Künderin von Flut und Feuersbrunst

Im Glockenmuseum im Alten Rathaus Insheim sind fast 900 Exponate aus der ganzen Welt ausgestellt

Eines der Lieblingsstücke von Dieter Rühling im Glockenmuseum: Die Glocke einer längst verschrotteten Dampflokomotive. Foto: VAN

Es war ein durchdringend heller Glockenton, der wenigstens einmal pro Woche durch die Ortschaft gellte; die Bauern, Handwerker, Hausfrauen in gebieterischem Klingklang aufforderte, alles stehen und liegen zu lassen; und zum Dorfanger zu eilen oder auf den Kirchplatz. Da standen sie dann alle und lauschten den Neuigkeiten und amtlichen Bekanntmachungen, die der Dorfbüttel – damals hieß das noch nicht Pressesprecher – der Bevölkerung in höchstem Auftrag mitzuteilen hatte. Wenn alles verlesen war, hob er die Hand mit dem Glockenstiel erneut, bebimmelte das Ende und machte sich auf zur nächsten Station seiner amtlichen Informationstour.

Die Büttelglocke der Ortsgemeinde Insheim aus Zeiten, als weder Amtsblatt, noch Tages- oder Wochenzeitung existierten und das Internet, ja selbst das Fernsehen auf dem flachen Land noch jenseits aller Vorstellungskraft waren, ist kürzlich wie durch ein Wunder wiederaufgetaucht. Und steht jetzt mit fast 900 Geschwistern im Insheimer Glockenmuseum. Dieter Rühling, der an diesem kalten Wintermorgen gut gelaunt zur Exklusivführung im ungedämmten Dachbodenraum des historischen Rathauses anhebt, erzählt das so en passant.

Seit vielen Jahren ist der Bauunternehmer Vorsitzender des Kulturvereins Insheim. Das Projekt Glockenmuseum ist ihm ganz besonders ans Herz gewachsen. Nachdem Gunter Gaubatz, Hauptleihgeber der Sammlung und langjähriger aktiver Mitstreiter krankheitsbedingt ausscheiden musste, gibt es jetzt einen kleinen Stab von Helfern, der die einzigartige Schau während der Öffnungszeiten betreut, Führungen begleitet, sich um den Bestand kümmert. „Wir sind dankbar, dass die Gemeinde den Raum kostenlos zur Verfügung stellt“, sagt Rühling. Die Infrastruktur ist Aufgabe des Vereins. „Wir haben die Vitrinen beschafft, die Beschriftungen und das Infomaterial erstellt; Reinigung, Reparaturen, wenn notwendig, Versicherungsangelegenheiten – alles unsere Sache.“

Der Ausbau der Sammlung ist offenbar ebenfalls in besten Händen. Denn mittlerweile listet das Inventar 890 Objekte. 480 sind Leihgaben, der Rest stammt aus Nachlässen, ist beim Schrotthändler oder auf dem Flohmarkt ausgeguckt worden. „Begeisterte Besucher steuern zuweilen etwas aus Familienbeständen bei“, erzählt Rühling, „oder entdecken auf einer Fernreise ein exotisches Mitbringsel.“

Und jetzt der Rundgang. Eintauchen in die Kulturgeschichte der Glocke, der ältesten Künderin von Feuersbrünsten, Kriegen, Diebesbanden und Sturmfluten; der unerbittlichen Ruferin zum Gottesdienst. „’S leit schunn zamme“, hieß es früher in der Pfalz; die Glocke als rituelle Begleiterin von Jubel und Festtagsfreude, Sterben und mahnendem Gedenken, mal vielstimmig rauschend, mal in gedämpfter Monotonie.

In welch unterschiedlicher Ausprägung Glocken, vor allem zu vorindustriellen Zeiten, im Alltag präsent waren, könnte nichts besser vor Augen führen, als diese weltläufige und gut sortierte Schau. Tierglocken aller Art, hiesige für Ziegen und Lämmer, alpenländische fürs Großvieh oder jene aus Indien, die Elefantenhälse zierten; afrikanische Doppelglocken, ohne Klöppel, mit einem Holzstab zu schlagen.

An den Quer- und Strebebalken reihen sich wiederum Glocken aus Kapellen, teils mit Widmungen, Jahreszahlen und allerlei Zierrat versehen. In der nahen Vitrine finden sich buddhistische Gebetsglocken neben katholischen Künderinnen der Wandlung und Schellenglocken für Messdiener. Manchmal sind sie mit wunderbaren Intarsien, figürlich gestalteten Griffen verziert. An der Wand hängt ein ganzes Spalier von kunstvoll gearbeitetem Pferdegeschirr, darunter mit Glöckchen bestickte Kummets. Rühling deutet auf ein Exemplar mit einem Schellenensemble. „Es gehörte zum Gespann eines Dorfpfarrers. Und wenn die Menschen den silbrigen Klang der Glöckchen vernahmen, wussten sie, der Geistliche eilte zu einem Sterbenden, um ihm die letzte Ölung zu spenden.“

Gut 40 Zentimeter Durchmesser weist die größte der gut bestückten Abteilung Schiffsglocken auf, die als Signal- und Warngeber ebenso unentbehrlich waren wie die Stundenglocken auf Rathaus- oder Kirchtürmen. Verlässliche Sekundanten bei Nebel, Schneetreiben, Dunkelheit. Ruferinnen, die das Tagwerk verlässlich takteten. Eher zu privatem Gebrauch waren die zierlichen Tischglocken gedacht, echte Hingucker, ebenso wie die Hausglocken, mit deren Hilfe sich in vorelektrischen Zeiten Besucher am Einlass bemerkbar machten.

Zu Rühlings Lieblingsstücken zählt eine dickbauchige Berta, die zu DDR-Zeiten auf einer längst verschrotteten Dampflok thronte und das Nahen des Zugs lautstark verkündete. Und auch die alte Straßenbahnglocke, die an prominenter Stelle aufgehängt sofort ins Auge sticht, ist eine echte Preziose. Der typische klare Ton ist manch Älterem sicher noch geläufig, und unwillkürlich schleicht sich Weiss Ferdls Münchner Trambahnhymne „Ein Wagen von der Linie 8“ ins Ohr. Ebenfalls ein Unikat mit Geschichte ist die einstige Glocke der Friedhofskapelle in Wissembourg. Sie hat im Ersten Weltkrieg eine Kugel durchschlagen. Dennoch lässt sie sich noch zum Klingen bringen, demonstriert Rühling. Und just in diesem Moment schlägt es von ganz oben im Turmzimmer neun. „Die Mutterglocke“, sagt der Glockenführer schmunzelnd. Seit 1733 schon schlägt sie getreulich zur vollen Stunde an. Zeit, ans Tagwerk zu gehen. Gertie Pohlit

Glockenmuseum im Alten Rathaus Insheim, Hauptstraße 15; geöffnet jeweils am ersten Sonntag im Monat, 14 bis 17 Uhr. Führungen: Dieter Rühling, Telefon 0171/1434489

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