Lisel Heise will Kreuze sammeln für ein neues Freibad

100-jährige rüstige Protestantin aus Kirchheimbolanden kandidiert für den Stadtrat – Mehr als 40 Jahre lang im Kirchenchor mitgesungen

Kritische Kommentare für den „Lieblingsdekan“: Lisel Heise und Stefan Dominke, Dekan des Kirchenbezirks Donnersberg. Foto: Stepan

Die Chancen, dass Lisel Heise in den Stadtrat einzieht, stehen nicht schlecht. Ihr politischer Kampf für ein neues Freibad in ihrer nordpfälzischen Heimatstadt Kirchheimbolanden bescherte der 100-Jährigen große mediale Prominenz. „Die Schließung des alten Freibads vor acht Jahren war eine Fehlzündung der Demokratie“, sagt die geistig und körperlich außergewöhnlich fitte Pfälzerin. Bei den Kommunalwahlen am 26. Mai tritt sie für den Wählerbund „Wir für Kibo“ in der 8000-Einwohner-Stadt an – und ist damit die wohl älteste Kandidatin bundesweit für ein politisches Amt überhaupt.

„Wahlwerbung braucht Frau Heise nicht“, sagt Stefan Dominke, der Dekan des Kirchenbezirks Donnersberg, der die Seniorin seit vielen Jahren persönlich kennt und schätzt. Zwar steht die freundliche „Power-Oma“, wie sie die „Bild-Zeitung“ nannte, nur auf Listenplatz 20 ihrer Wählergruppe. Doch sei die frühere Lehrerin bei vielen Stadtbewohnerinnen und -bewohnern hochgeachtet und beliebt, berichtet der Dekan. Ihr zentrales Wahlkampfthema – ein neues Freibad als Ort der körperlichen Ertüchtigung und als Treffpunkt der Generationen – sei vielen ebenfalls ein Herzensanliegen.

Bei der Kommunalwahl werde die Protestantin wohl fleißig Kreuze sammeln, glaubt Dominke. In seiner Kirchengemeinde ist sie seit vielen Jahrzehnten engagiert. Mehr als 40 Jahre lang sang sie in der Kantorei und im Kirchenchor. „Die Augen machten aber nicht mehr mit“, klagt die Tochter eines Schuhfabrikanten aus Kirchheimbolanden. Doch noch immer geht sie regelmäßig in den Gottesdienst, kommentiert mit offenen Worten die Predigten ihres „Lieblingsdekans“, wirft ihm hin und wieder auch Zettel mit Denksprüchen oder Kommentaren in den Briefkasten. „Ich schätze das“, sagt Dominke, der gerne häufiger Rückmeldungen von seinen Schäfchen haben würde. Dass die Kirche „im Dorf“, räumlich nahe bei den Menschen bleiben müsse, ist Lisel Heise wichtig. Täglich ist sie noch immer zu Fuß und ohne Gehhilfen in der hügeligen Stadt unterwegs.

Bis zu ihrem 80. Lebensjahr war sie mit ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann mit dem Wohnwagen auf Reisen – auch im französischen Taizé, wo sie die dortige ökumenische Gemeinschaft begeisterte. „Die Trennung der Kirchen ist paradox, ein historischer Quatsch“, sagt Lisel Heise. Papst Franziskus und seinen Kurs der Öffnung der katholischen Kirche findet sie „ganz toll“. Und die Themen Frieden und Umweltschutz seien bei den Kirchen in guten Händen.

Kritisch zeigt sich die Wahlkämpferin auch in scharfsinnigen Diskussionen über Gott und die Welt. Dass der Tod „eine Strafe Gottes“ sei, wie es in der Bibel stehe, stimme nicht, sagt sie. Auch manches Gebot aus biblischer Zeit, etwa dass „das Weib in der Gemeinde schweige“, zähle in moderner Zeit nicht mehr, sagt die Protestantin, die vier Kinder, zehn Enkel und acht Urenkel hat. Etwas politisch zu verändern und die Gesellschaft mitzugestalten, sei keine Frage des Alters, betont Lisel Heise, die den ganzen Rummel um sie sichtlich genießt. Zu jung fühle sie sich, „um Kochrezepte auszutauschen oder nur zu putzen“.

Beeindruckt zeigt sich Dekan Dominke vom politischen Engagement der 100-Jährigen: „Lisel Heise zeigt, dass man auch im fortgeschrittenen Alter an der Gesellschaft teilhaben kann.“ Auch Bundestagspräsident Wolfgang Kubicki (FDP) lobte ihren Einsatz als „ein großartiges Signal“. „Es ehrt unsere Demokratie, wenn sich eine 100-Jährige aufmacht, ein Kommunalparlament aufzumischen“, sagte er.

Bewusst will Lisel Heise „den ganzen Kladderadatsch mit der Presse“ nutzen, um ein neues Freibad für Kirchheimbolanden zu bekommen. „Schwimmen ist der gesündeste Sport, den es gibt“, sagt sie. Der SWR und das ZDF waren schon bei ihr, um zu berichten, auch der „Spiegel“ meldete sich. Und selbst aus China hat ein Reporter angerufen. „Den habe ich aber nicht verstanden“, sagt Lisel Heise mit schelmisch funkelnden Augen. Ein Mandat würde sie auf jeden Fall annehmen, sofern es ihre Kräfte zulassen: „Ich lasse alles auf mich zukommen, mein Lieber.“ Alexander Lang

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