Im Bann des Schreckens gefangen

Pfalzgalerie zeigt Bilder der Apokalypse – Evangelische Akademie gestaltet Begleitprogramm mit

Visionen des Untergangs: Dürers Bildmotiv der „Apokalyptische Reiter“ wirkt bis heute in der Kunstgeschichte weiter. Foto: Pfalzgalerie

Albrecht Dürer (1471 bis 1528) hat die wohl berühmteste Bilderfolge vom Anbruch des Jüngsten Gerichts geschaffen. Feuer fällt vom Himmel, die Erde bricht auf, und die Hölle öffnet ­ihre Tore. Ein siebenköpfiger Drache speit Feuer, Menschen leiden unter den Plagen Pest, Krieg, Hunger und Tod. Über eine der 15 düsteren Holzschnittszenen aus dem Jahr 1498 galoppieren die „Apokalyptischen Reiter“, von denen der Apostel Johannes in seiner Offenbarung berichtet.

Wie sich Künstler vom frühen Mittelalter bis in die jüngste Gegenwart die letzten Tage der Menschheit vorstellen, zeigt noch bis 15. Februar eine sehenswerte Ausstellung in der Pfalzgalerie des Bezirksverbands Pfalz in Kaiserslautern. „Apocalypse Now! – Visionen von Schrecken und Hoffnung in der Kunst vom Mittelalter bis heute“ heißt die Schau, die einen großen kunst- und kulturhistorischen Bogen spannt und zeigt: Über die Zeiten mögen sich die Vorstellungen von der Endzeit gewandelt haben. Was bleibt, ist die Faszination des Untergangs, die Spannung zwischen dem Grauen und der Hoffnung auf Errettung.

Angst und Schrecken halten auch heute die Menschen im Bann, sie fühlen sich bedroht durch Ereignisse, denen sie sich hilflos ausgeliefert fühlen, sagt Heinz Höfchen, Leiter der grafischen Sammlung der Pfalzgalerie und Kurator der Ausstellung. Die Schau, die in Kooperation mit dem Institut für Kunstwissenschaft und Bildende Kunst der Landauer Universität entwickelt wurde, will auch einen Beitrag zum Themenjahr „Bibel und Bild“ der Reformationsdekade der evangelischen Kirche leisten. Die Evangelische Akademie der Pfalz in Landau beteiligt sich am Begleitprogramm. Am 27. Januar und am 10. Februar gibt es jeweils um 18 Uhr in der Pfalzgalerie Vortrags- und Diskussionsabende, bei denen es um die aktuelle Bedeutung der Apokalypse zur Deutung von Gewaltexzessen und traumatischen Erfahrungen geht.

Verstörende Bilder liefern die Medien über die Terroranschläge von „9/11“ in New York, den tödlichen Tsunami im Indischen Ozean, den Gau im japanischen Atomkraftwerk Fukushima. Als Vorboten für das nahe Weltende und die Gefährdung des globalen Friedens gelten auch vielen tief verunsicherten Menschen der IS-Terror, die Ukraine-Krise und der Klimawandel.

Beim Gang durch die Ausstellung mit ihren 320 Arbeiten von 80 Künstlern und über 40 internationalen Leihgebern wird anschaulich, wie sich im Laufe der Jahrhunderte Bildformeln und -motive der Apokalypse ausgeprägt haben und wie sie bis heute wirken. Eng am biblischen Urtext aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert orientierten sich Darstellungen aus der Spätantike bis zum 19. Jahrhundert, erläutert Kurator Höfchen. Johannes kündigt in seiner „Offenbarung“, dem letzten Buch des Neuen Testaments, den von den Römern unterdrückten Christen in Kleinasien das Nahen des Reichs Gottes an. Kein anderes biblisches Buch hat die Kunst und Kultur so beeinflusst wie das Bilderbuch der Apokalypse (griechisch: Enthüllung).

Die Apokalypse enthüllt den göttlichen Heilsplan und soll Christen im Glauben bestärken und ermutigen, auf die Wiederkunft Christi am Jüngsten Tag zu warten, erläutert der Landauer Kunstwissenschaftler und Gastkurator Christoph Zuschlag. Tod und Verderben würden über Ungläubige und Lasterhafte kommen, bis Jesus Christus als Richter über sie urteilt, heißt es dort in einem erschreckenden Untergangsszenario.

In der frühen Kirche war die Apokalypse des Johannes lange Zeit umstritten – kündigte sie doch das 1000-jährige Reich Christi in naher Zukunft an. Erst spät wurde sie in den Kanon des Neuen Testaments aufgenommen. Nachdem sich im 4. Jahrhundert im Römischen Reich das Christentum als Staatsreligion etablierte, verlor die Apokalypse ihre politische Sprengkraft. In Bildwerken des Mittelalters sind Endzeitmotive nach spätantikem Vorbild erstmals um das Jahr 800 mit dem Zyklus der Trierer Apokalypse nachweisbar, die in Kaiserslautern als Faksimile zu sehen ist.

Erst im frühen 19. Jahrhundert erweitert der spanische Maler und Grafiker Francisco de Goya den Apokalypse-Begriff, sagt Höfchen. In seinem Kriegszyklus „Desastres de la Guerra“ setzt er schonungslos die Gräueltaten der napoleonischen Truppen während des Unabhängigkeitskriegs ins Bild. Extrem kirchenkritisch, so Höfchen, stelle Goya die Theodizeefrage: „Wie kann Gott das zulassen?“

In der Folgezeit lösen sich viele Künstler von den klassischen Bildvorlagen der Johannes-Offenbarung. In der Nachfolge Goyas wird den Expressionisten die Apokalypse zum Synonym für die Schrecken des Kriegs. Otto Dix’ berühmter Zyklus von 1924 zeigt das massenhafte Sterben in den gottverlassenen Grabenlandschaften des Ersten Weltkriegs. Hier rückt die Todeserfahrung in den Vordergrund, der Glaube an das Heil scheint verloren – eine resignative, „absolute Anklage“, wie Höfchen urteilt.

In der zeitgenössischen Kunst sind die vier apokalyptischen Reiter zum Symbol des Kriegs geworden. In dem Filmklassiker „Apocalypse Now“ (1979) von Francis Ford Coppola greifen sie – als Kampfhubschrauber – zu Wagner-Klängen ein vietnamesisches Dorf an. Einen modernen apokalyptischen Reiter zeigt die in Mannheim lebende Künstlerin Margret Eicher auf einem riesigen Wandteppich, auf den Ansichten aus Zeitungsbildern, Computerspielen und Science-Fiction-Filmen gestickt sind: Vor einem Sperrzaun, hinter dem ein himmlisches Jerusalem liegen könnte, reitet ein junger Palästinenser auf einem Pferd. Ein Gewehrlauf richtet sich auf ihn – ein Fingerzeig, dass der Horror die Menschheit sicher noch lange begleiten wird. Alexander Lang

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