Livestream als Verpflichtung für den Menschen

Seit dem Lockdown im März wird in der Friedenskirche Kaiserslautern ohne Unterbrechung jeder Sonntagsgottesdienst live ins Netz gestellt

Überzeugt vom Livestream (von links): Oliver Schreyer, Robert de Payrebrune, Pfarrer Tilman Grabinski und Philip Schreyer. Foto: view

Wenn an diesem Sonntag Pfarrer Tilman Grabinski die Gottesdienstbesucher in der Friedenskirche Kaiserslautern begrüßt, wird er sich auch an all jene wenden, die am Bildschirm sitzen. Seit dem 22. März überträgt ein Team von Ehrenamtlichen die Gottesdienste in der Friedenskirche Woche für Woche live ins Internet. Kameras und Mikrofone zeichnen den Gottesdienst an diesem Sonntag zum 34. Mal auf. Dazu strahlt der Offene Kanal Kaiserslautern die Aufnahme aus.

Mit Verkündung des ersten Lockdowns war in der Gesamtkirchengemeinde Kaiserslautern die Idee entstanden, die Gottesdienste ins Netz zu übertragen. Er habe spontan Lust gehabt, sagt Pfarrer Tilman Grabinski. Außerdem sei die Friedenskirche groß und hell genug und habe eine genügend gute Internetverbindung, nennt er weitere Gründe, warum die Wahl auf ihn fiel.

Zwei Webcams, ein Mikrofon und ein Laptop waren die rudimentäre Ausstattung, mit der der Gottesdienst anfangs ins Netz gebracht wurde, erinnert sich Oliver Schreyer, Webentwickler des ökumenischen Internetauftritts der Kaiserslauterer Kirchen. Schreyer, Sohn Philip und Robert de Payrebrune stehen als Technikteam hinter den Streams und arbeiten laufend an Verbesserungen. Vor allem die Mischung aus Tages- und Kunstlicht stellte anfangs eine große Herausforderung dar.

Grabinski bot anfangs Kolleginnen und Kollegen an, die Übertragungsmöglichkeit zu nutzen, „die Resonanz während des Lockdowns war überschaubar“, sagt der Pfarrer. Immerhin: Neun Pfarrerinnen und Pfarrer, hauptsächlich aus dem Kirchenbezirk Kaiserslautern, übertrugen ihre Gottesdienste aus der Friedenskirche. Zum Ende des ersten Lockdowns war Grabinski dann auch mit Blick auf die Zahlen klar: „Wir bleiben dabei, weil das eine Erweiterung des Gottesdiensts ist.“ Zwischen 30 und 170 lägen die Abrufe beim Livestream, die nachträglichen Ansichten bei You­tube im Schnitt bei rund 300. „Da sind Menschen dabei, die wir vorher nicht erreicht haben“, ist der Pfarrer überzeugt. Dazu zählten auch jene Altenheimbewohner, die nicht mehr fit genug seien, um den Gottesdienst zu besuchen. „Und Seelsorge gibt es nicht in allen Einrichtungen.“ Der Livestream sei Verpflichtung an den Menschen.

Natürlich sei das Agieren vor der Kamera eine Herausforderung, gibt Grabinski zu. Während des Lockdowns, als er ohne Gottesdienstbesucher sprach, half sich Grabinski mit einem Smiley über der Kamera. „Damit ich merke, dass ich Menschen anspreche, nicht ein Stück Technik.“ Sich in Bild und Ton zu sehen und zu hören, sei nicht immer leicht, sagt Grabinski, öffne aber manchem die Augen. „Gucke ich wirklich immer so grimmig?“, habe ein Kollege überrascht gefragt. Für März hat sich Grabinski für einen Kurs des Instituts für kirchliche Fortbildung zur medialen Präsenz in Gottesdiensten angemeldet. „Leider wird nichts früher angeboten.“

Das Technikteam tüftelt unterdessen, wie das Publikum am Bildschirm mehr einbezogen werden kann. Über den Youtube-Chat war mit wenig Erfolg versucht worden, Gebetsanliegen einzubinden. Alternativ wird jetzt über die Beteiligung mit Smartphone nachgedacht. Eingeblendet werden jetzt schon Psalmen zum Mitbeten und Liedtexte. Mittels eines QR-Codes während der Abkündigungen können Gottesdienstbesucher zur Onlinespende gelangen.

Allerdings weiß das Team, dass der Aufwand mit Blick auf die zehn Ehrenamtlichen für die Technik – zwei übernehmen jeweils eine Schicht – überschaubar bleiben muss. „Die Technik ist nur Mittel zum Zweck, wir wollen das Evangelium unters Volk bringen“, sagt Grabinski. An den Kameras im Gottesdienstraum habe sich bis auf eine einzige Ausnahme noch niemand gestört. Zu den Webcams sind eine Stativkamera, ein besserer Computer für Aufnahme und Bildregie sowie Mischpulte für den Ton hinzugekommen. 3800 Euro Spenden hat Grabinski dafür eingeworben. Die Technik gibt Möglichkeiten: Klavierkonzert, Vortrag, das war so schon live im Internet zu erleben. In Zeiten drastisch ansteigender Coronazahlen wird das Friedenskirche-Stream-Team wohl auch künftig gut zu tun haben. flor

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