„Jeder nor einen wönzigen Schlock!“

Die Feuerzangenbowle gehört zur deutschen Gemütlichkeit – Doch die Corona-Pandemie lässt Geselligkeit zurzeit kaum zu • von Wolfgang Weissgerber

Es zischt und dampft, wenn der Rum mit blauer Flamme brennt und mitsamt dem schmelzenden Zucker in den Rotwein tropft. Doch die Corona-Pandemie setzt solcher Geselligkeit enge Grenzen. Foto: picture-alliance/dpa, Boris Roessler

Etwas einfacher als die Feuerzangenbowle, aber mit Gewürzen und Zitrusfrüchten wird Glühwein bereitet. Auch hier sollte man nicht am Wein sparen. Foto: picture-alliance/dpa, Westend61, Susan Brooks-Dammann

Kopfweh gefällig? Dann nehme man billigen Rotwein, erhitze ihn mit Zucker und ein paar Gewürzen – oder man greife gleich zur fertigen Plörre vom Discounter. Keine gute Idee. Auch bei der Edel­variante des Glühweins, der Feuerzangenbowle, kommt es auf die Qualität der Zutaten an sowie auf die Menge des persönlichen Konsums. Angesichts der Corona-Pandemie sollte man zudem bei der Anzahl der Gäste zurückhaltend sein.

An meine erste Feuerzangenbowle erinnere ich mich noch mit Grausen. Meine Freundin und ich hatten an einem kalten Winterabend, damals vielleicht 21 oder 22 Jahre alt, ein befreundetes Studentenpärchen in unsere erste gemeinsame Wohnung geladen. Dort hockten wir auf dem Boden um einen Campingkocher mit unserem einzigen Kochtopf darauf. Wir erhitzten darin französischen Landwein, die Flasche für höchstens 1,99 DM (also etwa einen Euro), und ließen auf einer richtigen Feuerzange, die wir irgendeiner Tante abgeschwätzt hatten, einen Zuckerhut mit hochprozentigem Rum abbrennen.

Weil wir den Rum offenbar viel zu hastig darüberschütteten, landete das meiste unverbrannt im Topf. Auch Rotwein zum Nachgießen hatten wir reichlich. Den ganzen Abend tranken wir nur Feuerzangenbowle, das Erwachen am nächsten Morgen – wohl eher Mittag – war entsprechend fürchterlich.

Bis zur nächsten Feuerzangenbowle habe ich mindestens zehn Jahre verstreichen lassen. Inzwischen wusste ich auch, worauf es ankommt. Regel Nummer eins: ordentlichen Wein nehmen. Es muss kein Grand Cru sein, aber schon ein Rotwein, den man auch so trinken würde – also mindestens die Qualitätsstufe QbA (Deutschland), DOC oder IGT (Italien), AOC oder IGP (Frankreich) sowie DO oder IGT/IGP (Spanien). Als Rebsorten kommen Spätburgunder oder Lemberger infrage, Freunde der für mich indiskutablen Sorte Dornfelder wollen damit ebenfalls gute Erfahrungen gemacht haben. Auch südfranzösische Cuvées aus Syrah, Grenache (in Italien Cannonau oder Tocai Rosso genannt, in Spanien Garnacha), Mourvèdre, Carignan oder Merlot (oder diese reinsortig) sind geeignet, sofern es sich nicht um tanninreiche Holzbomben handelt. Barrique-Weine wären auf jeden Fall Verschwendung. Zumindest sollten es nicht zu schwere und vor allem trockene Weine sein – Zucker kommt ja noch dazu.

Einen Zuckerhut gibt’s in jedem gut sortierten Supermarkt, der Rum sollte deutlich mehr als die üblichen 40 Volumenprozent Alkoholgehalt aufweisen. Er wird vorsorglich erwärmt, am besten samt Flasche in einem Topf mit Wasser. Der Wein wird in einem schönen Gefäß mit Gewürzen (eine Zimtstange, zwei Sternanis, drei Nelken, vier Pimentkörner) und den Scheiben je einer Orange und Zitrone (Schale unbehandelt!) auf dem Herd erwärmt, aber nicht aufgekocht, und dann auf dem Rechaud (vom Fondue-Set) warmgehalten. Auch Kardamom würzt die Bowle – die streng genommen ein Punsch ist – recht delikat, zudem kann man die Mengen der Gewürze auch je nach Geschmack erhöhen.

Der Zuckerhut wird auf die Feuerzange – eine geschlitzte Metallschiene – gelegt, mit etwas Rum begossen und angezündet. Schmelzender Zucker und Rum tropfen dann in den Wein. Mit einer Schöpfkelle – keinesfalls aus der Flasche – wird vorsichtig weiter Rum nachgegossen, bis der Zuckerhut vollständig abgeschmolzen ist. Auf zwei bis drei Flaschen Rotwein sollte maximal eine halbe Flasche Rum ausreichen. Für sechs bis acht Personen ist das genug.

Denn nun kommt Regel Nummer zwei: Maßhalten. Man muss es zwar nicht so streng treiben wie der Lehrer in dem legendären Heinz-Rühmann-Film „Die Feuerzangenbowle“. Der verabreichte seinen Schülern zu Unterrichtszwecken selbst gemachten Obstwein mit der ebenfalls legendären Mahnung „Jeder nor einen wönzigen Schlock“. Ein paar kräftige Schlucke von der Feuerzangenbowle dürfen es schon sein. Aber nach zwei oder drei Bechern ist besser Schluss. Denn in Verbindung mit Zucker und Wärme geht der Alkohol viel schneller ins Blut über, zugleich verdecken Wärme und Süße die vielen Prozente von Wein und Rum. Der Alkohol selbst bewirkt übrigens keine Kopfschmerzen – die resultieren aus den Fuselstoffen minderwertiger Weine und Spirituosen.

Über die Herkunft der Feuerzangenbowle ist wenig überliefert. Vermutlich kam sie Anfang des 19. Jahrhunderts in Studentenkreisen auf. Ursprünglich wurde zum Halten des Zuckerhuts ein Kaminbesteck verwendet, das dem Punsch den Namen gab. Zuckerhüte waren damals handelsüblich, heute werden sie fast ausschließlich für die Bowle produziert. Die größte Feuerzangenbowle der Welt wurde angeblich 2005 in München zelebriert. Der drei Meter hohe Kupferkessel soll rund 9000 Liter gefasst haben.

Weniger aufwändig – und vielleicht auch etwas weniger folgenreich – ist der kleine Bruder der Feuerzangenbowle. Fertigen Glühwein gibt es beim Discounter schon für weniger als zwei Euro pro Flasche. Doch auch hier gilt Regel Nummer eins: ordentlichen Wein nehmen. Also lieber Finger weg von der billigen Plörre und Glühwein aus guten Weinen selber machen. Die Zutaten sind dieselben wie bei der Feuerzangenbowle, nur wird der Zucker (gerne brauner oder Kandis) direkt in den Wein gegeben – 50 Gramm pro Liter sind meist schon genug, mehr als 100 Gramm sollten es nicht werden. Manche Rezepte empfehlen zudem 50 Milliliter Rum auf einen Liter Wein – kann, muss aber nicht.

Der Wein wird langsam erhitzt, aber keinesfalls aufgekocht und entweder in Thermoskannen oder ein elektrisches Warmhaltegefäß gegeben. Bei den Gewürzen kann man ruhig ein wenig experimentieren: Neben Sternanis, Zimt, Nelken und Kardamom geben auch roter Pfeffer oder Muskatnuss interessante Noten. Schon die alten Römer kannten das.

Leider wird auch auf vielen Weihnachtsmärkten klebrig-süßer Fertigglühwein ausgeschenkt, der in größeren Mengen zu den bekannten und vorhersehbaren Folgen führt. Zumindest dieses Problem hat sich wegen der Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie vorläufig erledigt: In dieser Adventszeit finden praktisch keine Weihnachtsmärkte statt. Gäbe es sie, wäre zum Besuch eines jener immer häufiger anzutreffenden Stände anzuraten, die anstelle der vorgemixten Massenware sogenannten Winzerglühwein ausschenken. Zwar war auch beim billigen Kopfwehgesöff zumindest ganz am Anfang ein Mensch mit der Berufsbezeichnung Winzer aktiv. Doch bei einem ordentlichen Winzerglühwein weist der Ausschank die Rebsorte und den Herkunftsort, womöglich sogar die jeweilige Lage aus. Da lassen sich interessante Entdeckungen machen und Vergleiche anstellen. Wagemutige lassen sich dabei auch auf einen weißen Glühwein ein.

Wegen Corona müssen wir den Glühwein notgedrungen zu Hause trinken. Das macht meist keinen großen Spaß. Allein oder zu zweit vor der Glotze mit einem Glas Rotwein oder einem winterlichen Tee – okay. Aber Glühwein?

Im März, zu Beginn der Pandemie-Beschränkungen, haben Nachbarn in meiner Straße den herannahenden Frühling auf ihre eigene, ganz besondere Weise und total coronakonform begrüßt. Sie versammelten sich am Abend im Schein einer Straßenlaterne mit Mantel, Schal und Handschuhen im lockeren Kreis mit gehörigem Abstand um eine Mülltonne, auf die ein Brett gelegt war. Darauf waren Gläser und diverse Schnapsflaschen arrangiert. Im steten Wechsel trat man heran, schenkte sich ein und prostete einander zu.

Das funktioniert natürlich auch mit Glühwein. Soweit vorhanden, ist ein Stehtisch dafür allerdings sehr viel stilvoller und schafft sogar ein bisschen Weihnachtsatmosphäre. Eine Feuerzangenbowle lässt sich unter diesen Umständen aber kaum feierlich zelebrieren. Im kleinen Kreis mit weniger als einer Handvoll Gästen kann man es vielleicht auf der Terrasse oder einem großen Balkon versuchen, ohne die Corona-Polizei auf den Plan zu rufen.

In geschlossenen Räumen ist von dieser Art Geselligkeit rund um den dampfenden Kessel indes dringend abzuraten. In einem Jahr können wir es vielleicht wieder probieren.

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