Meister des Lichts

Der bedeutendste deutsche Impressionist Max Slevogt würde am 8. Oktober 150 Jahre alt

Schon früh pflegt Slevogts Mutter die verwandtschaftlichen Beziehungen in die Pfalz. Hier entsteht 1903 sein Gemälde „Kastanie im Vorhof von Neukastel“. Foto: wiki

1914 erwirbt er das Anwesen in Neukastel und baut es für sich und seine Familie aus. Foto: Iversen

1911 porträtiert Slevogt seine Frau Nini am Weinspalier. Foto: wiki

Begnadeter Maler: Max Slevogt schätzt das Spiel mit Licht und Schatten und einen großzügigen Pinselstrich. Foto: epd

von Gertie Pohlit

Wer wissen möchte, wie die Pfalz zu ihrem Namen kam, begebe sich auf die Spuren von Max Slevogt. Der Maler, der am 8. Oktober 150 Jahre alt würde, hat in Bild und Wort den wahrhaft göttlichen Ursprung seiner Wahlheimat überliefert. Jesus steht auf dem Felsen der geschleiften Burg Neukastel und blickt über die sich traumhaft zu seinen Füßen ausbreitende Reblandschaft. Satan beschwört ihn mit ausladender Geste: „Das alles will ich dir geben …“ Jesus antwortet nur lakonisch: „Pal’s“ – für Nichtpfälzer: „Behalt’s“.

Der Fingerzeig auf die Grafik des Wahlpfälzers Slevogt weist schon in Richtung eines Schaffensspektrums, das seinesgleichen zumindest in jener Epoche sucht: Porträt- und Landschaftsmaler, Zeichner, Druckgrafiker und Buchillustrator, Bühnenbildner und Schöpfer großformatiger Wandgemälde. Zudem war Slevogt zusammen mit Max Liebermann und Lovis Corinth maßgeblicher Kopf des Maler-Triumvirats, dem es zu danken ist, dass der Impressionismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts am deutschen Kunstschaffen nicht völlig vorüberging; während zeitgleich im Nachbarland Frankreich bereits knapp 30 Künstler dieser Stilrichtung auf der Weltbühne zu unvergleichlicher Prominenz verhalfen.

Max Slevogt kommt 1868 in Landshut zur Welt. Als sein Vater, ein bayerischer Hauptmann, zwei Jahre später stirbt, übersiedelt die Witwe nach Würzburg. Slevogts Mutter Caroline entstammt einer Saarbrücker Fabrikantenfamilie, ist ein gebildeter, kunstsinniger Schöngeist und liefert ihrem Sohn allerlei intellektuelle Anregung. Die Schulzeit in Franken ist immer wieder unterbrochen durch Aufenthalte in der Pfalz, wohin es verwandtschaftliche Beziehungen gibt.

So genießt Max die Ferientage in der Landauer Gerberstraße bei der Großtante oder den Verwandten in Godramstein und Saarbrücken. Den Gutshof Neukastel nahe Leinsweiler lernt er schon in Kindertagen kennen. Er gehört den Finklers, der Familie seiner späteren Frau, mit der man großmütterlicherseits verwandt ist. Und bereits in Kindertagen lernt er Heinrich Kohl kennen, den lebenslangen Freund, Bankier und Mitinitiator des Pfälzerwald-Vereins. Für Slevogt ist er die „Verkörperung des Pfälzer Menschen“ schlechthin. Mehrfach hat er ihn porträtiert.

1884, nach der Matura, schreibt sich Slevogt, der schon als Knabe immer mit Malblock und Zeichenstift unterwegs ist, an der Bayerischen Akademie der Künste ein. Da ist er allerdings immer noch leicht mit sich im Hader, ob es nicht doch lieber hätte ein Gesangsstudium werden sollen. Slevogt verfügt über einen kraftvollen Bariton, nimmt auch Gesangsstunden. Und ist ein glühender Opern-Fan, vor allem der Werke Mozarts und Wagners.

Auch die Pfalz behält ihren Sog. Immer wieder kehrt er zurück zu den Finklers nach Godramstein, malt Ende der 1880er Jahre erste Landschaftsansichten vom Neukastel. 1890 verliebt er sich in Antonia – Nini –, die hübsche Tochter des Hauses, im Frühjahr 1898 heiraten sie in der Martinskirche zu Leinsweiler. Die Kinder Nina und Wolfgang kommen 1907 beziehungsweise 1908 zur Welt.

Nach Abschluss der Akademie unternimmt Slevogt 1890 eine Italienreise und lässt sich anschließend als freier Künstler in München nieder. Mit wenig Erfolg. Die stockkonservativen Bayern mögen seinen schwungvollen Pinselstrich nicht. Mit Kollegen gründet er die Münchner Sezession, hält sich derweil mit Karikaturen für die Satirezeitschrift „Simplicissimus“ über Wasser. Max Liebermann, der Kol­lege aus Studientagen, versucht ver­geblich, ihn zu halten, auch die Berufung auf eine Professur durch den Prinzregenten Luitpold vermag das nicht. 1901 wechselt Slevogt nach Berlin und schließt sich der dortigen Künstler-Sezession an. Mit großem Erfolg. Was er vorlegt, hat Sprengkraft und unwiderstehliches Charisma.

Zum Schlüsselerlebnis wird der Besuch der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900. Vor allem Édouard Manet beeindruckt ihn tief. Slevogt ändert seinen Malstil grundlegend. Die Magie des Lichts, die Polarisierung von Schatten und gleißender Helle, das Changieren zwischen diesen Elementen faszinieren ihn. Und die Großzügigkeit des Pinselstrichs, der nicht mehr hart konturgebunden, sondern dicht und in atmosphärischen Ambivalenzen unterwegs ist. Später, 1914, inspiriert durch die glühende Lichtfülle im Verlauf einer Ägypten-Reise, wird sich dieser Stil noch einmal verfeinern, potenzieren. Und er wird sich damit einschreiben ins Stammbuch der bedeutendsten Impressionisten des „Fin de Siecle“, auf Augenhöhe mit den großen Franzosen.

Slevogts Stern steigt nach der Jahrhundertwende kometenhaft auf. Zunehmend werden Porträts beauftragt, seine Landschaften – nicht im Atelier, sondern in freier Natur gemalt, was ein absolutes Novum darstellt –, in bedeutenden Ausstellungen präsentiert. Der „weiße d’Andrade“ von 1902 – es stellt den spanischen Bariton Francesco d’Andrade als Champagner-Lied schmetternden Don Giovanni in Mozarts gleichnamiger Oper dar – gilt heute als das bedeutendste Gemälde dieses Zeitraums überhaupt. Und es machte seinen Schöpfer schlagartig berühmt.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete sich Slevogt gleich 1914 freiwillig als Kriegsmaler an die Front, brach den Einsatz aber schon nach wenigen Wochen ab. Das anfängliche Hurra-Geschrei, in das er patriotisch eingestimmt hatte, erstarb im Schlamm der Schützengräben augenblicklich. Tief traumatisiert kehrte er heim und versuchte, sich malend vom Elend des Erlebten zu befreien. Dabei leisteten seine musikalisch-literarische Begeisterung ebenso sein dramaturgisches Talent brillante Assistenz. Die beim Verleger Bruno Cassirer in Berlin erschienenen Buchillustrationen suchen bis heute Ihresgleichen: Coopers „Lederstrumpf“, „Ali Baba“, „Benvenuto Cellini“, das Textbuch zur Zauberflöte oder Goethes Faust II beispielsweise.

Für den Berliner Schokoladenproduzenten Stollwerck fertigt er Entwürfe für Sammelbildchen. Liebevoll illustrierte Hochzeitseinladungen und kunstvoll ausgezierte Speisekarten zu solchen Festen finden sich zu hauf in Slevogts grafischem Nachlass. Als er die Technik des Holzschnitts für sich entdeckt, arbeitet er wie besessen an ganzen Serien.

Mehrfach ist Slevogt als Bühnenbildner aktiv, etwa für Max Reinhardt in Berlin oder die Staatsoper Dresden, für die er 1924 Mozarts „Don Giovanni“ – laut Slevogt „Oper der Opern“ – ausstaffiert. Zu gerne würde er auch die Bayreuther Wagner-Bühne bedienen. Allerdings mauern die konservativen Bayern-Wagnerianer, die den impressionistischen Meister als zu avantgardistisch beargwöhnen.

1914 – Slevogts Schwiegereltern Finkler müssen sich aus ökonomischen Gründen vom kostenträchtigen Neukasteler Gutshof trennen – gelingt es dem Künstler, das Anwesen mit dem charakteristischen Turm nach dem Vorbild italienisch-romantischer Bauweise für sich und seine Familie zu ersteigern. Fast zwei Dutzend Gemälde hat er dafür an die Gemäldegalerie in Dresden verkauft.

Der Slevogt-Hof, wie das Areal heute heißt, war ursprünglich ein Meierhof, Versorgungsstützpunkt der Burg Neukastel, bevor er im Französischen Erbfolgekrieg 1689 zerstört wurde. Im 19. Jahrhundert entstand auf den Resten ein Wirtshaus, das die Tabakfabrikanten Finkler in den 1870er Jahren als Gutshof erwarben. Ab jetzt wird Slevogt halbjährlich vom Berliner Wohnsitz zum Pfälzer Domizil wechseln. Im Laufe der Jahre werden die Hauptstadtaufenthalte zusehends seltener, was nicht zuletzt seine Studenten an der Berliner Akademie der Künste zu spüren bekommen.

Denn Slevogt hat Pläne mit dem neuen Domizil, in dessen Nähe sich heute der waldige Hain mit der Ruhestätte der Familie befindet. Er legt einen Terrassengarten an, der allerlei exotisches Getier, unter anderem Pfauen und Laufvögel, beherbergt. 1922 beginnt der Um- und Neubau der Gebäude. Zunächst muss der Misthaufen des bäuerlichen Betriebs in Nähe des Wohnhauses trockengelegt werden. Auf dieser Fläche errichtet Slevogt das Gebäude, das sein Musikzimmer beherbergt und eine Bibliothek mit kuppelartiger Decke. Von dort streckt sich eine lang gezogene Terrasse parallel zum Hang, die nach Süden hin einen weiten Blick über die Rheinebene gewährt. Überspannt mit einer Pergola dient sie als Atelier.

1924 beginnt Slevogt mit den Wandgemälden im Musikzimmer. Mit Casein-Farben, direkt im Mauerwerk aufgetragen, gelingt es ihm, Schlüsselszenen seiner Lieblingsopern, Mozarts Don Giovanni und Zauberflöte, Webers Freischütz und das Nibelungen-Epos von Wagner in einer unnachahmlich stimmigen dramaturgischen Abfolge miteinander in Beziehung zu setzen. So korrespondieren etwa – tief in die Eckwinkel verbannt – die Bösewichte Kaspar, Monostatos und Alberich miteinander. Don Juans Sturz durch den Komtur endet am Kamin, der mit lauter kleinen Teufelchen bevölkert ist. Etwas weiter, beim Abgang zum Wohnzimmer, begegnen wir unversehens Mephisto, der lauernd auf den altersgebeugten Faust blickt. Die grauen Weiber spähen schon zur Tür herein, allen voran die „Sorge“.

In der Bibliothek muss der Künstler sich auf die Decke beschränken. Es sind die vier Prosagattungen der Dichtkunst, die er bildgewaltig zitiert: das Drama mit Shakes­peares „Macbeth“, Scheherezade aus „Tausendundeine Nacht“ als Künderin des Märchens, Homers „Ilias“ als das Epos schlechthin und seinen geliebten „Lederstrumpf“ als Protagonist der Gattung Roman.

Von Slevogts Wandgemälden im öffentlichen Raum existiert heute nur noch das im Bremer Ratskeller von 1927 – die „Stadtmusikanten“. Das gigantische zwölf Meter hohe „Golgatha“-Gemälde, 1932 für die Ludwigshafener Friedenskirche erschaffen, fiel einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Immerhin hatte Slevogt, schwer von Gichtanfällen geplagt, das Werk noch vollenden können. Er starb am 20. September desselben Jahres auf Neukastel.

Die Fresken im Slevogt-Hof indes sind im Originalzustand erhalten, allerdings, wegen baulicher Altlasten, vom Verfall bedroht. Feuchtigkeit und Rückstände der Dunggrube haben sich ins Mauerwerk gefressen. Bis vor wenigen Jahren hatte die betagte Enkelin Slevogts mit Mann und Kindern das Castell noch als Museum und Restaurant betrieben. Über die Fresken hält längst die Landesdenkmalbehörde ihre schützenden Hände.

2011 erwarb der Landauer Architekt Thorsten Holch das Anwesen und signalisierte umfassende Sanierungsmaßnahmen der Gebäude. Ein sensibles und zudem millionenschweres Unterfangen, mahnt der mit historischer Bausubstanz erfahrene Fachmann zur Geduld. Immerhin können im aktuellen Slevogt-Jubeljahr schon wieder Führungen kleinerer Gruppen durch die Privaträume des Meisters angefragt werden.

E-Mail: info(at)nospamarchimedes-landau.de

Slevogt-Ausstellungen

– „Essen und Trinken“ – Slevogt-Höhepunkte aus eigenem Bestand, Schloss Villa Ludwigshöhe, Edenkoben, noch bis 25. November; www.schloss-villa-ludwigshoehe.de

– „Slevogt und Frankreich“, Saarlandmuseum, Moderne Galerie Saarbrücken, Bismarckstraße 11–15, noch bis 13. Januar 2019; www.kulturbesitz.de

– „Max Slevogt – eine Retrospektive zum 150. Geburtstag“, Landesmuseum Hannover, noch bis 14. Februar 2019; www.landesmuseum-hannover.niedersachsen.de

– „Ein Tag am Meer, Slevogt, Liebermann und Cassirer“, Landesmuseum Mainz, Große Bleiche 49, 9. Oktober bis 10. Februar 2019; www.landesmuseum-mainz.de

– „Kunst zu Gast in Leinsweiler“, Sonnenberghalle Leinsweiler, Hauptstraße 25; gezeigt werden Arbeiten aus Malkursen zum Thema Slevogt, bis 14. Oktober, www.landauland.de gpo

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