Ein Beitrag zur kirchlichen Streitkultur

von Helmut Frank

Helmut Frank

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) geizt nicht mit politischen Stellungnahmen, sie mischt sich in die Politik ein: bei der Flüchtlingsdebatte, bei den Themen assistierter Suizid, Abtreibung, Präimplantationsdiagnostik, Mindestlohn Sonntagsschutz – oder bei der Ehe für alle. Die Stellungnahmen der Leitungsebenen ergeben ein Bild der Kirche, das in der Politik wahrgenommen wird. Doch inwiefern entspricht es der Befindlichkeit der 23 Millionen Kirchenmitglieder? Wie sind sie in die Debatte eingebunden?

Mit ihrem neuen Impulspapier will die EKD zunächst einmal die Diskussionskultur in der Gesellschaft insgesamt verbessern. Das 32-seitige Papier mit dem Titel „Konsens und Konflikt: Politik braucht Auseinandersetzung“ wurde von der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD erarbeitet. Ursprünglich sollte die Kammer im Auftrag des Rats der EKD Gedanken zum Umgang mit Rechtspopulisten entwickeln. Soll man mit AfD-Politikern reden? Wie geht man mit AfD-Sympathisanten in Kirchengemeinden um? Reden oder klare Kante? Antworten darauf sind in dem Papier enthalten, aber es hat insgesamt eine andere Richtung genommen. Nun sind zehn Impulse zu grundlegenden Fragen des Miteinanders in der Demokratie herausgekommen – unter anderem zur Streitkultur, zum Umgang mit Konflikten und der Rolle der Kirchen im demokratischen Dialog.

Das Meinungsspektrum in der evangelischen Kirche sei kleiner geworden, bilanzierte der Vorsitzende der EKD-Kammer, Theologieprofessor Reiner Anselm (München), bei der Vorstellung des Papiers. Er forderte dazu auf, die Pluralität innerhalb der evangelischen Kirche stärker sichtbar zu machen. Momentan gebe es einen „gewissen, durchaus auch oberflächlichen Mainstream-Protestantismus“, sagte er. Seiner Ansicht nach muss die Kirche anerkennen, dass Christen in politischen Fragen unterschiedlicher Meinung sein können. Über sie zu befinden, sei „keine Sache einer autoritären Verkündigung“. Die Grenzen der Auseinandersetzung sieht das Impulspapier dort, wo die Grenze vom Populismus zum Extremismus überschritten wird.

Das Papier ist wichtig und notwendig, weil sich die evangelische Kirche im Meinungswettstreit einmal selbstkritisch auf den Prüfstand stellt. Es ist in einem sehr nachdenklichen Ton geschrieben – ganz im Kontrast zur Brutalisierung des Tons der Auseinandersetzung in manchen digitalen Medien. Es leitet zu einer kritischen Selbstreflexion an und provoziert ­Fragen, etwa ob evangelische Christen bereit sind, auch andere Grundpositionen zur Kenntnis zu nehmen und sich damit auseinanderzusetzen. Damit leistet es einen wichtigen Betrag zur Demokratie – aber auch zur innerkirchlichen Streitkultur. Denn letztendlich hat die Führungsebene der EKD ihre interne Konfliktfähigkeit bewiesen – mit einer selbstbewussten Kammer für öffentliche Verantwortung.

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