Kirchen verdrängen theologische Fragen

von Klaus Koch

Klaus Koch

Das Reformationsjubiläum hat der Ökumene einen Schub verliehen. In keiner Bilanz fehlt diese Feststellung. In nahezu jeder Begegnung führender Geistlicher der beiden großen Kirchen ist zu spüren, wie Vertrauen gewachsen ist. Gemeinsame Auftritte verlaufen geschwisterlich, stets werden die besonderen Gaben der jeweils anderen Konfession gelobt. Verglichen mit den antikatholischen Reformationsjubiläen der vergangenen Jahrhunderte ist das ein grandioser Gewinn. Es wäre für beide Kirchen schädlich, sich auf Kosten der anderen zu profilieren. Das passt nicht in eine Zeit, in der die Kirchen insgesamt an Bindungskraft verlieren und um den Fortbestand ihrer Traditionen kämpfen müssen.

Doch das öffentliche Ausstellen der Harmonie ist nicht immer redlich. Die Kirchen schaden sich erheblich, wenn sie das Trennende kleinreden. Es ist eben einseitig verboten, dass katholische und evangelische Christen gemeinsam zum Tisch des Herrn gehen. Einzig die badische Landeskirche und die Erzdiözese Freiburg haben es bisher geschafft, ein Formular für eine wirklich gleichberechtigte ökumenische Trauung zu vereinbaren. Und das katholische Amtsverständnis diskriminiert nicht nur Frauen bei der Weihe. Es führt auch dazu, dass von katholischer Seite die weitgehend demokratisch organisierte evangelische Kirche gelegentlich mit Skepsis betrachtet wird: Ist das wirklich Kirche, wenn da eine Mehrheit entscheidet und nicht ein Mann in unmittelbarer Nachfolge des Apostels Petrus?

Natürlich ist der Einwand richtig, dass theologische Differenzen bei den meisten Kirchenmitgliedern verblasst sind und im Alltag keine Rolle spielen. Aber dennoch dürfen sie nicht verdrängt werden. Beide Kirchen leiden an spirituellem Substanzverlust. Das wird nicht besser, wenn theologische Fragen aus der öffentlichen Debatte herausgenommen werden. Entweder sind diese Differenzen nicht wichtig, dann können sie ja beseitigt werden. Oder sie sind wichtig, dann müssen die Kirchen darüber reden.

Soziale Arbeit, Anwaltschaft für die Schwachen, das Eintreten für Toleranz und die Würde des Einzelnen sind wichtige Aufgaben der Kirchen. Doch das können andere auch. Der Markenkern der Kirchen ist Theologie und Spiritualität. Der Ausdruck davon kann auf Dauer nicht sein, dass an einem Sonntagmorgen sieben Protestanten und acht Katholiken wenige hundert Meter voneinander entfernt getrennt Gottesdienste feiern.

Öffentlich gibt es bisher keine Hinweise, dass sich die katholischen deutschen Bischöfe mit Elan um substanzielle Fortschritte in der Ökumene bemühen. Das sollte für die protestantische Seite aber kein Grund zum Fatalismus sein. Im kommenden Jahr feiert die Landeskirche 200 Jahre Kirchenunion. Das ist eine Gelegenheit zu zeigen, wie viel Pluralität und Freiheit eine Kirche nicht nur aushält, sondern begeistert leben kann.

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