Holzköpfe mit sehr viel Herz

Im Museum für Puppentheaterkultur in Bad Kreuznach bleibt es nicht allein beim Zuschauen und Lernen

Puppentheatertraditionen aus aller Welt in Bad Kreuznach: Besucher betrachten das berühmte Salzburger Marionettentheater. Foto: Museum

Lange Inbegriff des klassischen Puppentheaters: Der Hohnsteiner Kasper. Foto: Museum

Groß: Bunraku-Figur. Foto: Riesterer

Beim Wort „Kasperltheater“ schwingen Guckkastenbühnen mit, Jungen und Mädchen, die ekstatisch kreischen, wenn sich das Krokodil an Seppel heranschleicht, um ihn zu verspeisen. Dass diese Form der Kinderunterhaltung kein hinreichendes Abbild der Puppentheaterkultur in Deutschland darstellt, ist nur einer der vielen Aspekte, die das Museum für Puppentheater-Kultur Bad Kreuznach in den Blick nimmt. Seit 2004 bevölkern das Rittergut Bangert nahe des Schlossparks unzählige Hand- und Stockpuppen, Stab- und Schattenfiguren sowie Marionetten. Kern des Ganzen ist die Sammlung Karl-Heinz Rothers im Eigentum des Landes Rheinland-Pfalz. Allein im Depot lagern 1600 Figuren.

Die Ausstellung präsentiert sich als das genaue Gegenteil eines Depots. Die geschnitzten Lindenholzköpfe sind zum Leben erwacht. „Wir verfolgen einen spielerischen Ansatz“, bringt Museumsleiter Markus Dorner aus Neustadt das Alleinstellungsmerkmal auf den Punkt. Die zuletzt 20000 Besucher im Jahr dürfen Marionetten bewegen, Masken aufziehen, Klänge produzieren oder Schattentheater spielen. Entgegen aller Erwartungen sind die meisten Besucher nicht Kinder, sondern Senioren, sagt Dorner. Sogar Demenzführungen gibt es. Nicht ohne Grund – schließlich werden beim Eintauchen in die Geschichte Erinnerungen wach.

Da sind die Koffer der fahrenden Puppenspieler, die sich einst von Ort zu Ort mühten, ganze Bühnen in unförmigen Kisten im Gepäck. Harte körperliche Arbeit, belegen Fotos. Einmal angekommen, blieben die Spieler dann mehrere Wochen vor Ort, mit gutem Zuspruch; „schließlich dauerte es ja, bis wieder Unterhaltung geboten wurde“, sagt Dorner. Ende des 19. Jahrhunderts erwirkte dann der Puppenspieler Josef Leonhard Schmid in München erstmals den Bau eines festen Theaters für Marionettenaufführungen. Heute ist das Puppentheater mehrheitlich in festen Häusern wie dem Kölner „Hänneschen“, Augsburg, Neustadt oder den Stadttheatern Koblenz und Mainz etabliert – auch wenn fahrende Puppenspieler durch ihre Plakatierung und entsprechende Außenwirkung manchmal etwas anderes vermuten ließen, sagt Dorner. In der ehemaligen DDR war Puppentheater neben Schauspiel, Oper und Ballett stets vierte Sparte.

Und dennoch: Puppenspiel in Deutschland, das war anders als in vielen anderen Ländern niemals höfische Hochkultur, sagt Dorner. Deshalb sind auch keine Spielstoffe oder Figuren aus der Frühzeit des Puppentheaters überliefert. Umgekehrt gelang es den Spielern so, zum Volkstheater zu avancieren, mit unterschiedlichen Inhalten und Figuren. Auch das erklärt das Museum. Aus den kirchlichen Mysterienspielen, einer der vielen Wurzeln des Puppenspiels, gelangte der Teufel auf die Bühne, stellvertretend für das Böse, alle Höllenqualen deutlich machend, sollten die Zuschauer vom rechten Weg abkommen. „Himmelreicher“ war vor allem im Süden Deutschlands gar ein üblicher Begriff für Puppenspieler.

Die Figur des Kaspers wurde zum Sprachrohr der Masse, Ventil für manchen Unmut gegen die Obrigkeit, dabei dem Volk aufs Maul schauend; bevor ihn freilich die bürgerliche Reformpädagogik Anfang des 20. Jahrhunderts für sich vereinnahmte, berichtet Dorner. Der Hohnsteiner Kasper des Puppenspielers Max Jacob entwickelte sich – auch optisch – für Generationen zum Inbegriff des intelligenten, aber doch nun eher braven Spaßmachers. Im schlimmsten Falle „pädagogisiert“, wie Dorner sagt. So wurde er quasi unzählige Male als Inbegriff des Guten „missbraucht“ – als Vorbild fürs richtige Zähneputzen oder die Verkehrserziehung. Von den Nationalsozialisten national zweckentfremdet, reiste der Hohnsteiner Kasper im Zweiten Weltkrieg als Teil der Truppenbetreuung an die Front.

Das kritische Puppentheater lebte dort fort, wo gerade staatliche Repression ihm zu Ruhm verhalfen. Den Puppenspieler Frieder Simon ehrte das DDR-Kulturministerium, gleichzeitig umfasste die Stasi-Akte „OPK Puppe“ rund 400 Seiten. Der Tscheche Josef Skupa, der 1930 das erste moderne Puppentheater eröffnete, übte mit seinen Marionetten Kritik an den deutschen Besatzern, bevor ihn die Gestapo 1944 verhaftete.

Und die Entwicklung des Puppentheaters ging weiter. Dass spätestens in den 1960er Jahren die Rolle des Kaspers überhaupt hinterfragt wurde, der Spieler selbst Teil der Inszenierung wurde, sind nur einige Neuerungen. Zum Ruf, den das Puppentheater heute genießt, trugen auch Inszenierungen eigens für das Fernsehen auf. „Bernd das Brot“ ist Kult. Und die Originalrequisite von „Robbi, Tobbi und das Fliewatüt“ ist eines der Lieblingsausstellungsstücke der Besucher, sagt Dorner. Und räumt am Ende noch mit einem weitverbreiteten Irrtum auf, der vielleicht auch im Erfolg der Augsburger Puppenkiste seinen Ursprung hat. So sei nicht die Marionette die heute am weitesten verbreitete Puppentechnik, sondern das sichtbare Führen von Puppen. „Gerne wird die Marionette als Hochform des Puppentheaters überhöht.“

Sorgen, dass die in der digitalen Welt aufwachsende Jugend sich nicht mehr für das Puppentheater interessiert, hat Dorner, selbst Puppenspieler, nicht. „Die meisten Besucher spüren den Unterschied zu Fernsehen oder Internet. Das hier ist live, direkt, eher Dialogpredigt als Monolog – und häufig entgegen aller Erwartung.“ Florian Riesterer

Museum für Puppentheaterkultur Bad Kreuznach, Hüffelsheimer Straße 5, Dienstag, 11 bis 13 Uhr, Mittwoch bis Freitag, 10 bis 16 Uhr, Samstag, Sonntag und Feiertage, 11 bis 17 Uhr.

Puppentheater als Immaterielles Weltkulturerbe

Acht Puppenspieltraditionen hat die Unesco zum Immateriellen Weltkulturerbe erhoben. Ihnen widmet das Museum aktuell eine Sonderausstellung. Eindrucksvoll schwingt ein christlicher Marionettenritter sein Schwert. Mit bis zu 1,40 Meter sind die Marionetten der „Opera dei Pupi“ auf Sizilien wahrlich keine Püppchen. Die Geschichten kreisen überwiegend um den Kampf christlicher Paladine gegen die Sarazenen.

Mit rund 1,50 Meter sind auch die japanischen Bunraku-Figuren recht groß. Jeweils drei Spieler führen eine Figur, was große Koordination erfordert. Im indonesischen Wayang-Figurentheater mischen sich Spielformen des Stabfiguren- und des Schattentheaters. Die Ureinwohner Javas nutzten einst Schatten zur Beschwörung der Geister, um von ihnen Hilfe für ihre Ahnen zu erbitten. Aus Leder gefertigt sind die Figuren des kambodschanischen Schattentheaters, die die Spieler hoch über den Köpfen mit Tanzschritten und Gesten zum Leben erwecken. Ebenfalls vertreten sind das traditionelle tschechische Marionettentheater, das chinesische Schattentheater sowie das Karagöz-Schattentheater in der Türkei und Griechenland. Zu sehen sind außerdem Szenen aus der Zauberflöte und „Mozart in Schönbrunn“, Stücke des berühmten Salzburger Marionettentheaters. flor

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