Stuttgart zeigt die ganze Vielfalt des Protestantismus

Das Engagement der Pfälzer Mitwirkenden bei Temperaturen von über 30 Grad – Kirchenpräsident Schad: Ideenpool für die Arbeit zu Hause

Glaubenskurse auf dem Markt der Möglichkeiten: Andrea Müller mit Gert Langkafel (links) und Christian Schad. Foto: von hastn

Die Temperaturen von über 30 Grad haben auch dem Fußballteam der Pfälzer Pfarrer zu schaffen gemacht. Die Elf um den Kaiserslauterer Stadtjugendpfarrer Detlev Besier musste sich bei der „German Popen open“ unter anderem gegen Passtor-Westfalia geschlagen geben. Ein Trost für die sportbegeisterten Theologen mag da die Adresse des Landesjugendpfarramts im Zentrum Jugend gewesen sein: Die rund 250 jugendlichen Teilnehmer aus der Pfalz hatten ihren Anlaufpunkt in der Fritz-Walter-Straße.

Mit spielerischen Aktionen und inhaltlichen Schwerpunkten bildete die Jugendarbeit im Kleinen ab, was den Kirchentag im Ganzen ausmacht: So gibt es Umarmungen wie von Johanna aus Kaiserslautern ebenso gratis wie die 17 Friedensthesen der Evangelischen Jugend der Pfalz, die nicht nur die Altersgenossen zur Diskussion einladen.

Mit mehr als 60 Bläsern war der Posaunenchor „Soli Deo Gloria“ Appenthal in die Schwabenmetropole gereist, um beim offenen Singen in der Stuttgarter Gedächtniskirche und bei einer ökumenischen Abendmahlfeier nach der Lima-Liturgie zu spielen. Und unter den 4000 Bläsern beim Abschlussgottesdienst auf dem Cannstatter Wasen spielten unter anderen die Blechbläser aus Sausenheim-Neuleinigen mit.

Auch wenn die Anmeldezahlen der Mitwirkenden und Besuchergruppen wenige Wochen vor dem Großereignis noch etwas verhalten gewesen waren, zeigte sich der Vorsitzende des Landesausschusses Pfalz des Kirchentags, Gert Langkafel, mit der Beteiligung aus der Landeskirche zufrieden. Rund 300 Mitwirkende und 800 Dauerbesucher brachen seinen Angaben zufolge nach Stuttgart auf. Aufgrund der geografischen Nähe hätten sicher auch zahlreiche Tagesgäste den Weg zum Kirchentag gefunden. Keinen Abbruch bei den Teilnehmerzahlen konnte Ruprecht Beuter von der Arbeitsstelle Bildung und Gesellschaft aus Rockenhausen feststellen. Unter den 50 Nordpfälzern, die nach Stuttgart gereist waren, seien auch einige Kirchentagsneulinge. Kleiner Wermutstropfen: Das Quartier, in dem man zusammen mit der evangelischen Jugend untergebracht war, befand sich in Leonberg, und die tägliche Pendelfahrt zum Kirchentagsgeschehen in der Stuttgarter Innenstadt und im Neckarpark kostet Zeit.

Die ganze Vielfalt des Protestantismus zeigte sich nicht nur den Nordpfälzern auf dem Markt der Möglichkeiten. Auch Kirchenpräsident Christian Schad und Gert Langkafel überzeugten sich bei einem Besuch der Mitwirkendengruppen von der Bandbreite der Angebote, wenn auch die pfälzischen „Beschicker“ sich in der Minderheit befanden. Nur die Neue Arbeit Westpfalz, das Diakonissenmutterhaus Lachen und der Missionarisch-Ökumenische Dienst (MÖD) waren als Institutionen vertreten.

So stellte der MÖD seine Internetplattform „Kita-Global“ vor, die Erzieherinnen helfen soll, Themen wie andere Kulturen, Religionen oder fairen Handel in ihre Arbeit zu integrieren, erklärt Svenja Lambert. Gleichwohl erhielten EKD-weite Organisationen wie das Evangelische Seniorenwerk, die Glaubenskurse oder die Vertretung der Gemeindepädagogen tatkräftige pfälzische Unterstützung. Ruhestandsdekan Berthold Gescheidle thematisierte am Stand des Seniorenwerks die Frage, was nach dem Leben kommt, und Pfarrerin Andrea Müller aus Germersheim stellte mit ihren Kolleginnen der EKD und aus anderen Landeskirchen das Konzept unterschiedlicher Kurse zum Glauben vor.

„Kreativität, Engagement und Netzwerkarbeit beeindrucken mich bei den Marktbeschickern am meisten“, erklärte Kirchenpräsident Christian Schad. So sei neben den Gottesdiensten und Podien der „Markt der Möglichkeiten“ ein Ideenpool für die Arbeit zu Hause. Der „Markt der Möglichkeiten“ sei einer der größten Plattformen zur Kommunikation zivilgesellschaftlicher Gruppen und Initiativen in Deutschland. hske

Kirchentagsappelle in Richtung Elmau

Friedensethik und Flüchtlingssterben bestimmen neben Wirtschaftsthemen das Stuttgarter Christentreffen

Freihandelsabkommen, Klimawandel und Armutsbekämpfung – nicht nur in Elmau, wo die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen zum G-7-Gipfel zusammenkamen, auch auf dem Kirchentag in Stuttgart drehte sich vieles um dringende Weltprobleme. Der Kirchentag, der am vergangenen Sonntag mit einem großen Freiluftgottesdienst vor rund 95 000 Gläubigen zu Ende ging, war auch ein Gipfel zu brennenden Fragen der Zeit. Allerdings mit kritischer Stoßrichtung.

„Damit wir klug werden“, lautete das Motto des Christentreffens mit rund 97 000 Dauerteilnehmern. In der Industriemetropole, wo Mercedes, Porsche und Bosch ihre Firmensitze haben, stand in zahlreichen Veranstaltungen das kluge und gerechte Wirtschaften auf dem Programm. Aus Indien war der Friedensnobelpreisträger Kailash Satyarthi gekommen, der ein flammendes Plädoyer gegen Kinderarbeit und für ein verantwortliches Unternehmertum hielt. „Die Globalisierung der Volkswirtschaften und Märkte wird nicht zu einer nachhaltigen Gesellschaft führen“, sagte er.

Deutliche und kritische Worte richtete Altbundespräsident Horst Köhler in Richtung Elmau: Er warnte vor einem maßlosen Wirtschaftswachstum der westlichen Volkswirtschaften. Die Erde werde ruiniert, wenn die hoch entwickelten Länder ihre Wachstumsraten mit mehr als drei Prozent fortsetzen würden. Stattdessen sprach er sich für ein niedrigeres, nachhaltig erwirtschaftetes Wachstum aus, um Aufschwung in Afrika zu ermöglichen.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel war, bevor sie zum G-7-Gipfel reiste, nach Stuttgart gekommen. Auf dem Kirchentag verteidigte sie die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. „Ich würde mich sicherer fühlen, wenn wir so ein Gesetz haben“, sagte sie. Zugleich erinnerte sie an die Verantwortung jedes Einzelnen, mit persönlichen Daten im Internet vorsichtig umzugehen.

Bestimmende politische Themen in Stuttgart waren friedensethische Debatten und das Flüchtlingssterben im Mittelmeer. Der Kirchentag wäre aber ohne die Gottesdienste, Andachten und Bibelarbeiten kein Kirchentag gewesen. Von meditativem Tanz bis Lobpreis reichte das spirituelle Angebot. Ausgelassen und fröhlich feierten, beteten und sangen die Christen unter freiem Himmel. Beim Abschlussgottesdienst spannte die Pfarrerin Nora Steen wieder einen Bogen zu dem Spitzentreffen in Elmau: „Nicht nur die Politiker beim G-7-Gipfel, wir alle stehen in der Verantwortung: an unseren Orten, mit unseren Möglichkeiten.“ Barbara Schneider

Meistgelesene Artikel