Das Kirchenasyl als Ausnahmezustand

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Der Widerstand der Bekennenden Kirche gegen die Nazi-Diktatur genießt einen untadeligen Ruf. Der Mut der Widerstandskämpfer von damals beeindruckt bis heute. „Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet“, stellte der später hingerichtete Pfarrer Dietrich Bonhoeffer 1933 fest. Und heute?

Heute leben wir in einem freien, demokratischen Rechtsstaat mit einer funktionierenden Justiz, die jeden Bürger ungeachtet seiner Hautfarbe, Geschlechts oder sexuellen Orientierung vor staatlicher Willkür schützt – kleinere Betriebsunfälle nicht ausgeschlossen. Gibt es also keinen Grund mehr für die Kirche, sich einzumischen, mahnend die Stimme und den Finger zu erheben, womöglich gar selbst zur Tat zu schreiten? Oh doch!

Religion sei Privatsache, hört man oft. Aus der Politik möge sich die Kirche heraushalten. Im Gegenteil: Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), legt in einem Zeitungsbeitrag dar, dass die Gottesliebe gläubiger Menschen geradezu zwangsläufig zur Nächstenliebe führt. Womit wir wieder bei Bonhoeffer wären: Nächstenliebe heißt, den Bedrängten beizustehen. Für die Kirche bedeutet das, sich einzumischen.

Und mehr noch: Sie greifen auch ein. Ein derzeit heiß umstrittenes Thema ist das Kirchenasyl. Da nehmen Gemeinden Flüchtlinge auf, deren Abschiebung unmittelbar bevorsteht, entweder in ihr Herkunftsland oder in den EU-Mitgliedsstaat, den sie als ersten betreten haben. Mitunter haben diese Menschen den Rechtsweg noch nicht einmal ausgeschöpft, aber die Behörden wollen Fakten schaffen.

Das verhindert das Kirchenasyl. Es gibt den Betroffenen die Möglichkeit, ihre Situation noch einmal von einem Gericht überprüfen zu lassen. Viele solcher Fälle sind in der Vergangenheit mit einer Anerkennung des Asylantrags beigelegt worden.

Behörden, Gerichte und die Polizei haben dieses Kirchenasyl bislang respektiert. „Das Kirchenasyl bleibt ein Ausnahmezustand, der kein eigenes Recht begründet, sondern dem Recht dient“, sagte Renke Brahms, Friedensbeauftragter der EKD. Es bricht kein Recht, sondern verschafft ihm Geltung. Wer aus dem Kirchenasyl heraus den Asylantrag anerkannt bekommt, hätte ohne dieses Asyl ja einen Rechtsbruch erlitten – die Abschiebung.

In Ludwigshafen hat die Polizei nun erstmals eine ägyptische Familie aus dem Kirchenasyl heraus abgeschoben. Deren Asylwunsch war unbegründet, die Papiere, die eine Verfolgung belegen sollten, waren gefälscht. Auch Kirchengemeinden müssen genau hinsehen, wem sie Asyl gewähren. Betrieben hatte die Abschiebung ein Landkreis. Zwar sind Ausländerbehörden kommunal, aber auch die Kosten der Versorgung von Asylbewerbern tragen Kreise und Städte. Sollte der Wunsch,  Fakten zu schaffen, also finanzielle ­Motive haben, wäre das unerträglich.

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