Über Leiden und Sterben Jesu Christi

von Martin Schuck

Martin Schuck

Das Leiden und Sterben Jesu steht im Mittelpunkt der Passionszeit. So stellt der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dieser Tage einen Grundlagentext vor mit dem Titel „Für uns gestorben. Die Bedeutung von Leiden und Sterben Jesu Christi“. Die EKD reagiert damit auf die vor einigen Jahren geführte Debatte, nachdem der Theologieprofessor Klaus-
Peter Jörns gefordert hatte, sich von der Vorstellung zu verabschieden, Gott habe für die Sünden der Menschen ein Opfer darbringen müssen.

In den kirchlichen Bekenntnissen ist es aber Konsens, dass der Weg Jesu zum Kreuz die notwendige Vorgeschichte der Auferstehung ist. Aber nicht nur der Gedanke der Auferstehung, auch die biblische Deutung der Leidensgeschichte Jesu wird dem modernen Menschen zunehmend fremd. Viele sind fasziniert von den Worten und Taten Jesu und möchten ihr Leben in seine Nachfolge stellen. Die Passionsgeschichte wirkt dabei wie ein Fremdkörper. Dagegen steht jedoch die gesamte Tradition christlicher Theologie. Der Apostel Paulus interessiert sich in seinen Briefen nicht für das Leben Jesu, sondern nur für dessen Tod und Auferstehung. Ebenso findet die Theologie Martin Luthers ihr Zentrum im Kreuzesgeschehen und nicht im Nacherzählen des Lebens Jesu. Dieses wurde erst in jüngerer Zeit Thema der Theologie.

Der Grundlagentext, den die Kammer für Theologie der EKD erarbeitet hat, vermeidet eine Festlegung auf eine bestimmte theologische Position. Dies ist jedoch kein Zugeständnis an die Vorlieben heutiger Kirchenmitglieder als vielmehr ein Ausdruck intellektueller Redlichkeit der Sache gegen­über. Die Autoren machen klar, dass die Deutung vom Leiden und Sterben Jesu Christi von Anfang an strittig war und es niemals – auch nicht in der Bibel – eine einheitliche Sicht gegeben hat.

Vor diesem Hintergrund ist die Rekonstruktion des biblischen Zeugnisses und der theologischen Positionen in der Kirchengeschichte die eigentliche Leistung des Textes. Beim Lesen der „theologiegeschichtlichen Erkundungen“ wird verständlich, warum immer wieder anders über das Thema nachgedacht wurde: Jede Deutung ist von zeitbedingten Fragen abhängig, die den Verstehenshintergrund der Theologen beeinflussen.

Der mittelalterliche Mensch hatte einen anderen Blick auf die Welt als der Philosoph der Aufklärung, und dieser wiederum kannte noch nicht die Fragestellungen der Postmoderne. Deshalb ist es kein Eingeständnis von Ohnmacht, sondern der Versuch, eine mehrschichtige Verständigung über dieses zentrale Thema zu ermöglichen, wenn die Autoren mit einem Katalog wichtiger Fragen und möglicher Antworten enden. Auch die Kammer für Theologie vermag nicht zu leisten, was weder Martin Luther noch all den anderen gelang: den Tod Jesu so zu deuten, dass alle zustimmen können und keine Fragen mehr offenbleiben.

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