Von der Schalmei bis zum Gemshorn

Heidrun Baur aus Gimmeldingen bespielt mit ihrem Ensemble „Si dolce“ viele historische Blasinstrumente

Gedämpfter Klang: Heidrun Baur beim Spiel auf einem Gemshorn. Es leiht einem Orgelregister seinen Namen. Fotos: LM

Wer im Neustadter Ortsteil Gimmeldingen von der Meerspinnstraße 9, wo bis zum Ruhestand von Traugott Baur das musikalische Herz der protestantischen Blechbläser schlug, quer über den Fahrweg das Gemeindezentrum ansteuert, gelangt in einen eher schmucklos wirkenden Raum. Heidrun Baur, Seele der Blockflötenkultur quer durch die Landeskirche, lacht und überlässt die Besucherin erst mal ihrem ernüchternden Eindruck.

Dann öffnet sie ihre Schatzkammer, leert den Schrank, nimmt Stapel kleiner, mittlerer und großer Koffer heraus und lässt sie – klapp, klapp und klapp – ihre in Leder verwahrten Geheimnisse preisgeben. 30 oder 40 Behältnisse mögen es sein. Und in jedem der ausgeformten und mit Samt bezogenen Innenleben hat eines der kostbaren Ins­t­ru­­mente Logis bezogen.

Wollte man sie alle mal zum „Familientreff“ der Renaissance- und Barockfreunde drapieren, käme ein recht buntes Cousin- und Cousinengewimmel zustande. Im Zentrum die Kernfamilie, die Blockflöten, die sich zwischen dem silberhellen, die natürlichen Tonhöhen überfliegenden „Garklein“-Flötlein und den Bass-Varianten, von denen es allein fünf gibt, wie die Orgelpfeifen in unterschiedlichen Größen aufreihen.

Trompeten spielen darf früher nur der Adel

Komplettiert wird der schöne Reigen nicht zuletzt durch jene Verwandtschaft, die erst durch die Neuentdeckung der sogenannten „Alten Musik“ in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wieder in den Blick rückte. Und ehedem, als noch Spielleute an Höfen ebenso wie in den bodenständigen Trattorien des einfachen Volks das musikalische Leben bereicherten, ganz groß „im Geschäft“ waren.

Zinken kommen zum Vorschein, die „Trompeten der kleinen Leute“ jener Zeit, denn die richtigen Trompeten waren dem Adel vorbehalten. Aus Holz, Metall oder Horn sind sie geformt und mit Leder überzogen; nicht leicht zu erlernen und nur bei täglichen Mundstückübungen gut zu beherrschen.

Auch die Schalmei, die wie ihre moderne Schwester, die Oboe, ihren Ton über ein Rohrblatt in einem geschlossenen Windkanal erzeugt und diesen wunderbar eigenwilligen, etwas schnarrenden Klang produziert, kommt mit ihrem großen Bass-Bruder, der Pommer, zum Nostalgietreffen.

Ganz dicht bei den Blockflöten halten sich die Gemshörner. Das sind jene so apart glänzend hergerichteten, gedackten, das heißt sanft abgedämpften, Blasinstrumente, die seit dem 16. Jahrhundert Konjunktur haben. Ungeachtet der etwas irreführenden Bezeichnung wurden und werden die mit Grifflöchern und Mundstück versehenen Instrumente aus Kuhhörnern hergestellt. Ihr weicher, vollmundiger Klang lieh einem Orgelregister Name und Charakter.

Mit den Krummhörnern ist es so eine Sache, erklärt Heidrun Baur. Die ebenfalls per Doppelrohrblatt und Windkanal erklingenden Instrumente mit dem unverwechselbar nasalen Timb­re sind enorm empfindlich, vor allem gegen Feuchtigkeit. „Man muss sie gut pflegen und sozusagen bei Laune halten“, sagt die Herrin schmunzelnd über die einzigartige Menagerie.

Das späte Mittelalter, Renaissance und Barock haben dieses Blasinstrumentarium mit nahezu unangetasteter Präferenz in allen Bereichen musikalischen Lebens geadelt. Mancher, der die Liste der schon im 16. und 17. Jahrhundert bevorzugten Materialien studiert, wird im ökologischen Sinne zusammenzucken. Ebenholz, Palisander und Elfenbein tauchen da lange Zeit auf, immer auch ersetzbar durch Obsthölzer wie Pflaume oder Birne. Und neuerdings sogar durch Kunststoffe. Letzteres freilich keine Option, schüttelt Heidrun Baur den Kopf.

Großmeister wie Tielman Susato, Michael Praetorius, später Georg Friedrich Händel, Georg Philipp Telemann sowie Johann Sebastian Bach und selbst Christoph Willibald Gluck in seinem „Orfeo“ komponierten für Blockflöte, Zinken und Co. Der Fundus ist ohnehin überreich, wie Heidrun Baur bestätigt. Viele Schätze warten noch, an die Oberfläche „gespielt“ zu werden.

Das 20. Jahrhundert entdeckt die Flöte wieder

Sie selbst hat sich im Laufe von Jahrzehnten eine enorme Geläufigkeit auf all den instrumentalen Varianten des Renaissance-Kosmos angeeignet. Ihre Fertigkeiten gibt sie regelmäßig an größere Flötenkreise weiter. Nicht zuletzt aber perfektioniert sie die stilistische Könnerschaft innerhalb ihres Kammerensembles „Si dolce“, in dem nahezu alle jedwede Spielart beherrschen. Mit Angelika Scherer und Alexandra Medart-Peters, beide aus Neustadt, Anja Steiner aus Kaiserlautern, Diana Geiger aus Haßloch und Barbara Sinn aus Rheingönheim probt die Ensemble-Leiterin regelmäßig für Konzerte quer durch die Pfalz.

Das Instrumentarium, jener kostbare klingende Bestand, über Jahrzehnte aufgeforstet und gepflegt, ist sorgsam kombiniert. Immer wieder besuchte Heidrun Baur Messen, bis sie vor einigen Jahren „Schuders Blockflötenlädle“ in Karlsruhe entdeckte, „wo es einfach alles gibt rund um unseren Themenkreis, inklusive aller Neuerscheinungen“, schwärmt sie.

Ihre Programme bastelt sie mühelos aus all der üppigen Materialfülle, was Alte Musik betrifft. Dennoch: „Auch das 20. Jahrhundert hat Blockflöte und Co. für sich wiederentdeckt. Und wir könnten etliche Abende allein aus dieser Komponistenecke bestreiten.“ Luciano Berio, Paul Hindemith, Mauricia Kagel und Magdalene Schauß-Flake zählen dazu. Selbst Pop und Rock haben den Charme der Blockflöte und ihrer Flankeninstrumente entdeckt. Jimi Hendrix, die „Beatles“ und die „Rolling Stones“ operierten einst effektvoll damit.

Und Heidrun Baur schätzt auch Crossover-Programme. „Alles, was sich aus rhythmischen Elementen speist und vitalisiert, fasziniert mich.“ Wenn die metrischen Wechsel sich besonders kompliziert gestalten, der Rhythmus den Takt konterkariert, arbeitet sie oft mit Sprache, ersinnt Textformeln, deren Betonung das Schema im Notenbild parodieren. Auch Singen hilft, dass es letztlich präzise klappt.

Das alles ist Lichtjahre entfernt von den eigenen Erfahrungen, damals in der Grundschule. Als Blockflöte noch zum normalen Fächerkanon zählte und das pädagogische Personal sowohl Religion als auch die Grundbegriffe des Flötenspiels unterrichten musste. Und 30 verstimmte Blockflöten, zur Weihnachtszeit aus glühenden Kinderbäckchen gepustet, doch immerhin gewisse Begehrlichkeiten anschubsten. Nach „richtiger“ Musik, nach sauberer Intonation, konzertanter Herausforderung und figuralem Überschwang. So hat es irgendwann begonnen. Und es ist gut, dass es Menschen gibt, die Neugierde und Spiellust dann in Bahnen lenken, zu neuen instrumentalen Ufern führen. Wie es Heidrun Baur tut, seit Jahrzehnten und mit Erfolg. Gertie Pohlit

Meistgelesene Artikel