Wie der Tod Platz im Leben finden kann

von Susanne Schröder

Susanne Schröder

Vor 35 Jahren wurde in der Schweiz der Verein Exit gegründet. Sein Ziel: Unheilbar kranke Menschen sollen den Zeitpunkt ihres Todes selbst bestimmen dürfen. Ein Jahr später, es war 1983, wurde in Deutschland an der Uniklinik Köln die erste Palliativstation gegründet. Ihr Ziel: Unheilbar kranke Menschen sollen am Lebensende selbstbestimmt und ohne Schmerzen auf ihren Tod warten dürfen.

Seither hat sich viel getan rund um die Angst der Menschen vor dem Sterben. Belgien beispielsweise verabschiedete 2002 das liberalste Sterbehilfegesetz Europas. Dort ist es seither laut einer Uni-Studie von 2015 „messbar üblicher“ geworden, „um Euthanasie zu bitten“. 4,6 Prozent der Todesfälle in Belgien sind Fälle von aktiver Sterbehilfe. 2007 lag der Anteil noch bei 1,9 Prozent. Als wichtigste Gründe für die Bewilligung gaben die Ärzte in der Studie den Wunsch des Patienten, physisches oder psychisches Leiden oder Aussichtslosigkeit in der Therapie an. 2014 hob das belgische Parlament die Altersbeschränkung für Sterbehilfe auf: Es ist das einzige Land, das Kindern jeden Alters das Recht auf einen selbst gewählten Tod einräumt – mit Zustimmung der Eltern.

In Deutschland hingegen hat sich aus den zarten Anfängen der Palliativbewegung ein immer dichteres Netz von Hospizarbeit entwickelt. Deren Verdienst: Tod und Sterben sind nicht mehr die gesellschaftlichen Tabuthemen, die sie einmal waren. Zwei Drittel der Deutschen wissen, worum es bei der Hospizarbeit geht. Immer häufiger können Sterbenskranke ihre letzten Tage im Hospiz verbringen. Immer öfter nehmen Angehörige die Hilfe der ambulanten Palliativteams in Anspruch. Es wird wieder „normaler“, einen Verstorbenen noch eine Nacht zu Hause zu behalten, ihm ­Fotos oder andere Andenken mit in den Sarg zu legen.

In Ruhe in einer vertrauten Umgebung sterben zu dürfen, ist ein Segen – 66 Prozent der Deutschen wünschen sich das. Doch nur für jeden Vierten geht dieser Wunsch in Erfüllung. 40 Prozent der Menschen sterben im Krankenhaus, 30 Prozent im Pflegeheim. Die Wartelisten der Hospize sind oft lang. Es ist dringend nötig, dass Hospizarbeit gestärkt wird. Doch genauso wichtig ist, dass Pflegeteams in Altenheimen und Krankenhäusern mehr Zeit bekommen für die Begleitung Sterbender. Eine Nachtschwester, die im Schnitt für 52 Heimbewohner zuständig ist, hat keine Zeit, um am Bett eines Sterbenden zu sitzen.

Der Tod ist eine sehr persönliche Angelegenheit. Manche bestellen ihn mittels Spritze ein. Manche müssen ihn erleiden. Manche können ihn geduldig erwarten. Der Hospizarbeit ist es gelungen, dem Tod wieder einen Platz im Leben der Menschen zu verschaffen. Er wird deshalb nicht zum Freund. Aber Hospiz- und Palliativarbeit hilft Patienten, die Souveränität über ihr Leben zurückzugewinnen. So wird für manche aus Todesangst am Ende vielleicht sogar: Lebensmut.

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