Stundenlang durch Lavaröhren gerobbt

Die Geophysikerin Christiane Heinicke lebt ein Jahr in einer Weltraum-Wohngemeinschaft auf dem Mars • von Andrea Seeger

Christiane Heinicke im schweren Raumanzug auf einem der vielen Ausflüge rund um die Station. Foto: privat

Die junge Geophysikerin aus Bitterfeld in Sachsen-Anhalt ist die einzige Deutsche bei der Mission. Foto: privat

So sieht es im Uzboi Vallis aus, einem Tal auf dem Mars. Foto: NASA

Ein Jahr lang lebte Christiane Heinicke auf 110 Quadratmetern – mit zwei Frauen und drei Männern am Rande eines Vulkans auf Hawaii. Ihr Zuhause auf Zeit war eine nachgebildete Raumstation, in dem Freiwillige das Leben auf dem Mars simulierten. Denn irgendwann werden Astronauten sich dorthin auf den Weg machen – dann mit den Erkenntnissen der Geophysikerin aus Sachsen-Anhalt, der einzigen Deutschen an Bord, und ihrer Crew.

In einer außerirdischen Wohngemeinschaft leben nur wenige Menschen. Christiane Heinicke, 30 Jahre alt und gebürtig aus Bitterfeld in Sachsen-Anhalt, weiß, dass ihr Leben als Sardine etwas ganz Besonderes war. Sie wollte unbedingt dabei sein bei der Marserkundung. Ein hartes Auswahlverfahren mit Fragebögen, Vorstellungsgespräch via Skype und einer Trekking-Woche in den Rocky Mountains lagen hinter ihr, als sie erfuhr: Sie ist dabei! Die „Hawaii Space Exploration Analog and Simulation (HI-SEAS)-Mission“ finanzierte die amerikanische Weltraumagentur Nasa, realisiert hat sie die University of Hawaii. Das Ziel der Studie: die Faktoren zu bestimmen, die die Gruppendynamik auf künftigen Marsmissionen beeinflussen können. Der Mars, auch roter Planet genannt, ist ein begehrtes Studienobjekt von Astronomen. Die Entfernung zur Erde schwankt zwischen 56 und 401 Millionen Kilometern, da sich beide Planten nicht synchron um die Sonne bewegen. Im Durchschnitt sind es 228 Millionen Kilometer.

Weit weg also. Aber Christiane Heinicke war mit ihren Kolleginnen und Kollegen gar nicht so weit weg. Sie befand sich in einem Habitat, einer Art Zelt, auf halber Höhe des Vulkans Mauna Loa auf Hawaii. In der nachgebildeten Raumstation mit einem Durchmesser von elf Metern hatte jeder der sechs Probanden ein eigenes, winziges Zimmer, mehr eine Kabine, mit Bett, Tisch, Hocker, Regal, einem Ablagebrett an der Wand und zwei Boxen unter dem Bett. Es gab zwei Toiletten, eine im Obergeschoss neben den Zimmern, eine im Erdgeschoss. Dort war auch eine Dusche. Maximal acht Minuten sollte jeder duschen – pro Woche. „Das war überhaupt eine der wichtigsten Erfahrungen des Aufenthalts“, sagt Heinicke. Sie meint den Umgang mit Wasser. Der Durchschnittsdeutsche verbrauche rund 120 Liter Wasser am Tag. „Wir haben zu sechst weniger als 100 Liter benötigt“, sagt sie. „Jeder Einzelne etwa 15 Liter. Die gingen vor allem fürs Trinken und Essenkochen drauf.“ Sie habe schon vorher nicht mit Wasser geprasst, aber jetzt achte sie noch genauer drauf.

Sie hätten sich schon wie auf dem Mars gefühlt. „Natürlich haben wir beim Blick aus dem Fenster blauen statt roten Himmel gesehen und gelegentlich Wolken, die es auf dem Mars so nicht gibt“, räumt die Forscherin ein. Durch ihre abgeschiedene Lage, die andersartige Landschaft und die stark beschränkte Kommunikation mit der Außenwelt seien sie aber tatsächlich beinahe so isoliert gewesen wie Menschen auf einem anderen Planeten. Jegliche Nachricht von und zum simulierten Mars war 20 Minuten lang unterwegs, etwa so lange, wie sie im schlimmsten Fall auch zum echten Mars unterwegs wäre. Mails konnten sie durchaus schreiben und empfangen – aber ein Telefongespräch sei unter solchen Bedingungen unmöglich, selbst wenn es auf dem Mars Telefone gäbe.

Die Bewohner trugen Sensoren, überall hingen Kameras. Als Rückzugsorte dienten nur die Kabinen. Gekocht haben die drei Frauen und drei Männer reihum – mit Solarenergie. Möhren, Mais und Zwiebeln gab es gefriergetrocknet, Hühnchen und Rindfleisch in Dosen. Da alle elektrischen Geräte in der HI-SEAS-Station solarbetrieben waren, richtete sich der Tagesablauf der Crewmitglieder stark nach der Sonneneinstrahlung. „Jeden Tag trafen wir uns um halb sieben zum Abendessen, für das wir aber meist schon am frühen Nachmittag gekocht hatten, lange vor Sonnenuntergang. Mittags gab es dann häufig Reste vom Vortag“, berichtet die Wissenschaftlerin.

Sie habe sich riesig auf frisches Obst und Gemüse gefreut, insbesondere Gurken und Tomaten, auf die sie weitgehend verzichten mussten. „Unsere sonnengetrockneten Tomaten waren ungenießbar, und unsere selbst angebauten Stauden haben in dem ganzen Jahr vielleicht 20 kleine Tomätchen abgegeben – für sechs Personen“, lacht sie. Gegossen hätten sie das angebaute Gemüse zum Teil mit selbst gewonnenem Wasser. Das war eine der Aufgaben für die Geophysikerin Christiane Heinicke. Sie sollte Wasser aus dem Lavaboden des Mauna-Loa-Vulkans gewinnen, der einen ähnlich niedrigen Wassergehalt wie der Marsboden hat, dem roten Planeten geochemisch insgesamt sehr ähnlich ist. Das wissenschaftliche Experiment sollte zeigen, dass so etwas überhaupt möglich ist. „Über das gesamte Jahr habe ich grob geschätzt 100 Liter Wasser gewonnen – aus einem einzigen Quadratmeter. Auf dem Mars könnte man natürlich eine größere Anlage bauen. Für Marsmissionen wäre das eine relativ einfache Möglichkeit, an frisches Wasser zu kommen“, erklärt die Wissenschaftlerin.

Die Daten aller wissenschaftlichen Experimente haben die sechs Forscher Tag für Tag an die University of Hawaii weitergeleitet, wo ein Team von Wissenschaftlern sie analysiert. Die Auswertung, aus der Berichte für die Nasa gefertigt werden, ist in vollem Gang. Getrunken haben Christiane Heinicke und ihre Kollegen das destillierte Wasser übrigens nicht. „Es schmeckte furchtbar.“ Es sei aber das Wichtigste bei so einer Mission überhaupt, dass man sich sinnvoll beschäftige.

In ihrer Freizeit hat Christiane Heinicke Bücher gelesen, zu Beginn der Mission Salsa getanzt, später begann sie, Französisch und Mundharmonika zu lernen. Um trotz des eingeschränkten Raums im Habitat fit zu bleiben, haben alle Crew-Mitglieder Sport getrieben. „Manchen reichten fünf Minuten auf dem Fahrrad, andere wurden unruhig, wenn sie nicht täglich zwei Stunden für Sport zur Verfügung hatten. Ich war irgendwo in der Mitte und habe etwa eine Stunde Sport pro Tag gemacht“, erzählt Heinicke. Und natürlich haben die Außeneinsätze Kraft und Energie gekostet. „Unsere Hauptaufgabe war es, uns im Habitat an die Regeln zu halten und Fragebögen auszufüllen“, erklärt Heinicke. Zweimal in der Woche aber eben auch Außenerkundung. Denn was macht eine Marsmission aus? Für die Deutsche auch die Ausflüge. „Sonst wäre es ja wie in Urlaub fahren und das Hotelzimmer nicht verlassen“, findet sie. Das sahen zwei andere Team-Mitglieder gründlich anders. Es habe dann öfter Streit gegeben wegen Sicherheitsfragen.

Sie sei aber mit ihrem Lieblingscrewmitglied Carmel stundenlang durch eine der Lavaröhren gerobbt. Zweimal in der Woche – mittwochs und samstags – standen Außeneinsätze planmäßig auf dem Programm. Dabei kamen zwei Arten von Bekleidung zum Einsatz: ein modifizierter Gefahrenstoffanzug und ein für eine Marsmission passenderer Raumanzug, der bis zu 30 Kilo wog und die Bewegungsfreiheit stark einschränkte. Bereits bevor es überhaupt losging, mussten sich die Crewmitglieder einer mindestens halbstündigen Prozedur unterziehen. Die Anzüge mussten für den Außeneinsatz vorbereitet und mit frischen Akkus und Trinkwasser versorgt werden, dann setzten die Wissenschaftler „Headsets“ auf und überprüften ihre Funkgeräte, bevor sie endlich in die Anzüge stiegen, Schuhe und Handschuhe anzogen und den Helm aufsetzten.

Obwohl sie unter freiem Himmel waren, spürten sie weder Sonne noch Wind auf der Haut. Jeder Stein, den sie anfassten, fühlte sich genau gleich an: wie die Innenseite ihres Handschuhs. Nach langen Außeneinsätzen war Christiane Heinicke hungrig, durstig und verschwitzt, trotzdem liebte sie die Spaziergänge. „Die schönste Erinnerung an das hinter mir liegende Jahr ist das Geschenk zu meinem 30. Geburtstag: die erste Erkundung einer Lavahöhle und die anschließende Geburtstagsfeier im Habitat mit Sushi.“

Besonders die Erkundung zahlloser Höhlen habe sie zusammengeschweißt. „Wir mussten dabei außergewöhnlich großes Vertrauen zueinander haben und waren derart aufeinander angewiesen, dass wir wirklich sehr gute Freunde geworden sind“, sagt Heinicke und meint damit die Crewmitglieder Carmel, Cyprien und Tristan. Keinesfalls vermisst habe sie Verkehrslärm, Staus und Einkaufen, aber sehr wohl längere Strecken geradeaus zu laufen. Sie persönlich sei sehr viel gelassener geworden, gehe mit Konflikten anders um – besser, wie sie findet. Den Wert der Mission hält Christiane Heinicke für hoch.

Durch die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern und früheren Habitatbewohnern habe sie selbst mittlerweile einen recht guten Überblick, was man bei der Zusammensetzung der Crew so alles verkehrt machen könne. „Wenn die Erkenntnisse aus dem Experiment bei der Zusammenstellung der ersten Marscrew berücksichtigt werden, steht einer produktiven Marsmission zumindest aus ­psychologischer Sicht nichts mehr im Weg“, sagt sie. Sie wäre jedenfalls mit von der Partie. „Solange die richtigen Menschen dabei sind, die Technik ausgereift ist und es einen Rückflug gibt.“ Und sie hat noch einen Tipp für künftige Crews: „Bringt etwas Sinnvolles mit, woran ihr arbeiten könnt. Einer eurer größten Feinde ist die Langeweile.“

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