Kirchen in der Ukraine spielen keine gute Rolle

von Karsten Packeiser

Karsten Packeiser

Mehrere rivalisierende orthodoxe Kirchen, im Westen die Unierten, die orthodoxe Gottesdienste feiern, aber den Papst als Oberhaupt anerkennen, dazu Katholiken und viele Freikirchler – die konfessionelle Gemengelage in der Ukraine war schon seit der Unabhängigkeit ziemlich verworren. Bei den Massenprotesten in Kiew vor einem Jahr versuchten die Vertreter verschiedener Kirchen noch gemeinsam, ein Blutvergießen zu vermeiden, doch ihre Appelle blieben ungehört. Heute, wo das Land in Trümmern liegt, könnten die Kirchen einen Beitrag zum Ende der Gewalt leisten. Stattdessen begleichen ihre Anhänger lieber alte Rechnungen: Im Westen der Ukraine stürmen nationalistische Schlägertrupps immer wieder orthodoxe Kirchen. Aus den selbst proklamierten Volksrepubliken im Osten häufen sich die Meldungen über Schikanen und brutale Gewalt gegen Protestanten und andere religiöse Minderheiten.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion hatte sich vor einem knappen Vierteljahrhundert auch die orthodoxe Kirche in der Ukraine gespalten. Ein Teil der Orthodoxen blieb weiter mit dem Moskauer Patriarchat verbunden, ein anderer gründete einseitig das eigenständige Patriarchat von Kiew. Seither nutzten alle Kräfte der verkommenen Kiewer Polit-Elite die Kirchenspaltung für ihre Ränkespiele und, schlimmer noch, die Kirchenoberen spielten meist willig mit.

Im Februar flog der Patriarch von Kiew, Filaret, höchstpersönlich in die Vereinigten Staaten, um bei den ­Amerikanern für Waffenlieferungen an die Regierungstruppen zu werben. Auch zum Jahrestag des Umsturzes gab er sich kämpferisch: Schuld an dem Krieg im Osten des Landes sei das Moskauer Patriarchat, verkündete er. Auch diejenigen Ukrainer, die den Bürgerkrieg als einen Angriff Russlands auf ihr Land wahrnehmen, ­machen das Moskauer Patriarchat mitverantwortlich für das Konzept der „russischen Welt“, ein Gegenentwurf zur liberalen westeuropäischen Gesellschaft.

Noch hat die moskautreue Kirchenhierarchie der Ukraine Gläubige auf allen Seiten des Konflikts, unter den Soldaten der sogenannten Anti-Terror-Operation ebenso wie unter den Aufständischen im Donbass – und vermeidet deshalb alles, was sie bei den Mächtigen in Kiew noch stärker in Ungnade fallen lassen könnte. Ob sie die enorme gesellschaftliche Spaltung und die wachsenden Differenzen zur russischen Mutterkirche auf Dauer aushält, ist noch nicht ausgemacht.

Die übrigen Konfessionen des Landes müssen solche Rücksichten nicht nehmen. In ihren öffentlichen Verlautbarungen ist auch ein Jahr nach dem Beginn der mörderischen Gewalt viel von Standhaftigkeit und Sieg, aber nur wenig von Versöhnung zu hören. Ein Mann könne zugleich Krieger und Heiliger sein, stellten die unierten Bischöfe des Landes vor zwei Wochen klar. Für die Ukraine gibt das keinen Anlass zu übermäßiger Hoffnung.

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