Große Sorglosigkeit bei Hausbesuchen beobachtet

Corona bringt Pfarrerinnen und Pfarrer in die Zwickmühle – Sprechzimmer mit großem Sitzabstand löst Problem in Apostelkirchengemeinde

Bittet für Gespräche in separaten Raum: Pfarrerin Susanne Wildberger. Foto: view

In der Corona-Pandemie wie empfohlen Kontakte zu meiden, können Pfarrerinnen und Pfarrer mit ihrem Berufsbild schlecht vereinbaren. Für Seelsorge-, Trauer- und Taufgespräche, vor allem zu Geburtstagsbesuchen, suchen sie ältere Gemeindemitglieder auch in dieser Zeit zu Hause auf. Doch einige von ihnen geraten nach eigenen Angaben dabei unversehens in gesundheitliche Gefahr.

Ein Pfarrer aus der Südpfalz, der seinen Namen nicht nennen möchte, berichtet von einer großen Sorglosigkeit älterer Menschen. Wenn er mit der angelegten Nasen-Mund-Maske zu einem Geburtstagsbesuch an der Haustür erscheine, begrüßten ihn manche mit dem Spruch: „Ei Herr Parre, nehmen Sie doch die Maske ab, wir haben schon den Zweiten Weltkrieg überlebt!“ Ins Wohnzimmer eines Jubilars geleitet, erlebte der Endfünfziger neulich die zweite Überraschung in Sachen Fahrlässigkeit. „Dort saßen zehn Gratulanten, ohne die Abstände einzuhalten.“ Als er in mildem Ton auf das Gesundheitsrisiko für Ältere als Risikogruppe aufmerksam machte, wischten die Anwesenden im Chor die Bedenken beiseite mit Hinweisen darauf, dass dem Infektionsgeschehen zu viel Bedeutung beigemessen werde und die Zahlen auf dem Lande ohnehin geringer seien. Ähnliches erlebte ein Pfarrer in der Nordpfalz, der ebenfalls ungenannt bleiben möchte und sich in einer Zwickmühle sieht. „Ich möchte die älteren Menschen nicht bevormunden, und sie sind mir immerhin anvertraut. Andererseits soll ich mich nicht in vermeidbare gesundheitliche Gefahren begeben“, sagt der Theologe.

Die Psychologin und Pfarrerin Sylvia Schönenberg aus Landau plädiert dafür, das sorglose Verhalten einiger Älterer nicht sofort zu bewerten, sondern zunächst den Versuch zu machen, es zu verstehen. Menschen der Generation, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren seien, hätten lange Zeit eigene Bedürfnisse für andere zurückstellen müssen. Auch hätten sie die Wochen des Lockdown als belastend und einschränkend erlebt. „Jetzt haben sie ein Bedürfnis nach Kommunikation mit ihren Kindern, Enkeln, Freunden und Nachbarn. Sie möchten für die letzten Jahre möglichst eigenständig über die Gestaltung ihres Lebens bestimmen. Ihr Autonomiebedarf, ihr Lebenswille und eine subjektive Risikoeinschätzung wirken zusammen und können in solchen Situationen ihre Bereitschaft zu Empathie und Rücksichtnahme überlagern.“ Für Pfarrerinnen und Pfarrer seien Hausbesuche Teil ihres Diensts. Für die Besuchten seien sie Teil ihrer Privatsphäre. Professionell Besuchende sollten daher Lösungen suchen, die sowohl ihrem Sicherheitsbedürfnis wie auch der Lebenssituation der Besuchten gerecht werden.

Eine Gemeindepfarrerin aus der Südpfalz hat jetzt den Konflikt ausgetragen, den sie nicht gesucht hatte. Vor einigen Wochen hatte die Endfünfzigerin telefonisch ein Gespräch mit der Mutter einer Konfirmandin in deren Zuhause vereinbart. Grund war die ausgefallene Konfirmation im Frühjahr und die Auswahl eines Nachholtermins. Auf ihre Frage, ob das Gespräch bei schönem Wetter draußen auf der Terrasse möglich sei, erhielt sie von der Enddreißigerin eine Zusage.

Als sie mit der angelegten Maske an der Haustür erschien, wurde sie ins Wohnzimmer gebeten. Während sie mit der Mutter der Konfirmandin einen Wunschtermin besprach, schloss die mit anwesende Schwester der Mutter das Fenster. Die Pfarrerin bat darum, dass das Fenster offen bleibe. Sie sagte den beiden Frauen, sie habe Risikopatienten in ihrer Umgebung, darunter ihre 84-jährige Mutter, die sie nicht anstecken wolle. Kein Einsehen. Daraufhin stellte die Pfarrerin Forderungen. „Ich sagte, entweder werde sofort das Fenster wieder geöffnet, oder wir gehen auf die Terrasse. Andernfalls breche ich das Gespräch ab und gehe.“ Das half: Die Konfirmandenmutter wies harsch ihre Schwester an, sofort das Fenster weit zu öffnen.

Pfarrerin Susanne Wildberger von der Apostelkirchengemeinde in Kaiserslautern hat eine elegante Lösung gefunden. Für Trau-, Tauf- oder Beerdigungsgespräche bittet sie die Menschen in einen kleinen Gemeinderaum, der mit einem breiten Tisch ausgestattet ist. „Dort ist der Abstand von zwei Metern gewährleistet, und die Besucher dürfen ihre Masken erst am Platz abnehmen. Das klappt sehr gut“, freut sie sich. dob

Meistgelesene Artikel