Die Stadt im Pott

Eine Vorschau auf den Kirchentag 2019 in Dortmund • von Wolfgang Weissgerber

60 Radlerinnen und Radler aus der Landeskirche zwischen 14 und 66 Jahren machen sich von Kaiserslautern aus auf den Weg zum Deutschen Evangelischen Kirchentag in Dortmund. Foto: pv

Der Dortmunder U-Turm zeigt bnis zum Ende des Kirchentags ein Video mit „Was für ein Vertrauen“, der Losung des Christentreffens. Foto: epd

Im Signal Iduna Park, Stadion des Bundesliga-Erstligisten BvB Borussia Dortmund, findet am 23. Juni der Abschlussgottesdienst des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags statt. Foto: epd

Geschichtslos und gesichtslos – das ist die landläufige Meinung von Ruhrgebietsstädten. Doch das stimmt für Dortmund, Gastgeber des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentags vom 19. bis 23. Juni, nur bedingt.

Die Skyline von Frankfurt am Main kennt in ganz Deutschland praktisch jeder. T-Shirts und Tassen werden damit bedruckt, auch über dem Wohnzimmersofa macht sie sich gut. Aber Dortmund? Um dessen Silhouette zu erkennen, müsste man schon leidenschaftlicher Dortmunder sein. Denn sie ist alles andere als markant oder gar einzigartig. Mit Stadion und Fernsehturm kann jede bessere deutsche Großstadt aufwarten, der Förderturm des längst abgewickelten Bergbaus deutet zwar auf das Ruhrgebiet hin, ist aber keine exklusive Errungenschaft von Dortmund. Sogar ein paar Hochhäuser hat die Stadt, allesamt aber unter 100 Meter Höhe. Von der Innenstadt des historischen Dortmund ist im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs so gut wie nichts übrig geblieben. Nur das neuzeitliche Bürohaus der örtlichen Union-Brauerei – heute ein Museum – ist mit dem gigantischen U über der denkmalgeschützten Glasfassade von 1926 unverwechselbar.

Wohl deshalb – und mangels geeigneter Alternativen – haben die Macher des aktuellen Kirchentagsmagazins das Union-Haus aufs Cover der Zeitschrift gehievt. Allenfalls die „Gelbe Wand“ des BVB ginge noch als Markenzeichen durch, doch des Fußballs Unkundige könnten mit einem Bild von Europas größter Stehtribüne voller in den Farben des „Ballspielvereins Borussia 09 e. V. Dortmund“ kostümierter Fans vermutlich wenig anfangen.

Irgendeine Art Gesicht hat Deutschlands nach Einwohnern achtgrößte Stadt – hinter Stuttgart und Düsseldorf, aber noch vor Leipzig und Essen – also durchaus, und Geschichte sogar satt. Siedlungsspuren seit der Jungsteinzeit, karolingische Gründung, erste urkundliche Erwähnung 882, Marktrechte seit über 1000 Jahren, Braurecht seit mehr als 725 Jahren, Freie Reichsstadt und sogar Hansestadt. Damals, um 1300, lebten dort rund 10000 Menschen. Diese Zahl wurde nach jahrhundertelangem Niedergang bis auf 4453 Einwohner im Jahr 1819 erst 1849, im beginnenden Industriezeitalter, wieder erreicht. Seitdem wuchs Dortmund unaufhörlich, mit einer Delle im Zweiten Weltkrieg, der Höhepunkt mit fast 660000 Menschen lag in den 1960er Jahren. In den folgenden 20 Jahren ging deren Zahl um rund zwölf Prozent zurück.

Den Strukturwandel nach dem Auslaufen des Bergbaus und dem Bedeutungsverlust der Schwerindustrie (zum Beispiel Hoesch) bewältigte Dortmund besser als manch andere Stadt im Kohlenpott, inzwischen sind es wieder um die 600000 Einwohner. Und grün war das großflächige Dortmund, mit weitläufigen Parks, Feldern und Wiesen zwischen den vielen eingemeindeten Stadtteilen, selbst in den Jahren, als die Schornsteine noch rauchten und der Himmel über der Ruhr alles andere als blau war.

Der Kirchentag steht unter der Losung „Was für ein Vertrauen“. Auf fast 2400 Veranstaltungen sollen neben Glaubensfragen auch gesellschaftliche Themen in den Blick gerückt werden. Frieden und soziale Gerechtigkeit stehen bei Kirchentagen eigentlich immer im Fokus. Wie ein roter Faden zieht sich auch das Thema „Bewahrung der Schöpfung“ seit Jahrzehnten durch sämtliche Kirchentage. Das gilt besonders in Dortmund. Dort wird das Zentrum Stadt und Umwelt das größte Zentrum des Kirchentags mit zahlreichen Ausstellungen, Präsentation von Organisationen, Workshops und Podien sein. Das sind meist keine Wohlfühlveranstaltungen, bei denen sich alle einig sind. Wenn der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck mit dem Bauernverbandspräsidenten Joachim Rukwied und dem früheren EKD-Agrarbeauftragten Clemens Dirscherl diskutiert, der sich inzwischen bei der Supermarktkette Kaufland um Tierwohl und Nachhaltigkeit bei Fleischwaren kümmert, dürften gegensätzliche Positionen aufeinanderprallen.

Erwartet werden auch bekannte Wissenschaftler wie Hans Joachim Schellnhuber, der ehemalige Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, und Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie zum umstrittenen Kohleausstieg. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) wird ebenso dabei sein wie Luisa Neubauer von „Fridays for Future“ und Felix Finkbeiner von „Plant-for-the-Planet“ sowie die Klimaaktivistin Hindou Oumarou Ibrahim aus dem Tschad.

Welche Rolle werden Städte in der Zukunft für die soziale und ökologische Entwicklung spielen? Sind „Smart Cities“ das Modell der Zukunft? Diskutieren wird dazu etwa die Spezialistin für internationale Stadtentwicklung Astrid Ley aus Stuttgart. Was die Kirche als eine der Großgrundbesitzerinnen in Deutschland für eine gesunde und gerechte Stadtentwicklung tut – dieser Debatte stellen sich die westfälische Präses Annette Kurschus und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm.

Neu ist für diesen Kirchentag eine besondere Kooperation: Mit dem Institut für Kirche und Gesellschaft, der Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen und der „Möwe“, dem Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung der Evangelischen Kirche von Westfalen, wird es geführte Wege zur Nachhaltigkeit durch Dortmund mit aktiven Umweltschützern vor Ort geben. Der Kirchentag selbst hat es sich zur Aufgabe gemacht, den eigenen ökologischen Fußabdruck möglichst klein zu halten und nimmt für sich in Anspruch, eine der umweltfreundlichsten Großveranstaltungen in Europa zu sein.

Erstmals in seiner Geschichte macht der Kirchentag den Sport ausdrücklich zum Thema und widmet ihm ein eigenes Zentrum. Dort gehe es in Diskussionen, Workshops, Mitmachangeboten und Bibelarbeiten um Laufschuh und Gesangbuch, Kirche und Arena, Fangesang und Choralmusik, sagt Präses Annette Kurschus von der gastgebenden westfälischen Kirche. Neben klassischen Sport-, Tanz- und Spielangeboten stehen auch unbekanntere Disziplinen wie Crossboccia, Tetherball oder Goalcha auf dem Plan. Im Eissportzentrum reicht die Palette vom Eisstockschießen und Schlittschuhlaufen bis zu Dialog-Bibelarbeiten, auf dem Phoenix-See ist barrierefreies Segeln möglich.

Beim Kirchentags-Zehnkampf „DEKTalon“ sollen Menschen an zehn Stationen in Bewegung geraten und miteinander ins Gespräch kommen über den Glauben und christliche Werte. Auch der Fußballclub Borussia Dortmund unterstützt den Kirchentag, insbesondere als Gastgeber des Schlussgottesdienstes in seinem Stadion. BVB-Präsident Reinhard Rauball gehört dem Präsidium des Kirchentags an und ist mit Kirchentagspräsident Hans Leyendecker befreundet.

Um den Sanitätsdienst und den Fahrdienst für Menschen mit Behinderungen kümmern sich 1000 Einsatzkräfte der Johanniter-Unfallhilfe. Darüber hinaus sind 4000 ehrenamtliche Helfer und Helferinnen unterwegs, um beispielsweise die Besucherströme zu lenken. Täglich sollen zudem rund 230 Ordnungskräfte der Stadt Dortmund im Einsatz sein.

Für die Sicherheit der Besucher des Kirchentags sorgen über 1000 Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Ordnungsbehörden. Zum Sicherheitskonzept gehören auch Straßensperrungen und Lastwagen-Fahrverbote. Details nennt die Polizei nicht – zu den Sicherheitsmaßnahmen soll aber gehören, Veranstaltungsorte mit Betonklötzen und Fahrzeugen abzusperren. Taschenkontrollen sind im Gegensatz zum Kirchentag in Berlin vor zwei Jahren nicht vorgesehen.

Pfarrerin Werner erteilt an Fronleichnam den Nachtsegen

Pfälzer gestalten den 37. Evangelischen Kirchentag in Dortmund mit – Die Arbeitsstelle Frieden und Umwelt informiert in den Westfalenhallen

Mit zahlreichen Aktionen beteiligen sich Protestanten aus der Pfalz und Saarpfalz am 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag, der vom 19. bis 23. Juni in Dortmund stattfindet. Die ersten Teilnehmer starteten mit der Benefiz-Radtour „Bike and Help“ am Samstag, 15. Juni, um 11 Uhr an der Kaiserslauterer Unionskirche zum Kirchentag. Unter dem Motto „Was für ein Vertrauen“ gibt es in Dortmund insgesamt rund 2000 Veranstaltungen.

Zum zwölften Mal in Folge organisiert das Evangelische Landesjugendpfarramt in Kaiserslautern die Anfahrt mit dem Fahrrad für einen guten Zweck. Bei „Bike and Help“ radeln nach Angaben der Landeskirche 60 Pfälzer zwischen 15 und 66 Jahren in fünf Tagen die 350 Kilometer lange Strecke von Kaiserslautern nach Dortmund. Sie leisten damit einen entwicklungspolitischen Beitrag. Jeder Radfahrer hat einen persönlichen Sponsor, der für das Engagement eine Spende an die Stiftung „Fundación Pueblo“ für Hilfsprojekte im ländlichen Bolivien gibt.

Geschichten von „Bike and Help“ teilen die Radler auf Instagram unter @ev_jugend_pfalz. Eindrücke von Veranstaltungen mit pfälzischer Beteiligung gibt es auf Facebook unter @evkirchepfalz. Zudem machen sich mehr als 50 Musiker aus pfälzischen Posaunenchören auf den Weg. Darunter sind junge Bläser vom Donnersberg, aus Trippstadt und Landau. Als Glanzlicht auf dem Kirchentag erteilt die Speyerer Pfarrerin Mechthild Werner an Fronleichnam, 20. Juni, um 22 Uhr auf der Hauptbühne am Hansaplatz in der Dortmunder Innenstadt den Nachtsegen. Die Studiogruppe „Baltruweit“ aus Hildesheim begleitet den in ein Kerzenmeer getauchten Tagesausklang musikalisch.

Vertreter der Evangelischen Jugend der Pfalz sind vom 20. bis 22. Juni im „Zentrum Jugend“ am Fredenbaumplatz in der Dortmunder Nordstadt mit einem Stand vertreten. Dort gibt es Mitmachspiele, eine Fotobox und einen „Chill-out-Raum“. Zeitgleich wird die Arbeitsstelle Frieden und Umwelt der Landeskirche auf dem „Markt der Möglichkeiten“ in den Westfalenhallen, Halle 4, an einem Stand über ihre Arbeit informieren.

Am Samstag, 22. Juni, diskutiert Kirchenpräsident Christian Schad im „Zentrum Jugend“ ab 13.30 Uhr mit Jugendlichen. Das Thema lautet „An der eigenen Nase gefasst – Demokratie und Beteiligung junger Menschen in der Kirche“. Die Band „Beatween“ stimmt live ab 13 Uhr darauf ein. Ebenfalls am 22. Juni spielt um 20 Uhr der Jugendposaunenchor Pfalz unter Leitung von Katharina Stängle und Landesposaunenwart Christian Syperek mit anderen Jugendchören beim Festkonzert „Blech im Pott“ im Westfalenpark. epd

Prominenz hautnah erleben

Das „Rote Sofa“ beim Kirchentag: Interessante Menschen im Gespräch mit der evangelischen Kirchenpresse – Talks rund um Glaube, Gesellschaft und Zeitgeschehen.

Uschi Glas kommt. Der Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege. Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau. Und die Fußballreporter-Legende Manfred „Manni“ Breuckmann. 30 prominente Gäste werden wieder auf dem „Roten Sofa“ der evangelischen Kirchenpresse beim Kirchentag in Dortmund Platz nehmen. Auf der Bühne an der Westfalenhalle (weitere Informationen stehen unten zur Lage und zum Programm) stellen sich Bundesminister und Bischöfe, Politiker und Musiker den Fragen der Redakteurinnen und Redakteure der evangelischen Wochenzeitungen, Radio- und Fernsehagenturen sowie von Online-Medien.

Wie sieht eigentlich der Arbeitsalltag einer Bundesfamilienministerin aus? Wie geht der Bundesvorsitzende der Grünen mit Kritik um? Was meint der frühere Top-Manager Thomas Middel­hoff, wenn er heute sagt: Ich war damals ein Sünder? All das sind Fragen, auf deren Antworten man gespannt sein darf.

„Das ,Rote Sofa‘ ist ein Markenzeichen des Deutschen Evangelischen Kirchentags“, erklärt Roland Gertz, Vorsitzender des Evangelischen Medienverbands in Deutschland (EMVD), des Dachverbands der evangelischen Medienhäuser, der das „Rote Sofa“ organisiert und dem auch diese Zeitung angehört. „Der besondere Reiz dieser Talks liegt in der Mischung aus harten Fakten und menschlichen Zwischentönen“, so Gertz. „Wer Prominenz und interessante Menschen hautnah erleben will, ist beim ,Roten Sofa‘ genau richtig.“

Die große Politik ist unter anderem vertreten mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD), Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), Robert Habeck, dem Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags Petra Pau (Die Linke) sowie Ex-Bundespräsident Joachim Gauck. Gesellschaft und Kultur sind vertreten unter anderem mit dem Bestsellerautor Erik Flügge, dem Kabarettisten Fritz Eckenga und der Sängerin Judy Bailey.

Aus dem Bereich von Kirche und anderen Religionsgemeinschaften werden dabei sein der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Heinrich Bedford-Strohm, die westfälische Präses Annette Kurschus, Pater Anselm Grün, Margot Käßmann, Kardinal Reinhard Marx, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster sowie Alman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland.

Für das musikalische Programm zwischen den Talks sorgt die Band „Swinging Souls“ aus Frankfurt am Main. esz

Das Interviewprogramm „Rotes Sofa“ läuft beim Kirchentag in Dortmund am Donnerstag, 20. Juni, und Freitag, 21. Juni, von 11 bis 19 Uhr sowie am Samstag, 22. Juni, von 11 bis 17 Uhr. Veranstalter ist die evangelische Kirchenpresse, organisiert im Evangelischen Medienverband in Deutschland (EMVD). Standort des „Roten Sofas“ ist die Bühne an der Westfalenhalle (auf dem Messegelände, 50 Meter rechts vom Haupteingang; Kirchentags-Stadtplan Nr. 634). Das vollständige Programm im Internet: kirchentag.de/rotessofa

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