Dolmetscher dringend gesucht

Betreuung von Flüchtlingskindern ist für Kindertagesstätten eine Herausforderung – Zu wenig Fachkräfte

Integration fördern: Theaterpädagoge Rajko Schäfer ist seit einem Jahr als interkulturelle Fachkraft in der Kindertagesstätte Betzenberg in Kaiserslautern angestellt. Sein Einsatz soll allen Kindern zugutekommen. Foto: view

Wenn Gabriele Kühnle, stellvertretende Leiterin des protestantischen Louise-Scheppler-Kindergartens in Ludwigshafen-Edigheim, mit Eltern von Kindern spricht, greift sie mitunter zu Bildtafeln oder redet mit Händen und Füßen. Sieben Flüchtlingskinder besuchen die Einrichtung, wegen den sprachlichen Hürden nicht nur hier eine Herausforderung für viele Einrichtungen, schildert Frank Wolf vom Trägerverbund protestantischer Kindertagesstätten in Ludwigshafen.

Die Zahl evangelischer Kindertagesstätten, die von Flüchtlingskindern besucht werden, hat sich in den vergangenen Jahren mehr als verdreifacht. Im Februar 2015 hatten knapp 20 Prozent der 244 Kindertagesstätten der Evangelischen Kirche der Pfalz Flüchtlingskinder aufgenommen. Nach der jüngsten Erhebung im September 2016 waren es rund 63,4 Prozent.

„Wir können oft nichts über die Biografie eines Kindes erfahren, wissen nicht, ob sich an der Weigerung eines Kindes, in einen Bus zu steigen, beispielsweise ein Trauma verbirgt“, sagt Kühnle. Wenngleich das nicht heiße, dass es auch bei Kindern ohne sprachliche Hürden mitunter dauere, bis man an sie herankomme. Aber obwohl sich die Eltern von Flüchtlingskindern sehr um das Wohl ihrer Kinder bemühten, so Kühnle, seien Entwicklungsgespräche wegen des Sprachproblems so gut wie unmöglich. Schwierig sei auch die Kommunikation über Abholzeiten, notwendige Impfungen oder meldepflichtige Krankheiten. Das deutsche Kindergartensystem sei für die meisten etwas völlig Neues. Dazu kommt, dass zu Hause teilweise gar kein Telefon vorhanden sei. „Wir haben deshalb mit Eltern auch schon vereinbart, dass wir die Kinder im Zweifelsfall einfach nach Hause schicken“, sagt Kühnle.

Immerhin kennt die Einrichtung ein Elternpaar, das schon länger hier lebt und hin und wieder in der Sprache Dari, das viele Afghanen sprechen, übersetzen kann. Ansonsten versuchen ältere Geschwister der Kindergartenkinder zu dolmetschen. Bei der Betreuung wiederum muss das Team darauf achten, den Flüchtlingskindern die Eingewöhnung zu erleichtern und gleichzeitig die intensive Betreuung auffälliger Kinder ohne Sprachdefizit zu gewährleisten, sagt Kühnle. „Die brauchen zum Teil auch Eins-zu-eins-Betreuung.“

Döndü Simsek, länger schon Erzieherin in der Kindertagesstätte, hat sich 2010 zur Interkulturellen Fachkraft qualifizieren lassen. Seit 2006 können sich Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz über die Jugendämter um bezuschusste Fachkräfte für interkulturelle Arbeit bemühen, wenn der Anteil an Migrantenkindern in der Einrichtung besonders hoch ist. Simsek versucht, Vertrauen zu den Kindern aufzubauen, kann selbst ein paar Wörter Arabisch. Sie holt die Kinder für Kreis- und Fingerspiele aus den Gruppen, versucht sie zu fördern. „Es gibt Kinder, die nach sechs Monaten die Sprache schon perfekt beherrschen.“

Diplom-Pädagogin Annette Wehning vom Diakonischen Werk Pfalz in Speyer schult solche Fachkräfte. Die Nachfrage nach Kursen ist groß, mit 22 Teilnehmern ist die aktuelle Qualifizierungsmaßnahme ausgebucht. Für den Kurs, der im Frühjahr 2019 beginnen soll, liegen erste Voranmeldungen vor. Das Problem seien allerdings weniger ausgebuchte Kurse, als dass es Kindertagesstätten oft schwerfalle, genügend Personal für die Stellen zu finden, sagt Wehning. Viele Einrichtungen hätten gerne jemand, fänden aber niemanden – oder aber das Landesjugendamt, das 60 Prozent der Personalkosten trägt, erkennt die Qualifizierung nicht an, weil es sich beim Bewerber nicht um einen Erzieher handelt. „Bei vielen Kindertagesstätten herrscht Hoffnungslosigkeit“, sagt Anke König, Leiterin des Protestantischen Verwaltungsamts Donnersberg.

„Wir haben Stellen, für die wir seit Monaten niemanden finden“, sagt Michael Sattel vom Protestantischen Verwaltungsamt Kaiserslautern. In den 18 Kindertagesstätten der Protestantischen Gesamtkirchengemeinde Kaiserslautern sind von acht Fachkraftstellen zwei vakant, eine neu bewilligte Stelle für die Kindertagesstätte Morlautern wird demnächst ausgeschrieben. In Zweibrücken warten drei städtische, eine katholische und vier evangelische Einrichtungen seit Oktober 2016 auf die Besetzung von insgesamt fünfeinhalb Stellen von interkulturellen Fachkräften, berichtet Karl-Heinz Wolk vom Protestantischen Verwaltungsamt Zweibrücken. „Wobei aktuell der Bedarf noch einmal festgestellt werden müsste.“

Umso glücklicher kann sich die Kindertagesstätte am Betzenberg in Kaiserslautern schätzen. Dort hat im Juni 2017 Rajko Schäfer als Fachkraft für religiöse und kulturelle Vielfalt angefangen. Als Theaterpädagoge will er über den theatralen Ausdruck Sprachbarrieren abbauen. Dafür soll das Rollenspielzimmer als Erlebnisraum neu gestaltet werden. Seine Arbeit soll allen Kindern zugutekommen. So wird es um verschiedene Kulturen, Hautfarben oder religiöse Feste genauso gehen wie um soziale Unterschiede. Eine andere Idee sind Elterntreffs, wie sie auch Simsek in Edigheim einmal im Monat anbietet.

Austauschen können sich die Fachkräfte in vier regionalen interkulturellen Arbeitskreisen quer durch die Landeskirche. Vier Treffen finden pro Jahr statt, in Gemeindehäusern oder Kinder­tages­stätten. „Dann sieht man gleich, wie machen es die Kollegen“, sagt Wehning, die sich regelmäßig mit Tandems aus Kindergartenleitung und Fachkraft trifft. Was alle als Herausforderung sehen, ist die Verständigung bei Betreuungsverträgen. Hier wäre vonseiten des Landes mehr Übersetzungshilfe notwendig, sagt Wehning. Denn oft können auch interkulturelle Fachkräfte hier nicht hinreichend dolmetschen.

Individuelle Lösungen können helfen, macht die Kindertagesstätte Bergtor in Grünstadt deutlich. Über das Mehrgenerationenhaus Bad Dürkheim wurde der Kontakt zu einer Syrerin hergestellt, die schon länger in Deutschland lebt. Sie konnte über das Jugendamt für ein halbes Jahr angestellt werden, sagt Steffen Frey vom Protestantischen Verwaltungsamt Grünstadt-Bad Dürkheim. Jetzt unterstützt sie die türkischsprachige interkulturelle Fachkraft – beim Dolmetschen für Betreuungsverträge oder Elterngespräche. Florian Riesterer

Kulturelle Erziehungsstile

Erziehungsstile bei geflüchteten Familien können neben der Sprache Herausforderungen für Kindertagesstätten sein, erklärt Haci-Halil Uslucan, Direktor des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen. Der gebürtige Türke hat dazu auf Einladung der Evangelischen Arbeitsstelle Kaiserslautern jüngst in Mainz einen Vortrag gehalten.

„Natürlich gibt es durchaus Rollenmodelle in konservativen Familien, in denen der Mann die Frau in ihrer Autonomie einengt, in denen die sexuelle Ehre eine Rolle spielt“, sagt Uslucan. Allerdings warnt er davor, nur auf die Herkunft von Kindern und Eltern zu schauen. „Man ist immer schnell dabei zu kulturalisieren, diesen selektiven Blick sollte man selbstkritisch hinterfragen.“ Wiederkehrende Muster wie die Bedeutung von Gehorsam in der arabischen Kultur sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Verhalten immer auch aus der individuellen Situation resultiere. Beispiele seien die Familienstruktur, die Arbeits- oder Wohnsituation, sagt Uslucan. Asymmetrische Beziehungsmuster zwischen Mann und Frau fänden sich in deutschen Familien genauso. flor

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