Gemeindebriefe: So wertvoll wie noch nie

von Hartmut Metzger

Hartmut Metzger

„Nie war er so wertvoll wie heute. Auch bei Erkältung und Grippegefahr.“ Dieser altbekannte Werbespruch des Naturheilmittels „Klosterfrau Melissengeist“ ist für den Gemeindebrief heutzutage so zutreffend wie noch nie. Der Gemeindebrief kommt zu den Menschen, in der Regel viermal im Jahr. Er ist für die Kirchengemeinde bezahlbar und kann Gemeindemitglieder für die Redaktion aktivieren und Austräger für seine Verbreitung gewinnen. Er muss nicht gesucht oder gegoogelt werden. Er versteckt sich nicht im Internet. Er ist einfach da, kommt ins Haus und erinnert auch die Menschen am Rande der Kirche, dass sie dazugehören. Er schafft Nähe durch Nachrichten und Namen aus dem eigenen Lebensumfeld. Er wirkt – auch gegen Entfremdung und Austrittsgefahr.

Früher war das anders. Seine publizistischen Vorläufer waren ein Mittel der Mission: Flugschriften und Flugblätter machten im 16. Jahrhundert Martin Luthers reformatorische Theologie bekannt. Auch sie mussten nicht gesucht werden. Sie waren auf den Marktplätzen präsent, wurden dort angeboten und beworben. Nicht die dicken Erklärbücher der neuen Theologie gewannen die Menschen. Es waren die kleinen Schriften mit den leicht verständlichen Inhalten – meist vor Ort gedruckt und regional verbreitet –, mit denen die Reformation in Stadt und Land die Köpfe gewann.

Die Frauen und Männer, die heutzutage ihren Gemeindebrief schreiben, redigieren, gestalten und verbreiten, stehen in dieser Tradition. Die regionale Ausgestaltung reformatorischer Theologie und die lokale Verbreitung ihrer Schriften sind ein Grundzug des Protestantismus von Anfang an – bis heute. Wenn Menschen in einer Kirchengemeinde durch einen Gemeindebrief direkt angesprochen werden, wiederholt sich das, was vor 500 Jahren bereits geschah – im Prinzip.

Damals wurden Menschen für den neuen Glauben gewonnen: Das Priestertum aller Gläubigen löste die Heilsvermittlung der römisch-katholischen Kirche durch ihre Priester ab. Die Theologie des „sola scriptura“ (allein durch die Schrift) verschaffte dem geschriebenen Wort eine völlig neue Bedeutung, die durch eine Vielzahl von Schriften die Entwicklung des Druckereiwesens auch in wirtschaftlicher Hinsicht wirkungsvoll unterstützte. Heute ist das anders: in den Zeiten sinkender Druckauflagen – jedenfalls jener, die sich verkaufen müssen. Heute denkt die etablierte Kirche ohne neue Botschaft über einen engagierten Einsatz in den neuen Medien nach.

Das Problem ist nur, dass sie diesen neuen und meist recht unsozialen Medien nichts zu bieten hat. Anders als vor 500 Jahren ist sie in dieser digitalen Welt nicht gefragt, weil dort skandalisierende Meinung und nicht seriöse Nachricht den Ton angibt und damit die Verbreitung und Reichweite bestimmt. Mit was sollte sich Kirche heute in dieser Welt profilieren? Dort gibt es nur richtig viele Klicks, wenn eine bekannte Bischöfin mit ordentlich Promille über die rote Ampel fährt! Klar – Kirche sollte auch dort präsent sein. Aber allzu viel erwarten sollte sie dabei nicht.

Diese mediale Entwicklung macht den Gemeindebrief umso wichtiger. Diese Arbeit ist weder an Verkaufszahlen gebunden noch auf boulevardeske Sensationen angewiesen. Und sie könnte auch – wie vor 500 Jahren – wieder missionarisch wirken: Wenn der Gemeindebrief nicht nur an die Haushalte der Gemeindemitglieder, sondern auch an ihre Nachbarn geht. Gerade diese lokale und regionale Ansprache entspräche dem publizistischen Grundzug des Protestantismus von Anfang an. Die Flugschrift der Kirchengemeinde kommt, während der fremdelnde Beitrag in den digitalen Medien unbeachtet im Nirwana steht. Dafür brauchen die Gemeinden zusätzliche Mittel. Warum wird hier nicht investiert? Die jetzt schon vielen Gemeindebriefarbeiter und auch die Zukunft der Kirche hätten es verdient.

Der KIRCHENBOTE hat 1999 den Hermann-Lübbe-Preis für Gemeindepublizistik aus der Taufe gehoben und im Jahr 2000 erstmals verliehen. Der Preis ist mit dem Namen seines ehemaligen Chefredakteurs (1969 bis 1986) verbunden, der über lange Jahre hinweg auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Landeskirche und für die Gemeindebriefe zuständig war. Inzwischen haben 36 Gemeindebriefredaktionen aus allen Teilen der Pfalz diesen Hermann-Lübbe-Preis erhalten.

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