Geschenkte Freiheit braucht Verantwortung

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

„Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus … der Knechtschaft, geführt habe.“ Kirchenpräsident Christian Schad zitiert diese Ermutigung zur Freiheit (2. Mose 20, 2) in seiner Predigt zum Tag der Deutschen Einheit im Mainzer Dom. Und er zitiert Paulus (2. Korinther 3, 17): „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Mehr als 27 Jahre nach dem Aufbegehren des Volks gegen die staatliche Unterdrückung in der DDR und am 27. Jahrestag der staatlichen Vereinigung machen die beiden Verse deutlich, dass geschenkte Freiheit und tätige Verantwortung zusammengehören, weil das eine nicht ohne das andere zu haben ist.

Ja, es waren die christlichen Basis- und Friedensgruppen, die seit den frühen 1980er Jahren mit ihrem Protest „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ in einer Kirche das Samenkorn für die deutsche Vereinigung legten. Aber es waren die Ausreisewilligen und schließlich die Befürworter einer Wiedervereinigung, die aus den mutigen Montagsdemonstrationen auf dem Leipziger Ring die Massenbewegung machten, die das marode Regime der DDR zum Einsturz brachte.

Letztendlich waren es der Drang nach Freiheit und die Einsicht in den wirtschaftlichen Bankrott, die 40 Jahren Sozialismus ein Ende setzten. Das spürte die evangelische Kirche schon recht bald, als sich die Hoffnungen auf den großen Zuwachs in den ursprünglich protestantischen Kernlanden zerschlugen. Die Religionspolitik des atheistischen Staats mit Jugendweihe und Repression wirkt bis heute nach; das uneinlösbare Versprechen der Gleichheit ebenfalls.

Ja, es gibt ein starkes Stadt-Land-Gefälle im Osten, und es gibt die „abgehängten“ Gebiete, in denen die Bevölkerungszahl dramatisch schrumpft. Aber es gibt auch den Solidarpakt, riesige wirtschaftliche Anstrengungen, beste Verkehrswege, renovierte Innenstädte, prosperierende Industrieregionen. Und es gibt die strukturschwachen Regionen mit einer Vielzahl leer stehender Häuser auch im Westen – auch in der Pfalz. Es gibt Fremdenfeindlichkeit in Ost und West.

27 Jahre sind gemessen an dem bisher Erreichten eine kurze Zeit und angesichts der aktuellen Probleme kein Anlass, um in politische Panik zu fallen. Mehr als 85 Prozent der Wähler haben sich für die demokratischen Parteien entschieden. Aber die AfD erhält im Osten deutlich mehr Zulauf als im Westen. Da sind neue Mauern in der Gesellschaft entstanden – Unterschiede zwischen Arm und Reich, offen und sichtbar, was der Arbeiter und Bauer so nicht kannte: Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.

Freiheit braucht Verantwortung. Oder wie Bundespräsident Steinmeier nach dem ökumenischen Gottesdienst in seiner Einheits-Rede sagte: Es gibt neue Mauern aus Entfremdung, ­Enttäuschung und Wut, aber Wut kann die Übernahme von Verant­wortung am Ende nicht ersetzen.

Meistgelesene Leitartikel & Kommentare