Elixier für die Seele der Singenden

Das neue Format „Sing along“ hat zum Auftakt des Landeskirchenmusiktags seine Attraktivität bestätigt

In der Kuseler Stadtkirche zum Landeskirchenmusiktag vereint: Sänger aus der ganzen Pfalz und Orchestermusiker. Foto: M. Hoffmann

Immer wieder einmal in seiner langen Geschichte hat der Landeskirchenmusiktag ein Facelifting erhalten, am gründlichsten in den letzten zehn Jahren, der Dekade mit Jochen Steuerwald an der Spitze des Amts für Kirchenmusik. Davor hatten bereits Landeskirchenmusikdirektoren den eigentlichen Jubeltag mit Rahmenprogrammen ausgepolstert. Heinz Markus Göttsche beispielsweise hatte 1972 die „Heinrich-Schütz-Tage“ drumherumdrapiert. Der 22. Landeskirchenmusiktag wiederum punktete im Vorfeld mit einer Uraufführung: dem Oratorium „Dein Reich komme“ von Johannes Driessler.

2006 firmierte das Großereignis plötzlich unter „Landeskirchenmusiktage“, was allerdings nach Intervention des neuen Amtsinhabers Steuerwald als Eintagsfliege starb. „Der Landeskirchenmusiktag ist ein Markenzeichen, ein fester Begriff – der bleibt, egal wie weit das Veranstaltungsprogramm expandiert“, so sein damaliges Statement. Und in der Tat – der „Tag“ hat sich mittlerweile zum Festival gemausert, das pfalz- und saarpfalzweit mit unterschiedlichsten Konzertangeboten präsent ist, zwischen klassischem Konzertangebot, Popularevent, Kinderchorangebot mit breitem Spektrum auf das abschließende Großtreffen in Speyer hinmusiziert.

Und immer wieder wird etwas Neues ausprobiert. Wie die Auftaktveranstaltung am 1. Mai, dem „Tag der Arbeit“. Da wurde zum „Sing along“ in die evangelische Stadtkirche nach Kusel geladen. „Sing along“, auch „Sing-along“ oder „Singalong“ geschrieben, auf Deutsch „Mitsingen“, unterscheidet sich vom länger etablierten Offenen Singen oder Mitsingkonzert schlicht durch die Literatur. Laden dort Volkslieder oder auch Pop- oder Rocksongs zum Einstimmen ein, so bietet „Sing along“ Gelegenheit, Großwerke der Oratorienliteratur ohne aufwendige Probephasen mitzusingen, aber begleitet durch ein Profiorchester und geführt durch einen Chor, der das Werk beherrscht und absichert; alle Chorsätze, zuweilen sogar Arien mal eben aus der Kirchenbank heraus „mitnudelt“: Publikum im Aktionsmodus.

In Kusel lag mit Georg Friedrich Händels „Messias“ ein Opus Ultimo der Barockliteratur auf dem Pult, und vor allem eins, das sehr beliebt ist – quer durch Kantoreien und Kirchenchöre. Mit singfähigem Publikum durfte also gerechnet werden. Denn eines ist natürlich Voraussetzung: Wer zu dieser Art „Karaoke“ antritt, sollte den Notentext schon mal gesehen haben, denn Töne proben passt nicht ins Konzept. Die kurze Durchlaufprobe zwei Stunden vor der Aufführung reicht gerade mal, um sich alle Sätze wieder ins stimmliche Gedächtnis zu rufen. Und sich die Versinger zu gestatten, die dann, wenn es gilt, schon mal erledigt sind.

So hat sich also auch die Chronistin wacker ihren uralten Peters-Klavierauszug unter den Arm geklemmt und auf einem Stuhl mit der Kennzeichnung „Alt“ – gemeint ist natürlich die Stimmlage – erwartungsvoll Platz bezogen. Auf den Podesten im Chorraum tummeln sich vier solide vorbereitete Kantoreien. Die Kammerphilharmonie hat die Orchesterplätze eingenommen, das professionelle Solistenquartett ist, bereits in Gala gekleidet, positioniert.

Jochen Steuerwald breitet die Arme, hebt den Stab – los geht’s. Welch Traum von einer Probe! Kaum Unterbrechung, einfach nur nach Herzenslust lossingen. Auweia, kurz nicht aufgepasst, schon aus der Koloratur geflogen, aber macht nix: Die Kolleginnen von der Profifront auf dem Podest machen den Einstieg wieder leicht. Zwischendurch kurzer Austausch mit den Nachbarinnen: Ruth Marquardt-Koppenhöfer singt seit 45 Jahren in der Kuseler Kantorei und hat den „Messias“ natürlich „drauf“. Das heute wollte sie sich nicht entgehen lassen. Gudrun Currle indes ist mit ihrem Mann, ebenfalls Sänger, extra aus Münchweiler angereist und findet es wunderbar.

Jetzt ist die Probe zu Ende, im Hintergrund treffen die ersten Besucher ein, am Ende wird die Kirche voll sein. Kurze Pause noch für die Aktiven, die im Gemeindehaus Gelegenheit haben, sich am Stehtisch im Foyer, im Saal oder in der Kloschlange auszutauschen. Man begrüßt alte und neue Bekannte, die kirchenmusikalische Singgemeinde ist generationenüberspannend und pfalz­weit vernetzt. Und so ein „Sing along“ ist wie ein Landeskirchenmusiktag „en miniature“. Man trifft sich.

Dann ist es 17 Uhr, jetzt wird’s ernst. Im Gegensatz zu den Zugpferden auf dem Podest dürfen die Profansänger im Auditorium sich während der Arien setzen. Welch Luxus. Bei jedem Chorsatz aber erhebt sich die Schar akkurat wie auf Kommando, stimmt ebenso verantwortungs- wie lustvoll, sicht- und hörbar begeistert ein ins große Spektrum der Stimmen. Das klappt alles erstaunlich reibungslos und ist jenseits von Anspruch an Perfektion einfach Elixier für die Sängerseele. Gertie Pohlit

 

Wie der Landeskirchenmusiktag einst begann

Wer vom Landeskirchenmusiktag 2018, dem 39. seiner Art, zurückblickt auf den ersten – 1939 war das – und von dort die knapp 80 Dekaden dazwischen anhand von Programmheften, Zeitungsartikeln und eigenen Erinnerungsbildern durchwandert, bewegt sich auf einer spannenden Spur durch Zeit-, Kirchen- und Musikgeschichte der pfälzischen Landeskirche.

Als der Schullehrer Adolf Graf, damals noch landeskirchlicher Musikbeauftragter, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs die Kirchenchöre des Landes zum ersten Mal zum gemeinsamen Gottesdienstmusizieren in die Speyerer Gedächtniskirche rief, haftete dem offenbar ein ungemein bekenntnishaftes Moment der Verbundenheit in bedrohlicher Zeit an. Geduldet, weil missverstanden durch die Nationalsozialisten, die große Menschenaufgebote bekanntlich liebten.

Eine einzige Neuauflage des kirchenmusikalischen „Reichsparteitags“, wie Spötterzungen Nachgeborener das Ereignis viel später apostrophierten, gab es noch zu Kriegszeiten. Zum dritten Landeskirchenmusiktag wurde erst im Sommer 1947 geladen. Von da an ging es, mit Ausnahme von 1949 und 1950, im Zweijahresturnus weiter.

Die Programmhefte der ersten Nachkriegsveranstaltungen künden auf berührende Weise von der Befindlichkeit der eben dem Kriegsgrauen Entronnenen. Mit flammenden Aufrufen, das „Rettende in den Liedern“ beschwörend, wendet sich Kirchenpräsident Hans Stempel in den Vorworten der Programmhefte an die Aufführenden. Zu diesen Zeiten und bis lange in die 1970er Jahre hätte beim Landeskirchenmusiktag keine Maus mehr in die Gedächtniskirche gepasst. Er stellte das zentrale Ereignis im Leben einer jeden Kirchenchorsängerin, eines jeden Kirchenchorsängers dar. gpo

 

 

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