Stumme Gesichter in Maskenzeiten

Gehörlose und Schwerhörige können sich beim Tragen von Mund-Nasen-Schutz nur schwer verstehen

Mit Maske für Gehörlose ohne Notizzettel oder Handy schier unmöglich: Das Verständigen auf dem Wochenmarkt. Foto: epd

Der pfälzische Gehörlosenseelsorger Friedhelm Zeiss. Foto: pv

Es drückt an den Ohren, man bekommt schlechter Luft, und ungewohnt ist es auch. Seit Anfang Mai müssen Menschen in Deutschland einen Mund-Nasen-Schutz tragen, wenn sie einkaufen oder öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Für Gehörlose hingegen ist die sogenannte Maskenpflicht aber mehr als nur unangenehm.

Denn Menschen, die schwer oder gar nichts hören, lesen viel aus der Mimik oder Lippenbewegungen ihrer Gegenüber heraus. Schwierig, wenn eine Maske die Hälfte des Gesichts bedeckt. Die halben Gesichter sind dann für diese Menschen tatsächlich stumm. „Das Ablesen vom Mund ist damit komplett verwehrt und das Gefühl der Isolation noch extremer geworden“, bedauert Gerhard Wegner, Gehörlosenseelsorger und in dieser Funktion zuständig für Frankfurt, Bad Nauheim und Offenbach. Ohnehin träfen die Kontaktsperren, die schon zu Beginn der Corona-Pandemie erlassen worden waren, Gehörlose und Schwerhörige besonders hart. „Gebärdensprache braucht die Begegnung“, sagt der Pfarrer der Gehörlosengemeinde Frankfurt.

Für ältere Gehörlose ist die Situation noch schwieriger. Während die Jüngeren über Videochats im Internet kommunizieren können, fühlten sich die „oft nicht technikaffinen Älteren einsam und alleinegelassen“, berichtet Wegner. Da Gottesdienste mit anschließendem Kaffeetrinken, die wöchentlichen Seniorentreffs und die regelmäßigen Infoveranstaltungen eingestellt werden mussten, falle für sie fast der gesamte zwischenmenschliche Austausch weg.

Wegner ist selbst schwerhörig und kennt die Folgen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie aus eigener Erfahrung. Einkaufen kann für Menschen, die kaum oder gar nichts hören, zum Problem werden. Allerdings nicht im Supermarkt. „Der ist für Gehörlose eigentlich ein Segen“, erklärt Wegner, „weil man alles selbst aus dem Regal nehmen und an der Kasse den Preis auf dem Display sehen kann.“ Schwieriger sei der Einkauf beim Bäcker oder Metzger. Durch den Mundschutz sei es nicht mehr möglich, den Verkäufern vom Mund abzulesen, und Gehörlose würden wegen ihrer oft undeutlichen Aussprache noch schlechter verstanden. „In der Regel wissen sich die Leute aber mit Zettel und Stift zu helfen.“

Als ungleich problematischer stuft der seit 1992 als Gehörlosenseelsorger tätige Theologe dagegen die Situation im Krankenhaus ein. Wenn Gehörlose etwas über ihr Befinden erfahren oder Anweisungen erhalten sollen, müssten Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte sich Zeit nehmen sowie ihren Mundschutz entfernen. „Wenn es um Leben oder Tod geht, wird ein Gebärdendolmetscher oder ein Gehörlosenseelsorger geholt“, weiß Wegner. Das sei aber schon immer so.

Angesichts der erschwerten Bedingungen hofft Wegner sehr, dass sich „bald wieder wenigstens kleine Gruppen in großen Räumen treffen können“. Den nötigen Abstand einzuhalten, sei für die Kommunikation in Gebärdensprache schließlich kein Problem. Bis dahin halte er zu den rund 300 gehörlosen Menschen in Frankfurt und Umgebung über Video, E-Mails oder Fax Kontakt. Die durch die Corona-Pandemie verursachte Einsamkeit und die Furcht vor Ansteckung seien dabei derzeit die beherrschenden Themen. Wie der Pfarrer feststellen muss, sitzen deshalb „manche mit großen Ängsten in der Wohnung und trauen sich kaum mehr raus“. Zu ihnen komme er auf Anfrage auch zu einem persönlichen Besuch. „Das sind dann aber Gespräche über den Gartenzaun, ich vermeide es, in die Wohnung zu gehen.“

Zu Wegners Freude konnte er in diesen belastenden Zeiten zumindest einen kleinen Lichtblick verzeichnen. Wie in anderen Ländern seit Langem üblich, seien bei Fernsehübertragungen mit Vertretern aus der Politik oder des Robert-Koch-Instituts seit Kurzem auch hierzulande Gebärdendolmetscher im Bild zu sehen. „Das sollte schon längst selbstverständlich sein“, sagt er. Bislang hätten sich Gehörlose allein mit der von Phönix mit Gebärdensprache ausgestrahlten Tagesschau begnügen müssen. Doris Stickler

Masken mit Folieneinsatz und Visiere nicht unbedingt sinnvoll

Gehörlosenseelsorger Friedhelm Zeiss hält mit Gemeindemitgliedern per Skype Kontakt – Für Juni erste Treffen in freier Natur angedacht

Friedhelm Zeiss, Gehörlosenseelsorger in der Evangelischen Kirche der Pfalz, glaubt nicht, dass sich Gehörlose mit Mund-Nasen-Schutz gut verständigen können. „Mit normalen Masken geht gar nix“, sagt der Pfarrer aus Haßloch, der rund 400 Gehörlose und Angehörige in der Landeskirche betreut.

Die jüngst auf den Markt gebrachten Masken mit Folieneinsatz, die ein Sichtfenster ermöglichen, werden kaum genutzt. „Sie beschlagen schnell, die Folie klebt am Mund, das ist unangenehm“, sagt Zeiss, dessen ältester Sohn seit Geburt gehörlos ist. Auch Visiere seien nicht unbedingt gut, da sie durch die Krümmung Licht ungünstig spiegelten. Stattdessen treffen sich Gehörlose lieber auf Abstand, sagt Zeiss. Ansonsten nutzten auch ältere intensiv Videochats. Schließlich sei die Technik, darunter auch SMS, schon vor Corona vielen vertraut gewesen, da Telefonieren ja nicht funktioniere. Das zahle sich jetzt aus. Heute diene das Handy auch für Notizen beim Einkaufen, um Verkäufern etwas zu erklären.

Zeiss hat seine Gottesdienste für Gehörlose seit Mitte März aussetzen müssen. Jetzt denkt er über einen Gottesdienst in der Apostelkirche nach. Er sei aber skeptisch. „Die Gemeindemitglieder kommen ja aus einem Umkreis von rund 50 Kilometern.“ Ihnen gehe es nicht nur um Gottesdienst und Predigt, viele wollten sich anschließend treffen, um zu quatschen. Ob das machbar sei, sei fraglich. Vorstellen könne er sich für Mitte Juni ein Treffen im Freien mit Andacht, zu dem jeder Essen und Getränke mitbringt. Kleine Wanderungen in der Natur seien ohnehin geplant.

Seine Gemeindemitglieder sieht Zeiss ansonsten per Video. „Was bei mir viel läuft, sind seelsorgerliche Gespräche über Skype“, sagt der Pfarrer. Mit zwei, drei Leuten halte er besonders intensiv Kontakt, einer sei sehr schwer erkrankt. „Da tut es gut, einfach zu erzählen, wie es gerade geht.“ Wenig Rückmeldung hat er auf die Videoandachten mit Gebärdendolmetscher, die er über die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Gehörlosenseelsorge und Kollegen aus der badischen Landeskirche verbreitet habe. „Den meisten ist das wohl zu wenig persönlich.“ Allgemein habe er aber nicht das Gefühl, Gehörlose litten besonders unter Ausgangsbeschränkungen.

Nicht nur wegen Corona blickt Zeiss mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Schließlich wird der 64-Jährige im August in Rente gehen. Bewerber für die Nachfolge gibt es bereits, Vorstellungsgespräche liefen wegen Corona allerdings noch nicht. „Ich bin aber guter Hoffnung.“ Ob dann freilich ein Abschied gebührend gefeiert werden kann, sei fraglich. flor

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