Versöhnung in zerrissenem Land

Eine Stiftung in St. Ingbert unterstützt seit 18 Jahren die Diakonie der Evangelischen Kirche in Georgien

Auf den Spuren der Geschichte: Jugendliche beim Pflegen eines alten deutschen Friedhofs im georgischen Tamarisi. Foto: pv

Betreut rund 80 Personen: Der Diakonische Dienst für häusliche Pflege. Foto: pv

Gisela Helwig-Meier. Foto: pv

Wenn Gisela Helwig-Meier von Georgien erzählt, leuchten ihre Augen. Vor 19 Jahren reiste sie erstmals mit ihrer Familie in das kleine Land am Kaukasus. „Ab da war ich verloren“, sagt die Landessynodale aus St. Ingbert. Grandiose Landschaften, freundliche Menschen, zählt sie auf – genau das, was 2018 rund acht Millionen Touristen in das Land zog. Doch für Helwig-Meier war es mehr als ein Urlaub.

1998 war der Theologe Gert Hummel nach seiner Emeritierung als Professor an der Universität des Saarlands mit seiner Frau nach Tiflis gezogen. Fünf Jahre zuvor hatte er begonnen, von Saarbrücken aus die rund 450 Mitglieder starke deutschstämmige Gemeinde in Tiflis und drei weiteren Orten zu betreuen. Stück für Stück baute er die unter der Verfolgung Stalins untergegangene evangelische Kirche Georgiens wieder auf, wurde 1999 ihr Bischof und Vorsitzender des Evangelisch-Lutherischen Diakonischen Werks in Georgien (ELDWG). Viel in Bewegung war also, als Helwig-Meier im Gemeindehaus Tiflis mit Gert Hummel ins Gespräch kam. Und das Treffen trug Früchte.

2001 besuchten die georgische Hauptstadt Schüler des Homburger Saarpfalz-Gymnasiums, das damals Helwig-Meiers Mann leitete. Es war der Beginn eines Jugendaustauschs. „Gemeinsame Aktionen schaffen, ist uns wichtig“, sagt Helwig-Meier. 2001 wird der Deutsche Friedhof in Asureti, das 1818 von deutschen Auswanderern gegründete Elisabethtal, auf Vordermann gebracht. Viele Deutsche landeten einst in den Gulags Stalins. Versöhnung ist ein großes Thema. 2003 wird der Sportplatz Kiziladjul errichtet, wo viele Muslime, sogenannte Aseris, leben. „Kontakte zwischen Georgiern und Aseris gibt es kaum“, sagt Helwig-Meier. Doch der Sport überwindet Grenzen. „Jahre später sind wir dort mit einem Fußballspiel begrüßt worden“, freut sie sich. In der Saarpfalz lernen die georgischen Schüler diakonische Einrichtungen kennen, arbeiten bei der Homburger Tafel mit und im Kindergarten. Gottesdienste gehören ebenfalls dazu, Konfirmandendankspenden von Homburger Jugendlichen gehen immer wieder nach Georgien.

Mit dem Geld wird die Diakonie unterstützt. Diese betreibt ein Altenheim in Tiflis und zwei Diakoniestationen mit Suppenküche. Alte Menschen auf dem Land bekommen Lebensmittelpakete. Die georgisch-orthodoxe Kirche, der mehr als 80 Prozent der Bevölkerung angehören, sei auf diesem Gebiet kaum vertreten, erzählt Helwig-Meier. In den Anfangsjahren steckte Gert Hummel eigenes Geld in diese Projekte. Um die Arbeit langfristig zu sichern, wurde 2001 die Stiftung Evangelische Kirche und Diakonie Georgien mit Sitz in St. Ingbert gegründet, die zusammen mit der Evangelischen Lutherischen Kirche in Georgien (ELKG) und der württembergischen Landeskirche das Diakonische Werk in Georgien unterstützt. Mittels Patenschaften können unter anderem Essplätze in der Armenküche erhalten werden. Denn auch der Regierungswechsel 2012 hat an der Lebenssituation vieler Georgier nicht viel verändert. Mehr als die Hälfte lebt in Armut.

Umso glücklicher sind die Kinder und Jugendlichen, die im Freizeitheim der Diakonie in der Region Kachetien Urlaub machen dürfen. Das Wohnhaus in Kwareli wurde Gert Hummel im Jahr 2002 geschenkt. „Für viele ist es die einzige Möglichkeit, auch einmal aus der Stadt herauszukommen“, sagt Helwig-Meier. Und: Sie lernen dort Jugendliche anderer ethnischer Hintergründe kennen. Toleranz sei ein wichtiges Thema, gerade jetzt, wo nationalistische Kräfte stärker würden.

Versöhnung und Toleranz, das schwingt auch mit im „Diakonischen Dienst für häusliche Pflege“. Mitarbeiterinnen verschiedener Konfessionen, größtenteils Krankenschwestern, helfen seit 2013 älteren Menschen – unabhängig von ihrer Religion. Am Anfang habe es Vorbehalte gegeben. Manch einer hätte sich bei seiner eigenen Kirche versichern wollen, ob er die „Lutheraner“, die mancherorts immer noch als eine Art Sekte bezeichnet werden, ins Haus lassen dürfe, erzählt die Landessynodale. Und Besucher lutherischer Gottesdienste, die selbst nicht der ELKG angehörten, hängten das in ihrer Heimatgemeinde nicht an die große Glocke. Diese Beobachtungen Helwig-Meiers teilt auch Bischof Markus Schoch. Während es im Rat der Religionen ein respektvolles Miteinander zwischen den christlichen Religionen, Muslimen, Jesiden und Juden gibt, sehe das auf „unterer“ Ebene oft anders aus.

Dazu kommt, dass die georgisch-orthodoxe Kirche besondere Privilegien genießt wie die Befreiung von der Grund- und Mehrwertsteuer. So hat die evangelische Kirche Klage vor dem Verfassungsgericht eingereicht mit neun anderen religiösen Minderheiten. Der Wunsch ist Gleichbehandlung, auch in der Frage der Entschädigung für in der Sowjetzeit enteignete Gebäude.

„Ich sehe das mit gemischten Gefühlen“, sagt Helwig-Meier, treibe dies doch einen Keil zwischen die wachsenden Beziehungen. Und ob das von der Regierung angekündigte allgemeine Religionsgesetz, das die Verletzung religiöser Gefühle ahnden will, nützt oder sich als Bumerang erweist? Festlegen will sie sich nicht. Deutlich werde nur die Zerrissenheit eines Landes. Das wolle in die EU, gleichzeitig aber Russland als wichtigen Partner nicht verlieren. „Mir scheint die Gesellschaft gespalten.“

Umso wichtiger ist ihr, voranzuschreiten, wo sich gute Entwicklungen zeigen. Der Pflegedienst erweitert sein Einzugsgebiet mit Standorten in Dusheti und Rustavi, in Kooperation mit der württembergischen Landeskirche wächst Pfadfinderarbeit im Land. Erst vor wenigen Wochen hat sich die Diakonie in Georgien auf dem Kirchentag präsentiert. „Wir waren teils umlagert“, sagt Helwig-Meier. Mit Eva Knirsch, der neuen Vorsitzenden des Diakonischen Rats an der Spitze des Diakonischen Werks, Ehefrau des deutschen Botschafters in Tiflis, würden die guten Beziehungen in die Politik weiter gefestigt.

Dass Georgien zunehmend als attraktives Reiseziel wahrgenommen werde, könne nur gut sein für das Land. Da passt, dass der kommende Jugendaustausch im September „Umwelt- und Naturschutz in Georgien“ zum Thema hat. Gespräche zu einem Biosphärenreservat stockten zuletzt. Allerdings sei das Bewusstsein für den Tourismus hoch. Vielleicht komme man über das Thema Müll ja zu einer gemeinsamen Aktion, sagt Helwig-Meier. Und wie immer, wenn sie von Georgien spricht, leuchten ihre Augen. Florian Riesterer

Spenden für die Stiftung an IBAN: DE39592520460042004446, Sparkasse Neunkirchen an der Saar

 

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