Eine Dorfglocke als Mahnmal und Skandal

von Klaus Koch

Klaus Koch

Der Gemeinderat von Herxheim am Berg hat souverän entschieden: Die mit einer anstößigen Inschrift aus der Zeit des Nationalsozialismus befleckte Glocke im evangelischen Kirchturm bleibt hängen. Die zwölf Ratsherren und die eine Ratsdame haben damit gegen die Forderungen so respektabler Institutionen und Personen wie dem Zentralrat der Juden, der pfälzischen Landeskirche und der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin gehandelt. Das verdient Respekt.

Ortsbürgermeister Georg Welker hat recht, wenn er sagt, das Gremium habe in einem Dilemma gesteckt. Es hatte die Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten, die beide auch negative Auswirkungen haben. Denn es gibt gute Gründe, die Glocke hängen zu lassen, aber auch einige Argumente fürs Abhängen sind ehrenwert. Es ist schwer zu ertragen, wenn eine Glocke täglich schlägt, die an die unvergleichlichen Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert. Und es ist nicht auszuschließen, dass Neonazis mit klammheimlicher Freude dem Geläut lauschen.

Und doch sind die klaren Worte der Glockensachverständigen richtig. Museumsdepots sind die falschen Orte für eine angemessene und aufgeklärte Erinnerungskultur. Das Entsorgen der Glocke im Museumskeller wäre eine Flucht und ein weiterer Schritt hin zum kollektiven Verdrängen. Der Herxheimer Gemeinderat hat sich gegen museales Erinnern entschieden. Er will mit einer Gedenktafel und jährlichen Veranstaltungen dafür sorgen, dass die Glocke eine Mahnung wird, sich angesichts der Lehren aus der Vergangenheit für Frieden und Menschlichkeit einzusetzen.

Jetzt kommt es in Herxheim darauf an, dass die Entscheidung des Rats Rückhalt bei den Bürgern findet und Ruhe im Ort einkehrt. Viele Einwohner waren verstört oder verärgert über die Art, wie ihr Ort ins Gerede gekommen ist. Vom „Nazi-Dorf“ war zu lesen, bei Straßenumfragen und Interviews schienen Journalisten geradezu danach zu trachten, Menschen bei unüberlegten Aussagen zu ertappen. Dabei war die sogenannte Hitler-Glocke im Dorf kein Geheimnis. Der heutige Bürgermeister Welker war selbst von 1978 bis 1998 Pfarrer in Herxheim. Regelmäßig ging er mit seinen Konfirmanden zur Glocke und sprach über die Verstrickungen des Orts und der Kirche in den Nationalsozialismus. Vor einigen Jahren erschien schon einmal ein Artikel über die Glocke. Ohne größere Resonanz.

Der vermeintliche Skandal um die Glocke ist daher auch ein Beispiel veränderter Kommunikationskultur. Immer öfter setzen Medien auf Effekte und Skandalisierung statt auf Information und Einordnung. Doch Journalisten, die vor allem mit vermeintlichen Enthüllungen und schrillen Tönen auf sich aufmerksam machen wollen, schaden der gesamten Branche. Der oft beklagten Glaubwürdigkeitskrise des seriösen Journalismus ist so jedenfalls nicht beizukommen.

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