Krisenmodus bereitet auf Kirchenkonflikt vor

von Rainer Clos

Rainer Clos

Krisenmodus? Wo bitte soll es eine Krise der Kirche geben? Die Kirchen – evangelisch wie katholisch – profitieren von der guten wirtschaftlichen Entwicklung. Für die Kirchensteuer, die an die Einkommensteuer anknüpft, wird für 2017 mancherorts gar ein Allzeithoch erwartet.

Deshalb dürfte sich verwundert die Augen reiben, wer die Debatten in einigen evangelischen Landessynoden im Frühjahr verfolgt hat. Da werden Personalentwicklungspläne vorgelegt, die keineswegs komfortable Finanzpolster widerspiegeln, sondern vor allem düstere demografische Aussichten. Und es lässt sich kaum leugnen: Folie der üppigen Kirchenfinanzen sind weiter sinkende Mitgliederzahlen.

Doch diese Erkenntnis ist so neu nicht. Dem heftig kritisierten Impulspapier „Kirche der Freiheit“, mit dem die Evangelische Kirche in Deutschland vor einem Jahrzehnt eine Debatte über Strukturreformen anstieß, lag als Prognose zugrunde: Bei einem „Weiter so“ muss die evangelische Kirche bis 2030 aus demografischen Gründen mit einem Mitgliederschwund um ein Drittel und bei der Finanzkraft mit einer Halbierung rechnen.

In den Modellrechnungen für den Bedarf an theologischem Personal fällt der Aderlass bei den Pfarrern ins Auge. In der pfälzischen Landeskirche wird die Zahl der Pfarrer von derzeit 565 bis 2030 um 30 Prozent sinken. In der Nachbarkirche Hessen und Nassau (EKHN) ist geplant, dass die Zahl der Pfarrstellen von derzeit 1522 auf knapp 1300 im Jahr 2024 zurückgeht. Hier wie dort sind mehr Beteiligung, Flexibilisierung und Kooperation sowie Teampfarrämter und Gesamtkirchengemeinden die Antworten.

Versichert wird in Speyer ebenso wie in Darmstadt, dass an der zahlenmäßigen Relation von Gemeindepfarrern und Kirchenmitgliedern nicht gerüttelt wird. In der Pfalz liegt diese Messzahl bei 1900 Gemeindemitgliedern pro Pfarrer, in der finanzstarken EKHN muss sich ein Gemeindepfarrer um 1600 Mitglieder kümmern. Vielleicht haben die Planer dabei einen zentralen Befund der groß angelegten Erhebung „Vernetzte Vielfalt“ im Blick gehabt: Danach spielt Kirchenpräsenz vor Ort eine ganz maßgebliche Rolle für Kirchenbindung. Wenn ein Kirchenmitglied den Gemeindepfarrer kennt, besteht kaum Austrittsneigung.

Den vielfach distanzierten Kirchenmitgliedern sind die zahlreichen Dienste, Arbeitsstellen, Zentren und Werke der mittleren Ebene, die neben nicht theologischem Personal auch über Funktionspfarrstellen verfügen, hingegen meist kaum bekannt und nur selten Ansprechpartner. Der latente Konflikt zwischen dem Gemeindepfarrer, der als Generalist dafür sorgen soll, dass Kirche in der Fläche trotz schwieriger Bedingungen präsent bleibt, und übergemeindlichem Dienst mit Sonderpfarrstellen um die finanziellen Ressourcen dürfte sich vor diesem Hintergrund weiter zuspitzen.

Rainer Clos war Leiter „Kirche und Politik“ in der epd-Zentralredaktion.

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