Glaube über die Mauer hinweg

Schon vor der Deutschen Einheit schließen evangelische Christen Partnerschaften zwischen Ost und West

Machen Ostern 1990 rüber zum Landesjugendkonvent Berlin-Brandenburg: Vertreter des Delegiertentags der Evangelischen Jugend Pfalz stehen bei ihrer Fahrt in die DDR im Stau. An der Autotür lehnen Wolfram Wagner und Andreas Joob (von links). Foto: pv

Seit 1990 feiert Deutschland den „Tag der Deutschen Einheit“. Doch der Zauber des Anfangs ist zu großen Teilen verflogen. Zum Teil, weil das Zusammenleben von West und Ost inzwischen Routine ist, zum Teil, weil die Probleme der Einheit in der öffentlichen Wahrnehmung das Gelungene überlagern. Dabei war die Begeisterung groß, als sich die beiden deutschen Staaten annäherten. Vor allem Mitglieder der evangelischen Kirche in Ost und West engagierten sich stark.

Schon lange vor der Einheit war die Neugierde der Westler auf die Glaubensgeschwister im Osten groß. Bereits 1985 hatte der Frauenkreis Ingenheim den Wunsch nach einer Partnerschaft mit einer DDR-Gemeinde. Da seit 1949 eine Partnerschaft zwischen der pfälzischen Landeskirche und der Evangelischen Landeskirche Anhalts bestand, suchten die Ingenheimer dort nach einem Gegenüber. Das war allerdings schwierig, erinnert sich der damalige Pfarrer Ralf Piepenbrink in einem historischen Rückblick auf der Gemeinde­homepage. Die pfälzische Landeskirche war dreimal so groß wie die in Anhalt. Alle Gemeinden waren schon vergeben. Erst als die Gemeinde Dannenfels bereit war, einen Teil ihrer Partnergemeinde abzutreten, entstand die Verbindung von Ingenheim zu Radegast bei Köthen.

Mit Kind und Kegel machte sich die Pfarrersfamilie auf in den Osten. Ein Abenteuer bei all den Formalitäten und Grenzkontrollen. Doch es hat sich gelohnt. Billigheim-Ingenheim zählt zu den nach landeskirchlichen Angaben etwa zehn pfälzischen Gemeinden, die noch immer regelmäßigen Kontakt zu Partnern im Osten haben. Und das mit beiderseitigem Gewinn, sagt der Ingenheimer Pfarrer Stephan Heinlein. Es sei begeisternd, mit welcher Herzlichkeit die Radegaster ihre Partner empfingen und wie fröhlich sie trotz der Entkirchlichung im Osten ihren Aufgaben nachgingen. Stück für Stück werde die Kirche renoviert, und der Bereich unter der Orgel sei mit Fußbodenheizung und Glaswänden versehen worden. So ist eine bezahlbare Winterkirche entstanden. „Wir staunen jedes Mal, wenn wir uns treffen, was für ein blühendes kirchliches Leben es dort gibt.“

Eine treibende Kraft der voreinheitlichen Beziehungen war vor allem die junge Generation. Enge Verbindungen zwischen den Jugendverbänden der Evangelischen Jugend der Pfalz und der Evangelischen Jugend Berlin-Brandenburg habe es während DDR-Zeiten gegeben, erinnert sich Landesjugendpfarrer Florian Geith. Lothar Hoffmann und Thomas Böduel, Referenten der Landesjugendpfarrämter Kaiserslautern und Potsdam, hätten sie hergestellt. 1988 fuhren mit Geith und Andreas Lang-Wagner, heute Presbyter in Bexbach, zum ersten Mal zwei Jugendvertreter aus dem Delegiertentag der Evangelischen Jugend der Pfalz zum Landesjugendkonvent Berlin-Brandenburg.

„Wir haben danach im Delegiertentag berichtet und konnten gut die Situation für Ehrenamtliche in der Jungen Gemeinde und in den Jugendgremien unter DDR-Bedingungen darlegen“, sagt Geith. Damit habe man Interesse an einem Austausch geweckt. Zum Konvent 1989 seien bereits fünf Vertreter hingefahren, persönliche Verbindungen seien entstanden. Er habe die Kontakte genutzt, um im September 1989 als Theologiestudent sein Gemeindepraktikum in einer Kirchengemeinde in der DDR zu machen, sagt Geith.

Der Kontakt der Jugendverbände habe bis 1992 gehalten, sich dann aber aufgelöst, vor allem aus persönlichen Gründen. „Von unserer Seite war der Reiz, mit einem Jugendverband in der ehemaligen DDR zu kooperieren nicht mehr gegeben“, sagt Geith. Auf der Seite der Berlin-Brandenburger habe es wiederum starke Auflösungserscheinungen gegeben. Viele, die sich in der Jungen Gemeinde der DDR engagiert hatten, hätten nach der Maueröffnung ihre Chancen ergriffen, in die Welt hinauszugehen, sagt der Landesjugendpfarrer. „Andere wollten die Gunst der Stunde nutzen, Gesellschaft zu gestalten und gingen in die Politik.“

Erst als er 2012 Landesjugendpfarrer geworden sei, habe ihn sein Kollege von der Partnerkirche Anhalt auf stärkere Zusammenarbeit angesprochen. Ein Ergebnis sei die Klausur des Landesjugendpfarramts Dessau im Martin-Butzer-Haus 2015 gewesen. „Von unserer Seite war unser Grundsatzreferent 2017 als Referent bei einer Tagung des Landesjugendpfarramtes in Dessau.“

Alte Kontakte wieder auffrischen kann bald auch der Kaiserslauterer Pfarrer Karl Graupeter. Er war bereits als Schüler 1978 in der DDR. Anfang der 1980er Jahre sind dann kleine Gruppen junger evangelischer Christen nach Ostberlin gefahren, um sich mit Glaubensgeschwistern zu treffen. Über einige Jahre sei es zu regelmäßigem Kontakt mit jungen Christen aus Frankfurt an der Oder gekommen, der allerdings Mitte der 1980er Jahre, nach einer gemeinsamen Fahrt an den Plattensee in Ungarn, abgerissen sei. Doch nun, über 30 Jahre später, habe der Gemeindediakon aus Frankfurt an der Oder sich gemeldet. Er war bei den früheren Treffen dabei und wollte die Westler 2018 zu seiner Verabschiedung einladen. Das sei etwas kurzfristig gewesen, sagt Graupeter. Aber für den „Tag der Deutschen Einheit“ im kommenden Jahr sei ein Treffen geplant.

Durch seine Besuche im Osten ist Graupeter auch mit der großen Politik in Berührung gekommen. Zum einen habe es immer anonyme Unterstützer aus der Wirtschaft gegeben, die die Kontakte in den Osten mitfinanziert haben. Zum anderen hat er auf Anregung seiner Schwiegermutter bei der Behörde für die Stasi-Unterlagen nachgefragt, ob es Akten über ihn gebe. Die schriftliche Antwort war verblüffend: Ja, es gebe Unterlagen, allerdings habe die CIA diese mit in die USA genommen. Da habe er schon ein mulmiges Gefühl gehabt, als er vor einigen Jahren seine Schwester in den Staaten besucht habe, sagt Graupeter.

Nie abgerissen sind seit 1949 die Kontakte zwischen den Kirchenleitungen in der Pfalz und in Anhalt. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe das Hilfswerk der pfälzischen Landeskirche eine Patenschaft für die in schweren sozialen und strukturellen Problemen steckende anhaltische Landeskirche übernommen, sagt Wolfgang Schumacher, Pressesprecher der Landeskirche. Vor allem finanziell und personell sei den anhaltischen Protestanten geholfen worden.

Über die Gemeindepartnerschaften sind nach Schumachers Worten enge persönliche Verbindungen entstanden. „Diese Kontakte waren für viele Christen bei uns in der Zeit der friedlichen Revolution die beste Möglichkeit direkter und authentischer Information über die Ereignisse in der DDR.“ Heute könne die pfälzische Landeskirche von den Schwestern und Brüdern in Anhalt lernen, wie man in der säkularen Welt auf den Traditionsabbruch reagiere, sagt Schumacher. Zudem basiere das pfälzische Konzept der Regionalisierung in der Zusammenarbeit von Kirchengemeinden auf Erfahrungen in Anhalt.

Als auf Betreiben des Auswärtigen Amts Ende der 1980er Jahre Partnerschaften zwischen Ost- und West-Kommunen entstanden, waren auch da Kirchenmitglieder aktiv. Schließlich hatten viele von ihnen schon länger Ostkontakte. Eine dieser Partnerschaften entstand zwischen der Stadt Brandenburg und Kaiserslautern. Diese Verbindung sorgte dafür, dass es der Kaiserslauterer Gemeindediakon Klaus Orschiedt sogar auf die Titelseite der Kaiserslauterer „Rheinpfalz“ brachte. Er schloss die erste pfälzisch-brandenburgische Ehe. Seine beiden Kinder, sagt er, seien also echte Ergebnisse der Deutschen Einheit. Klaus Koch und Florian Riesterer

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