Prägendes Gemeinschaftsgefühl unter Schülern erlebt

Johannes Dörr macht als letzter Internatsschüler des Trifels-Gymnasiums sein Abitur – Ursprünglich für begabte Kinder aus Pfälzer Dörfern

Letzter Mohikaner „auf dem Berg“: Johannes Dörr. 2000 bis 3000 Jungen und Mädchen haben das Internat besucht. Foto: Iversen

Dass er so etwas wie der „letzte Mohikaner“ ist, lässt Johannes Dörr ziemlich kalt. „Ich bin eigentlich nur ein ganz normaler Schüler“, sagt der 19-Jährige bescheiden. Und doch: Der hochgeschossene junge Mann im rosa Kapuzenpulli schreibt schon ein bisschen Geschichte am Evangelischen Trifels-Gymnasium im südpfälzischen Annweiler. Er ist der letzte Schüler des bereits 2016 geschlossenen Internats der Schule in Trägerschaft der pfälzischen Landeskirche. In wenigen Wochen macht er seine Abiturprüfung.

Sechs Jahre lang hat Johannes, der aus der Gegend von Pirmasens stammt, „auf dem Berg“ mit traumhaftem Blick auf den Trifels mit seiner Burg gelebt. Die Schülerinnen und Schüler bildeten eine ganz besondere Gemeinschaft. Rund um die Uhr wohnten sie zusammen in den rot-grauen Gebäuden und wurden von Erziehern pädagogisch und schulisch betreut. 1958 war die ehemalige „Heimschule am Trifels“ als reine Internatsschule gestartet – mit 300 Schülerinnen und Schülern.

„Ich war 13, mein Notenschnitt war nicht gut, und ich hatte ein bisschen soziale Probleme“, erinnert sich Johannes, warum er sich gemeinsam mit seinen Eltern, die Tierärzte sind, für ein Leben im Internat entschied. „Ich wollte einen Neuanfang wagen.“ Auch er selbst will Tiermedizin studieren, auf einer privaten Universität in Budapest, um den hohen Notendurchschnitt in Deutschland zu umgehen.

„Kein Zuckerschlecken, aber doch eine tolle Zeit.“ So bilanziert er die Internatsjahre auf dem Bannenberg, hoch über der Stadt Annweiler, die seine persönliche Entwicklung prägten. Vor allem habe er von dem starken Gemeinschaftsgefühl in der Wohn- und Lerngemeinschaft profitiert, erzählt der katholische Schüler, der fünf Geschwister hat. „Man lernt den Umgang mit anderen Menschen und sich der Gruppe anzupassen.“ 30 Kilometer von „Hotel Mama“ entfernt habe er gelernt, Verantwortung zu übernehmen.

Mit Internatsromantik für verwöhnte reiche Kinder habe seine Schulzeit nichts zu tun gehabt, betont Johannes. „Noch immer gibt es das Vorurteil, Internatsschüler sind faul“, ärgert er sich. Dabei böten Internate mit ihren festen Regeln gerade Schülern mit Problemen eine gute Chance, auf die Füße zu kommen und ihren Weg ins Leben zu finden. Durchschnittlich 50 bis 100 Kinder und Jugendliche, vor allem aus wohlhabenden Familien, lebten in den vergangenen 39 Jahren in dem evangelischen Internat. „Gewinnerfamilien“ nennt sie Schulleiter Steffen Jung: Die Eltern sind beruflich sehr eingespannt, um die Kinder kümmert sich oft niemand richtig. Rund 1700 Euro monatlich kostete ein Internatsplatz zuletzt – und doch konnte die Landeskirche ihr Internat nicht halten. Eine Sanierung der alten Gebäude hätte hohe Millionensummen erfordert. 2014 fiel deshalb der Schließungsbeschluss, zwei Jahre später wechselten die letzten fünf verbliebenen Internatsschüler, darunter Johannes, in eine Wohngemeinschaft. Genutzt wurden die Internatsgebäude seither als Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, als Wohnheim für Schüler und Studenten der nahe gelegenen Universität Landau sowie als Lernhaus und Verwaltungsräume.

Ursprünglich förderte die Evangelische Kirche der Pfalz mit ihrer Internatsschule begabte Kinder und Jugendliche aus pfälzischen Dörfern, die sich einen Gymnasialbesuch nicht leisten konnten. In den 1970er und 1980er Jahren ging die Zahl der Internatsschüler aufgrund der Schulreform jedoch drastisch zurück. 2000 bis 3000 Jungen und Mädchen hätten insgesamt die Einrichtung mit ihrem evangelischen Profil besucht, informiert Schulleiter Jung.

„Mir hat es geholfen, dass mir jemand auf die Füße getreten ist“, versichert Johannes. Unvergesslich bleibt für ihn das „Begrüßungsritual“, als er in einer Papiertonne den Berg heruntergerollt und kalt und warm abgeduscht wurde. „Total dumm, aber auch witzig.“ Bis zum Herbst will Johannes in seiner Wohngemeinschaft bleiben. Ob es für ihn ein Ritual zum Abschied gebe, müssten seine Freunde entscheiden, sagt der letzte Internatsschüler. „Mal sehen, was sie für mich geplant haben.“ Alexander Lang

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