Stundenschlag als Teil der Dorfkultur wird seltener

Bei Beschwerden von Anwohnern veranlassen die Ortsgemeinden in der Regel das Aussetzen des nächtlichen Glockenschlags von Kirchen

Uhrturm ohne nächtlichen Stundenschlag: In Erpolzheim schweigen die Glocken seit eineinhalb Jahren von 22 bis 6 Uhr. Foto: Franck

„Friede sei ihr erst Geläute! – ringing the bells“ hieß die Initiative zum europaweiten Glockenläuten am Weltfriedenstag im vergangenen Jahr. Am 21. September läuteten Hunderte Glocken in Rathäusern, Kirchen oder Schulhäusern als „Zeichen der Identifikation mit dem reichen gemeinsamen Kulturerbe in und für Europa“, so die Veranstalter. Gleichzeitig startete das Projekt „#create soundscape – crowdmapping Heimatklang“, unterstützt von Deutscher Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland. Jugendliche nehmen das Geläut von Glocken auf, machen Fotos und Videos und stellen alles ins Netz. So entsteht eine klingende Glockenlandkarte. 1097 Kirchen mit mehr als 3000 Glocken aus der Erzdiözese Freiburg sind bereits zu hören.

Viele Menschen fühlen sich mit dem Klang „ihrer“ Glocken heimatlich verbunden. Das wird besonders dann deutlich, wenn das Geläut komplett verstummt, weil der Glockenstuhl saniert werden muss, wie etwa im südwestpfälzischen Hilst, wo die Glocken seit mehr als fünf Jahren schweigen. Auch in Kleinniedesheim ist das Läutwerk seit August 2018 aus Sicherheitsgründen abgeschaltet – und fehlt vielen als Teil der Dorfkultur, berichtet Ortsbürgermeister Ewald Merkel.

Heikel wird es, wenn Hinzugezogene mit den Glocken nicht zurechtkommen. Merkel kennt solch einen Fall aus Großniedesheim. Auch Pfarrerin Elke Wedler-Krüger, die vor 16 Jahren nach Freimersheim zog, musste sich erst daran gewöhnen. „In der Stadt geht das in vielen anderen Geräuschen unter.“ Aber der Stundenschlag gehört für sie dazu, tags wie nachts. „Ich kann die Schläge teils mitzählen, schlafe deshalb aber nicht schlechter.“ Drei Kilometer nördlich in Duttweiler nimmt Presbyter Friedrich Sand den Glockenschlag „seiner Kirche“ kaum mehr war. Auch Übernachtungsgäste in seinen Ferienwohnungen hätten sich noch nie negativ geäußert.

Doch gewöhnen können oder wollen sich nicht alle. Beschwerden gegen das nächtliche Schlagen der Glocken landen immer wieder vor Gericht. Beklagt wird häufig die Ortsgemeinde, die in der Regel dafür verantwortlich ist. Und zwischen 22 und 6 Uhr gelten enge Richtlinien des Immissionsschutzgesetzes. Einem niederländischen Priester, der sich in seiner Ausübung der Religionsfreiheit gestört sah, weil er das Glockengeläut nachts einschränken sollte, nutzte 2012 so auch der Gang vor den Europäischen Gerichtshof nichts.

Im Sommer 2017 verklang in Ebertsheim der nächtliche Stundenschlag, weil ein Anwohner nicht schlafen konnte. Die Glocke lag elf Dezibel über dem erlaubten Richtwert, das Läutwerk wurde deshalb zwischen 22 und 6 Uhr ausgeschaltet. „Möglich wäre es auch gewesen, den Hammer herunterzudämmen“, sagt Ortsbürgermeister Bend Findt. Das Presbyterium habe über eine Dämmung der Rollläden an den Schalllamellen nachgedacht. „Das hätte aber die Glocke auch tagsüber leiser gemacht“, sagt Pfarrer Johannes Fischer. Außerdem vermisse niemand das nächtliche Schlagen groß, sagt Findt. In Erpolzheim erstarb der nächtliche Stundenschlag 2017 nach Beschwerden ebenso. Eine Messung strengte hier der Gemeinderat erst gar nicht an. Allerdings fiel die Entscheidung nicht einstimmig. Ein Ratsmitglied warnte, man öffne so auch Beschwerden von schlafbedürftigen Nachtschichtlern Tür und Tor.

Tatsächlich hat die protestantische Kirche in Morlautern schon vor Jahren mit Rücksicht auf Anwohner das Läuten um 6 Uhr abgestellt, sagt Axel Lenz. Der 70-Jährige wartet seit 30 Jahren die Mechanik des fast 90 Jahre alten Uhrwerks – und hört die Glocken bewusst gar nicht mehr, obwohl oder vielleicht gerade weil er seit 50 Jahren neben der Kirche lebt. Wenn Wohnungen um die Kirche frei werden, informiere die Kirchengemeinde aber inzwischen Interessenten, was auf sie in Sachen Glockenklang zukomme, sagt Lenz. Vielleicht lasse sich ja so der ein oder andere Konflikt schon im Vorfeld vermeiden, erklärt der Ehrenamtliche. Friede sei ihr erst Geläute! Florian Riesterer

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