Auf dem Tiefpunkt: Deutschland und Israel

von Wolfgang Weissgerber

Wolfgang Weissgerber

Der Holocaust, die Vernichtung der Juden, lastet als ewige Hypothek auf Deutschland. Judenfeindlichkeit – Antisemitismus genannt – wird deshalb aufmerksam registriert, in Deutschland selbst und auf der ganzen Welt. Zudem ist auch das Verhältnis der Bundesrepublik zum Staate Israel, den Juden 1948 nach dem Holocaust auf historischem Boden neu gründeten, von besonderer Art. Beide Bereiche nehmen zurzeit eine besorgnis­erregende Entwicklung.

Deutschland steht aufgrund seiner historischen Schuld und Verantwortung stets an der Seite Israels. Seit einigen Jahren fällt dies der Bundesregierung aber zunehmend schwer. Die rechtsgerichteten Regierungen stoßen mit der ungehemmten Besiedlung von Palästinensergebiet auch die engsten Freunde Israels vor den Kopf. Von Präsident Barack Obama noch massiv unter Druck gesetzt, hat Regierungschef Benjamin Netanyahu durch den Machtwechsel in den USA nun quasi freie Hand in den besetzten Gebieten. US-Präsident Donald Trump hat für palästinensische Interessen wenig übrig, sieht in einem Muslim vor allem einen potenziellen Terroristen.

Nach dem geplatzten Treffen zwischen Netanyahu und Bundesaußenminister Sigmar Gabriel ist das Verhältnis von Deutschland und Israel auf dem Tiefpunkt. Netanyahus Absage war gewiss eine Überreaktion. Heikel ist die Situation nun aber auch deswegen, weil Deutschland und die USA gegenüber Israel erstmals unterschiedlicher Meinung sind. Dem größten Teil der arabischen Welt ist der Staat Israel seit seiner Gründung ein Dorn im Auge. Auch die palästinensische Hamas bestreitet sein Existenzrecht. Israel tut andererseits mit seiner aggressiven Siedlungspolitik alles, um die im Grundsatz längst getroffene Zwei-Staaten-Regelung zu unterlaufen und nachhaltig zu unterbinden.

Erschreckend ist auch die Zunahme antisemitischer Hasskriminalität. Sie geht zum überwiegenden Teil auf das Konto rechter oder rechtsextremer Kreise. Das gilt auch für körperliche Angriffe, denen sich Juden in Deutschland ausgesetzt sehen. Paradoxerweise ist Deutschland dennoch ein beliebtes Einwanderungsland für Juden aus Israel ebenso wie aus der ehemaligen Sowjetunion.

Eine Mär scheint es indes zu sein, dass muslimische Einwanderer verstärkt Antisemitismus nach Deutschland tragen. Mit Fakten lässt sich das nicht belegen, und Muslimen allein wegen ihrer Herkunft aus israelfeindlichen Ländern von vorneherein Antisemitismus zu unterstellen, ist schon wieder eine Art von Rassismus.

Auch die Kirche muss sich über ihr Verhältnis zum Judentum Gedanken machen. Zwar gab es angesichts des Reformationsjubiläums klare Aussagen zu Luthers Antisemitismus, vor allem in seinen Spätschriften. Aber wie es um einen möglichen Antisemitismus in den Gemeinden bestellt ist, weiß niemand. Es wäre weltfremd zu glauben, dass es ihn dort nicht gibt.

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