Kürze vor.

Ohnehin wollen beide Experten als oberste Hüter des landeskirchlichen Orgelbestands bis Jahresende einen Dringlichkeitskatalog zum Thema Orgelsanierung und -restaurierung vorlegen. Angeführt wird diese „Hitliste“, verrät Steuerwald schon jetzt, von der Orgel in der St. Georgskirche Kandel, ein Instrument aus der Werkstatt des elsässischen Orgelbauers Joseph Stiehr, etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut. Wertvoll und dringend sanierungsbedürftig. Die Krux: Mit viel mehr als Empfehlung und fachlicher Beratung kann die Landeskirche den Gemeinden nicht dienen, wiewohl sie „als untere Denkmalbehörde bei historischen Objekten schon in gewisser Weise in der Pflicht“ sei, sagt Kaleschke. Bei Fällen, in denen Eile geboten ist, werden immerhin 15 Prozent der Gesamtkosten aus einem sachgebundenen Fonds zugeschossen. Aber die Hauptkostenlast schultert jeweils die Kirchengemeinde.

Doch zurück nach Kirchheimbolanden, in die äußerlich so schlicht erscheinende turmlose Paulskirche mit ihrem üppig ausgestalteten Interieur, als dessen glanzvolle Mitte die herrliche Stumm-Orgel über dem Altar unweigerlich die Blicke bindet. Sehr bald, im Jahr 2020, werde man ihren 275. Geburtstag feiern, erinnert Martin Reitzig, und verbindet damit die Hoffnung auf mehr als nur Bestandsschutz des wertvollen Kleinods. Gertie Pohlit

Orgelsommer in der Paulskirche

2. Juli, 17 Uhr: „Musikalische Gebete“ – Werke von Bach, Peter M. Braun, Guy de Lioncourt, Piazolla; Sabine Pfeifer, Klarinette und Saxofon, Georg Treuheit, Orgel.

13. August, 18 Uhr: „Nun danket alle Gott“ – Werke von Bob Chilcott, Dubois, César Franck, Liszt, Mendelssohn Bartholdy und Charles M. Widor; Bezirkskantor Martin Reitzig, Orgel.

10. September, 17 Uhr: „Komm, Heiliger Geist“ – Werke von Bach, Georg Böhm, Dietrich Buxtehude, Maurice Duruflé, Vincent Lübeck und Gustav A. Merkel; an der Orgel: Soline Guillon, Jülich.

3. Oktober, 17 Uhr: Chor- und Orchesterkonzert – Wolfgang Amadeus Mozart: Missa in C-Dur „Spatzenmesse“, Robert Schumann: Cello-Konzert a-Moll, Franz Schubert: Sinfonie h-Moll „Die Unvollendete“, Felix Mendelssohn Bartholdy: Psalm 42, „Wie der Hirsch schreit“; Antonietta Jan, Sopran, ­Annette Wieland, Alt, Martin Steffen und Christoph Jakobi, Tenor, Thomas Herberich und Aaron Kauffmann, Bass, Bezirkskantorei Kirchheimbolanden-Winnweiler, Collegium Musicum, Ludwigshafen, Gesamtleitung: Martin Reitzig.

Karten zu 14 Euro: Buchhandlung Sattler, Sparkasse Donnersberg und protestantisches Verwaltungsamt; Abendkasse: 16 Euro. Informationen unter E-Mail: mrreitzig@web.de

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