Gesanglich den Horizont erweitert

Das Vokalensemble Kaiserslautern gedenkt bei der 50-Jahr-Feier seiner Aufbaujahre in der Südpfalz

Stammen anders als bei der Gründung als Dekanatsjugendchor alle aus der Westpfalz: Das Vokalensemble Kaiserslautern. Foto: view

Der Startschuss fiel im wilden Herbst 1968 anlässlich eines Dekanatsjugendtreffens in Bad Bergzabern unter dem geradezu prophetischen Thema „Jugend – Recht auf Unruhe?“. Aber jenseits heißer Diskussionsschlachten warb einer der Arbeitskreise ganz schlicht mit „Singen“. Und die sich da zusammenfanden, gestalteten nach kurzer Probenphase gleich den Gottesdienst am 13. Oktober – unter allgemeinem Beifall.

Ein Dekanatsjugendchor war geboren. Denn irgendwie hatten die Mitwirkenden Blut geleckt, hatte der junge Kirchenmusiker Siegward Pfalzgraf die spontan formierte Gruppe begeistert. Rasch firmierte die kleine Chorgemeinschaft selbstbewusst als Südpfälzischer Vokalkreis, spannte ihre musikalischen Flügel weit aus, auch jenseits der Region; und landete so 1978, mit dem berufsbedingten Umzug ihres Ensembleleiters etwas weiter westlich, in Kaiserslautern. Von dort aus nun blicken die Akteure – mittlerweile als Vokalensemble Kaiserslautern – auf 50 Jahre und Hunderte von Auftritten, Konzerten und Rundfunkaufnahmen zurück: nach wie vor unter der Stabführung ihres Gründers Siegward Pfalzgraf.

Pfalzgraf, 1941 in Bornheim bei Landau als Sohn eines Unternehmers geboren, hatte lange überlegt, ob er nicht Kirchenmusik studieren sollte. Früh über die evangelische Jugendkantorei und ihren Leiter Adolf Graf im kirchenmusikalischen Milieu sozialisiert, als Absolvent des kirchenmusikalischen Seminars entsprechend befähigt, hatte dann die Leidenschaft für Mathematik und Physik obsiegt. Dennoch blieb die Musik stets Lebensmotor, Quelle der Inspiration neben dem Alltag als Pädagoge, Studienrat, bis heute, weit über den Ruhestand hinaus, am Hohenstaufen-Gymnasium in Kaiserslautern.

Fast auf den Tag genau ein Jahr später debütierte der Südpfälzische Vokalkreis mit einem Konzert im Kurhotel Petronella, der guten Stube von Bad Bergzabern, mit einem Madrigal-Programm, erhielt eine Einladung ins Gymnasium Dahn und gestaltete gleich noch ein Weihnachtskonzert in Landau. Ein weiteres Jahr später konzertierte man in der Paulskirche Kirchheimbolanden. Höhepunkt des Jahres 1970 war das Weihnachtsoratorium von Bach in der Marktkirche Bad Bergzabern: eine legendäre Aufführung in Zeiten, als sich allenfalls Profichöre an die Bach-Oratorien wagten, zumal mit der Kammerchorbesetzung von rund 30 Singenden.

Zudem finden sich im Programmheft klangvolle Namen wie der des späteren Bayreuth-Barden Sigmund Nimsgern oder Adolf Scherbaum, damals der Startrompeter schlechthin. Pfalzgraf wusste sie – jenseits von Gagenforderungen – für seine von großem Enthusiasmus getragenen Projekte zu begeistern. Auch die Sopranistin Barbara Schlick, der Tenor Bernd Brühl oder die Altistin Marie-Paul Hallard zählten zu dieser Starrevue der damaligen Oratorienszene. Sie stiegen ebenso wie die Musiker des SWR-Orchesters Kaiserlautern mit ein in die Programme zwischen Schütz, Bach, Brahms und der Moderne. Unvergessen ist die Aufführung des Totentanzes von Distler mit Klaus Rothenbücher in der Rolle des Sprechers.

Probenphasen absolvierte der Südpfälzische Vokalkreis regelmäßig im damals spartanischen Jugendheim Lindelbrunn mit der idyllischen Burganlage, immer häufiger aber im Aufbau-Gymnasium Kaiserlautern (heute Heinrich-Heine-Gymnasium). 1978 schließlich kehrte Siegward Pfalzgraf, der bis dato auch den Kirchenchor Ingenheim nebst Orgeldiensten betreut hatte, der Südpfalz den Rücken. Die Südpfälzer Sänger zogen teilweise mit, neue stellten sich ein beim jetzt als Vokalensemble Kaiserslautern auftretenden Kammerchor. Mittlerweile stammen die rund 20 Vokalisten alle aus der Westpfalz.

Was sich in all den Jahren nicht geändert hat, ist Pfalzgrafs Lust, unbekanntes Terrain zu erkunden, Nischen-Literatur, gleich welcher Epoche oder Herkunft, zu entdecken. Inspirationsquelle waren meist die Europa-Cantat-Festivals, beispielsweise in Barcelona und Utrecht, deren musikalische Schätze er in die Chorarbeit implementiert hat. So entstanden ganz außergewöhnliche Programme am Rande des Gängigen, etwa mit skandinavischer Chormusik.

Natürlich bleibt die kirchenmusikalische Arbeit das Kerngeschäft, breit aufgestellt in bestem ökumenischen Verständnis: Gottesdienste, Konzerte, besondere Anlässe wie die zentrale Feier zum Reformationsjubiläum 2017 in Otterberg. Und so soll auch das eigene Jubiläum begangen werden – mit Klangkunst, die weit über den Horizont hinausreicht. Gertie Pohlit

Völkerverbindendes Chorprojekt

In den frühen 1960er Jahren verbreitete sich der völkerverbindende europäische Gedanke sozusagen auf Flügeln des Gesangs und manifestierte sich in der musikalischen Bewegung „Europa Cantat“ – Europa singt! Die „European Choral Association – Europa Cantat“, wie das Gebilde heute heißt, vereint Sänger, Chorleiter, Komponisten und dem Metier verpflichtete Funktionsträger aus mehr als 40 europäischen Ländern unter ihrem Dach. Es geht um kulturellen Austausch und die Förderung zeitgenössischer Vokalmusik. Vor allem aber werden in der Begegnung von Menschen bei einer gemeinsamen kreativen Aufgabe, im Gestalten von Konzerten oder bei Dirigier- oder Interpretationskursen Ressentiments beseitigt und Horizonte erweitert. Die im Zwei-Jahres-Rhythmus veranstalteten Europa-Cantat-Festivals an wechselnden Orten mit jeweils bis zu 3000 Teilnehmern beflügeln diesen Austausch. In diesem Jahr war das estnische Tallinn vom 27. Juli bis 5. August Gastgeber. gpo

Festkonzert in der Pauluskirche

Zum Konzert aus Anlass des 50-jährigen Bestehens lädt das Ensemble für Sonntag, 27. Oktober, 19 Uhr, in die Pauluskirche Kaiserslautern ein. Eingerahmt von zwei Sätzen aus der Ratswahlkantate „Wir danken dir, Gott“ von Johann Sebastian Bach und dem John-Rutter-Satz „Nun danket alle Gott“ werden Motetten von Heinrich Schütz, Gottfried Homilius, Hugo Distler, Johannes Michel und Gottfried Heinrich Stölzel erklingen.

Nach einem orchestralen Intermezzo, der Sinfonia aus „Salomon“ von Händel, wird es heiter profan mit Mad­rigalen und Liedsätzen von Adriano Banchieri, Pierre Passereau, Wilhelm Stenhammar, Peter Cutts und Johannes Brahms. Ausführende sind neben dem Vokalensemble Kaiserlautern zusammen mit ehemaligen Ensemblemitgliedern die Nordwestpfälzische Kantorei, Bezirkskantor Markus Henz an der Orgel sowie Klaus Demuth am Klavier. Außerdem spielen Musiker des Pfalztheaters Kaiserlautern und der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken-Kaiserslautern. gpo

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