In die Geheimnisse des Glockengusses eingeweiht

Rund 500 Zuschauer bekommen Gänsehaut beim Schauguss vor dem Meckenheimer Rathaus – Friedhofsglocke zum 1250. Ortsjubiläum

Andächtige Stille im Publikum: Die Straßburger Glockengießer füllen die 1100 Grad heiße Bronze in die Glockenform. Foto: LM

Gelb-grüne Flammen züngeln in den Abendhimmel, Männer in silberner Montur und Schweißerhelmen stehen mit Gießkellen bereit, um unter den Augen von gut 500 Zuschauern die flüssige Bronze in die Form zu gießen. Es ist mucksmäuschenstill – ein paar Kinder rufen staunend: „Das glitzert!“ Spannung und Faszination liegen in der Luft, als die 1100 Grad heiße Bronze aus dem Schmelztiegel geschöpft wird und den Gießkanal hinunterfließt. „So etwas hat es in der 1250 Jahre alten Geschichte von Meckenheim noch nie gegeben“, sagt Bürgermeister Heiner Dopp stolz.

Bereits morgens wurde auf dem Rathausplatz der Ofen aus Backsteinen gebaut und die Form im Sand vergraben. „Um das heilige Pflaster zu schonen, haben wir eine überirdische Gießgrube gebaut“, erklärt Birgit Müller. Die Glockensachverständige von Landeskirche und Bistum hatte die Idee zu der Glocke und dem öffentlichen Glockenguss. Tatsächlich hätten 16 Kubikmeter Erde herbeigefahren und verdichtet werden müssen, damit die Lehmform dem flüssigen Metall standhalte. Alles werde noch genauso gemacht wie vor 1000 Jahren, erläutert Müller, „wenn man vom Gebrauch des Heizöls und des Rüttlers absieht“. Die Meckenheimerin weiht per Mikrofon das Publikum nach und nach in die Geheimnisse des Glockengießens ein, während die „Glockenspeise“ auf Temperatur gebracht wird: 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn mischen sich bei 1100 Grad zur Glockenbronze. Der große Moment rückt näher: Auf der einen Seite steht die Feuerwehr bereit, auf der anderen die Pfarrer des Orts. „Nur in der Hölle ist es heißer“, witzelt Müller.

Der Glockenguss folgt einem traditionellen Ablauf: Nach der Gießprobe, bei der die Konsistenz geprüft wird, folgen Segensgebet und Vaterunser, in Meckenheim gesprochen von Pfarrer Christian Mund und seinem katholischen Kollegen Bernhard Braun. Danach verstummt die Menge, die gebannt den Glockenguss beobachtet. Erneut sprühen Flammen in den Nachthimmel; die Luft, die aus dem Hohlraum der Form entweicht, wird abgefackelt. Das flüssige Metall leuchtet auf, die Glockengießer sind von einem hellen Schein aus Rauch, Glut und Feuer umgeben – nach sieben Minuten andächtiger Stille erklingt schließlich Applaus: der Glockenguss war erfolgreich. Birgit Müller gibt den Einsatz für das gemeinsame „Großer Gott, wir loben dich“. Viele Meckenheimer attestieren danach, eine „echte Gänsehaut“ zu haben.

Die Glockengießer aus dem Elsass haben die heiße Phase gut gemeistert. André Voegelé, Glockengießer in der vierten Generation, ist erleichtert: „Der Guss ist sehr gut verlaufen“, obwohl die überirdische Gießgrube ihm akrobatisch einiges abverlangt habe. „Es war schon eine Tanzerei da oben.“ Auch seine Mitarbeiter stellt er vor: Sein Schwiegersohn Nicola und Dikran aus Syrien, der eine kleine Gießerei in Aleppo hatte, dann aber vor dem IS fliehen musste und nun seit zwei Jahren André Voegelé unterstützt. Zwei Tage nach dem Guss wird die Glocke ausgegraben, gereinigt und in den Betrieb nach Straßburg gebracht, wo sie mit Klöppel und Joch ausgestattet wird.

„Die Glocke wiegt etwa 120 Kilogramm, hat den Ton E2+4 und ist eine sogenannte Moll-Oktavrippe“, erklärt die Glockensachverständige. Die neue kommunale Glocke soll am 2. September beim Festumzug dabei sein und am 3. Oktober auf dem Friedhof geweiht werden. Bis dahin soll auch der Glockenturm fertig sein. Die Gesamtkosten für Glocke und Turm beliefen sich auf etwa 20000 Euro, schätzt Bürgermeister Dopp, der sich auch über gut 8000 Euro Spenden für die Friedhofsglocke freut. Spender, die 250 Euro oder mehr beigesteuert haben, wurden auf der Glocke verewigt: 645 Buchstaben aus Wachs hat Birgit Müller dazu in Handarbeit ausgeschnitten. Auch das Meckenheimer Wappen und das Ortsjubiläum wurden auf der Glocke festgehalten.

Zum Glockenguss ist auch eine Delegation aus Essingen angereist, die sich inspirieren lassen wollte. Bei ihnen in der Wendelinuskapelle hängt eine „Hitler-Glocke“, die vielleicht bald durch eine neue ersetzt wird. Stefan Mendling

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