Zwischen Kriegerdenkmal und Altar

Mit seinem 125. Geburtstag feiert der Evangelische Kirchenchor Haßloch ein sehr seltenes Jubiläum

Durchschnittsalter unter 35: Der Evangelische Kirchenchor Haßloch bei einem Ausflug im Jahr 1931. Foto: pv

Der evangelische Kirchenchor in Haßloch feiert Geburtstag. Einen gewichtigen zudem, denn 125 Jahre, die fast nahtlos im historischen Gedächtnis der Kirchengemeinde verankert sind, bieten ein breites Panorama lokaler Kirchengeschichte. Bis heute bereichert der Chor das Leben der Kirchengemeinde. Etwa 40 Sängerinnen und Sänger werden das mit Dirigentin Ursel Kaleschke beim Festakt am 29. April bekräftigen.

Die Geburtsstunde des Evangelischen Kirchengesangsvereins Haßloch schlug am Reformationstag 1893. Wie zu der Zeit üblich, war man als Verein in enger Anbindung an die Kirchengemeinde organisiert. Gründungsdirigent war Gottlieb Wenz, Heimatforscher und im Hauptberuf Lehrer, wie einige seiner Nachfolger. Denn auch das war zuzeiten Gepflogenheit: Der Lehrer am Ort versah den Orgeldienst und leitete den Chor. Unter zehn der bis heute Nachfolgenden am Pult finden sich drei Frauen. Von allen aber hat es Ursel Kaleschke, die jetzige Leiterin, zur Dienstältesten geschafft: Seit 34 Jahren bestimmt sie die Geschicke der evangelischen Haßlocher Kirchenmusik. Seit Mitte der 1980er Jahre steht ihr ein mehrköpfiger Chorrat zur Seite.

Kaleschke ist, wenn auch länger schon in Speyer beheimatet, ein echtes „Haßlocher Gewächs“ und zudem ausgebildete Kirchenmusikerin; hatte schon in sehr jungen Jahren die Gottesdienste der drei evangelischen Kirchen am Ort mit ihrem Orgelspiel bereichert. Unzählige Gottesdienste – zwölf bis 15 pro Jahr kommen für den Chor locker zusammen – hat sie mit ihrem Chor mitgestaltet, Dekanatsmusiktage und Reformationsfeste begleitet, und wenigstens einmal pro Jahr ein Konzert mit Orchester und Solisten ausgestattet.

Wer in der Chronik blättert, trifft auf manch denkwürdiges Ereignis. Die Einweihung des Kriegerdenkmals etwa, das sich bis in die 1950er Jahre zwischen Turm und Langhaus der Christuskirche erhob. Es feierte die Helden des Kriegs von 1870/71. Und in langen weißen Kleidern und Anzügen, wie zu einer Hochzeit, waren damals die Damen und Herren des protestantischen Gesangsvereins zum schallenden Jubel angetreten. Nicht ahnend, was dieses Jahrhundert noch bereithalten würde.

Während der Weltkriege fehlt es an Männern, die Frauen singen alleine. Vormals öffentliche Betätigung weicht – vor allem im „Dritten Reich“ – einem Rückzug in die innerkirchliche „Klausur“. Die Nachkriegszeit lässt die Chorstärke anschwellen, ab den 1960er Jahren gibt es wieder Konzerte, in den 1970er und 1980er Jahren entfaltet der Chor neben seinem „Kerngeschäft“ verstärkt gesellige Aktivitäten und startet Partner- und Patenschaftsprojekte.

Waren Ausflüge und Feste schon von jeher Teil der psychohygienischen Pflege der Sängerschar, so stimuliert die Partnerschaft mit der Gemeinde Cranzahl – damals Teil der DDR – und das Engagement für ein Patenkind in Brasilien, das soziale Miteinander. Mittlerweile wird Patenkind Nummer sieben betreut, und die Verbindung mit dem Cranzahler Chor besteht unvermindert herzlich weiter – auch wenn weihnachtliche Packaktionen längst Geschichte sind. Seit den 1990er Jahren halten die Sänger Kontakt zu einem Chor in Illinois. Die Gründung eines Kinderchors fällt ebenso in diese Zeit. Konzerte mit den katholischen Kollegen am Ort gibt es immer wieder.

Besondere Ehre wurde dem Haßlocher Chor zum 100-jährigen Bestehen 1993 mit der Verleihung der Zelter-Plakette zuteil. Bemerkenswert ist, wie nahezu lückenlos das Chorleben dokumentiert wurde. Lediglich für die Jahre 1936 bis 1946 fehlen die Angaben. Nach dem Krieg, mit Aufbau und Neustrukturierung der Kirchenmusik, fand der Chor direkte Anbindung an die Kirchengemeinde. Da hat vor allem Helmut Wolf, langjähriger Sprecher und Organisator, akribisch Buch geführt über das Chorleben zwischen Gottesdienst, Konzert, Geselligkeit und karitativem Engagement. Groß ist mittlerweile das Repertoire quer durch alle Epochen. Und fast schon Kultstatus hat das Konzert bei Kerzenschein am dritten Adventssonntag. So soll es auch im Jubiläumsjahr sein. Gertie Pohlit

Strenge Sitten unter Sängern

Nahezu lückenlos Aufschluss über die Geschichte des Kirchenchors gibt auf sehr anschauliche Weise Heft 13 der Haßlocher Heimatblätter aus dem Jahr 2016, herausgegeben vom Haß­locher Heimatmuseum. Nicht ohne Schmunzeln wird man sich in die Lektüre des Verhaltenskodexes vertiefen, der dem Chorleben seit Gründung und bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts – unter anderem – einen strengen moralischen Rahmen verpasste.

Aufgenommen werden, so heißt es da, könne „jedes unbescholtene Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde“. Dreimaliges unentschuldigtes Fehlen führte automatisch zum Rauswurf. Neulinge konnten nach Ablauf eines Monats zum Vorsingen unter Anwesenheit des gesamten Vorstands zitiert werden. „Pünktliches Erscheinen, unbedingte Ruhe, ein anständiges und den guten Sitten entsprechendes Betragen“ waren Grundvoraussetzungen. „Ausgeschlossen wird jedes Mitglied, das durch seinen Lebenswandel Anstoß erregt … sowie Mitglieder, die durch unverträgliches Gebaren die Einigkeit des Vereins stören.“ Zum Hochzeitssingen gar – einer offenbar besonders privilegierten Aufgabe – waren nur Aktive, die mindestens fünf Jahre ununterbrochen gedient hatten, zugelassen. Auch musste jedes Mitglied, egal ob aktiv oder passiv, eine Aufnahmegebühr und zudem einen jährlichen Obolus in Höhe von vier Mark entrichten.

Unübersehbar bedeutete damals die Mitgliedschaft im evangelischen Kirchengesangsverein gehobenen gesellschaftlichen Status. Bis weit in die 1980er Jahre pendelte sich das Durchschnittsalter bei 35 bis 40 Jahren ein. Dies hat sich aktuell deutlich nach oben verschoben. gpo

Termine

Der Festgottesdienst zum Jubiläum findet am Sonntag, 29. April, 9.30 Uhr, in der Christuskirche statt, die Festansprache hält Oberkirchenrat Manfred Sutter. Zu hören sind Werke von Bach, Johann Krieger und César Franck. Der anschließende Empfang findet im ehemaligen Diakonissenhaus, Langgasse 109, statt.

Im Foyer des Rathauses Haßloch, Rathausplatz 1, ist während den üblichen Öffnungszeiten eine Ausstellung über den Chor mit Foto- und Schriftdokumenten zu sehen. Sie wird am Freitag, 27. April, ins Diakonissenhaus umziehen und im Mai in der Christuskirche gezeigt.

Ein Konzert gibt der Chor am Sonntag, 16. Dezember, 17 Uhr, in der Christuskirche. Zu hören ist „Die Geburt Christi“ von Heinrich von Herzogenberg, ein Oratorium für Soli, Chor, Orchester und Orgel. gpo

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