Kirche muss immer wieder Kirche werden

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

„Es weiß gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei“, schrieb einst Martin Luther. Heutzutage weiß das die Kirche offenbar selbst nicht mehr. Die vor 500 Jahren aus der Reformation hervorgegangenen aktuell noch 20 evangelischen Landeskirchen und ihre oberste Stabsstelle, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), beschäftigen seit der Jahrtausendwende ein ganzes Rudel von Unternehmensberatern, die ihnen erklären sollen, wofür sie gut sind und wie sie ihre „lockeren“ Mitglieder an sich binden können. So eine Kirche braucht die Welt nun wirklich nicht.

Kirche ist kein Unternehmen, keine BASF und keine SAP – und sie ist kein Mitgliedschaftsverein. Die christliche Kirche ist eine Gemeinschaft, in der Menschen an Jesus Christus glauben; an sein Handeln, an seine Begegnungen und an die Menschenfreundlichkeit, die er gelebt hat. Und sie ist eine Gemeinschaft, in der Menschen an Gott glauben: den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn.

Nun hat die Kirche eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die zu dem wenig überraschenden Ergebnis kam, dass sie bis 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren könnte. Dafür hätten die Kirchenleiter in den bestens besetzten Verwaltungsetagen beider Amtskirchen eigentlich nur einen Taschenrechner gebraucht. Und wie reagiert die oberste Repräsentanz der evangelischen Kirche auf diese Nachricht: Weniger Kirchenmitglieder bedeuten nicht automatisch weniger gesellschaftliche Relevanz. „Die christlichen Kirchen bleiben weiterhin die größte nicht staatliche Organisation in Deutschland“, sagt Heinrich Bedford-Strohm. Er trifft damit ungewollt des Pudels Kern.

Was ist Kirche? Wofür wird sie gebraucht? Jedenfalls nicht als größte nicht staatliche Organisation mit gesellschaftlicher Relevanz. Wer die Bibel liest, erkennt schnell, dass Gott und die Kirche den Staat nicht wirklich brauchen. In der urchristlichen Gemeinde wären viele froh gewesen über eine möglichst große Abwesenheit der Soldaten des Römischen Reichs. Eine Gesellschaft braucht staatliche Strukturen, und Menschen brauchen eine Kirche, die ihrem Leben Sinn und Werte gibt. Dafür brauchen sie eine Gemeinde und diakonische Nächstenliebe – sonst nichts.

Alles andere ist zweitrangig und meist eine Folge des materiellen Überflusses vergangener Zeiten. Kirche muss keine staatlichen Aufgaben übernehmen in Kindertagesstätten, Schulen, Kliniken et cetera. Es täte ihr gut – und sei es im materiellen Notstand – wieder zur Besinnung und zur Sache zu kommen: zur Verkündigung des Evangeliums in jenen Gebäuden, die Kirchen heißen und aktuell einen geradezu unglaublichen Leerstand verzeichnen. Nicht nur mehr Christen, auch viel mehr Pfarrer werden in diesen Kirchen gebraucht. Ohne Botschaft bleibt die Kundschaft aus.

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