Mit Mose auf dem Arm durch die Gerbergasse

15 Teilnehmer lassen sich in Speyer zum Bibelerzähler ausbilden – Zweiter Teil schließt mit öffentlichem Abend in der Gedächtniskirche ab

Ohne abzulesen andere in den Bann ziehen: Susanne Hunsicker beim Erzählen im Kreis der übrigen Teilnehmer. Foto: Landry

Miriam duckt sich, verbirgt sich mit ihrem kleinen Bruder Mose im Schilf. Jetzt bloß nicht entdeckt werden! Wenn Moses jetzt zu schreien anfängt, ist alles vorbei. Sch! Sch!, beruhigt sie den Kleinen und lässt ihn an ihrem Finger nuckeln. Pfarrerin Susanne Haeß­ler ist für einige Momente völlig in eine andere Rolle geschlüpft. 16 Augenpaare hat sie mitgenommen zu einer Reise an den Nil vor mehr als 3000 Jahren – an einem Februarmittwoch 2019 in der Jugendherberge Speyer.

Hierher hat Pfarrerin Urd Rust, Kindergottesdienstbeauftragte der Landeskirche, zur Bibelerzählerausbildung eingeladen. In zwei Blöcken, insgesamt sieben Tage lang, haben die 15 Teilnehmer Zeit, an sich zu arbeiten: in Gestik und Mimik, Dynamik und Geschwindigkeit der Sprache, aber auch, was den jeweiligen Zugang zur Geschichte angeht. Die wird schließlich frei vorgetragen, losgelöst von dem Text, den sich die Teilnehmer zur Bibelstelle notieren; mal als innerer Monolog aus Sicht nur einer Person, mal als Szene mit verstellten Stimmen, Zeitvorgabe ist eine Minute. Da ist die Dienerin, die der Tochter des Pharaos das Binsenkörbchen reicht, da ist die Mutter von Mose, die sich über ihren neugeborenen Sohn freut, aber auch vor Verzweiflung ob des Todesbefehls des Pharaos beinahe umkommt. Vikar Friedhelm Meier aus Mackenbach lässt „seine Miriam“ mit dem kleinen Bruder durch die Gerbergasse rennen, malt den Gestank aus, der in der Nase brennt, duckt sich unter den Häuten, die zum Trocknen an langen Leinen hängen.

Als Pfarrer halte man ohnehin häufig Vorträge, sagt der 33-Jährige über seine Motivation, die Ausbildung zu machen. „Und mit der freien Rede habe ich die Aufmerksamkeit meines Gegenübers“, sagt der angehende Pfarrer, der eine solche spezielle Ausbildung im Theologiestudium vermisst hat. Seine Frau Deborah Meier will im Kindergottesdienst in Weilerbach das Erlernte umsetzen. „In meinem Beruf als Ärztin habe ich ja oft wenig Zeit, ausgiebig zu ­erzählen.“ Sozialpädagogin Susanne Hunsicker, seit Jahren aktiv bei der Familienkirche in Rülzheim, will sich in die Rolle der Zuhörer hineinversetzen. Mit wem können sich die Kinder identifizieren? Mit der Mutter oder doch besser mit Moses Schwester? Aber auch für die 53-Jährige steht fest: Das freie Erzählen nützt nicht nur im Kindergottesdienst, sondern auch auf der Kanzel. „Viele Predigten gehen über die Köpfe der Gemeinde hinweg.“ Wichtig sei, Geschichten aus dem Leben zu greifen.

Allerdings ist das auch nicht immer einfach. Einem Teilnehmer ist es gar nicht gelungen, seine Szene vorzutragen, schon beim Formulieren sei er stecken geblieben, sagt er. „Dann lieber einen anderen Einsteig wählen“, rät Jochem Westhof aus Hamburg. Der frühere Referent für Kindergottesdienstarbeit in der Nordkirche ist leidenschaftlicher Bibelerzähler, hat Bücher zum Thema geschrieben. Bis zum zweiten Seminarteil werden sich die Teilnehmer, darunter auch drei aus der anhaltinischen Partnerkirche in fünf Regionalgruppen noch zweimal treffen. Im September stoßen beim zweiten Seminarblock die Schauspielerin Maria von Bismarck, Sprecherzieherin und Stimmbildnerin Sarah Rust sowie Märchenerzählerin Gisela Pütter dazu. Den Abschluss bildet eine gemeinsame Erzählnacht in der Gedächtniskirche. Dort ist jeder eingeladen, den frisch gebackenen Bibelerzählern zuzuhören.

Zu ihnen gehören mit Oliver Böß aus Mackenbach, Traude Prün aus Grünstadt, Monica Minor aus Wattenheim und Lena Vach aus Speyer dann auch vier Pfälzer Pfarrer, die bei ihrem ersten Auftritt im Seminar Jesu Gleichnis vom großen Abendmahl als Herr, Knecht oder Eingeladene lebendig werden lassen. So lebendig, dass sich angesichts der geschilderten Speisen die Augen weiten. Urd Rust ist mit dem Verlauf hochzufrieden, das Seminar ist wie im vergangenen Jahr ausgebucht. Und Rusts bayerische Kollegin Susanne Haeß­ler denkt bereits darüber nach, die Bibelerzähler-Ausbildung in der bayerischen Landeskirche ebenfalls zu etablieren. Florian Riesterer

Erzählnacht am Donnerstag, 19. September, Gedächtniskirche Speyer

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