Die hohe Kunst des Eismachens

Inhabergeführte Eisdielen setzen weiter auf handwerkliche Qualität und leckere Kreationen • von Alexander Lang

Auf der Fachmesse für die Speiseeisherstellung „Gelatissimo“ in Stuttgart isst nicht nur das ­Auge mit. Besucherinnen und Besucher können die einfalls­reichen Eiskreationen ­natürlich auch selbst probieren. Foto: Gelatissimo

Seit mehr als 30 Jahren stellt ­Domenico D’Alessandro leckeres ­Speiseeis aus natürlichen Rohstoffen her. Viele Arbeitsschritte sind in Handarbeit nötig, bis der Nordbadener mit italienischen Wurzeln sein ­Produkt an der Theke seines Eis­cafés verkaufen kann. Foto: pv

Schon frühmorgens beginnt sein ­Arbeitstag mit der Herstellung der verschiedenen Eissorten an seinen zwei Eismaschinen. Luca Graziano Friguani lässt sich auch von Desserts, die an christlichen und muslimischen Festtagen zubereitet werden, zu Eisrezepten inspirieren. Foto: Artis Uli Deck

Domenico D’Alessandro hat in der warmen Jahreszeit kurze Nächte. Frühmorgens um 5 Uhr steht er auf und steigt hinab in den Keller seiner Eisdiele. Alle Zutaten sind gerichtet: Die Erdbeeren sind fein geschnitten, die gerösteten Pistazien gehackt, die selbst gemachten Soßen aus frischen Früchten angerührt. Dann wirft der 56-Jährige seine zwei Eismaschinen an.

Eine Stunde lang dauert es, bis die cremige Eismasse fertig aus der Öffnung der Maschine herausquillt. Sechs bis zwölf Stunden muss sie dann noch reifen. „Bei schönem Wetter halten 200 Liter etwa ein bis zwei Tage“, sagt der Eismann. Und warm ist es wieder: Trotz Corona stehen die Kunden wieder Schlange vor seiner Eisdiele auf dem Marktplatz in Bruchsal-Heidelsheim – wenn auch auf Abstand und mit Mund-Nasen-Schutz.

Domenico D’Alessandro ist einer von rund 5500 Inhabern einer Eisdiele in Deutschland, noch immer sind die meisten fest in italienischer Hand. Der Nordbadener mit italienischen Wurzeln hält die große handwerkliche Kunst des Eismachens hoch. „Ich stelle so viele Zutaten wie möglich selbst her und verwende nur natürliche Rohstoffe“, versichert er. Seit 33 Jahren betreibt D’Alessandro sein Eiscafé gemeinsam mit seiner Frau Andrea, die drei Töchter helfen zeitweise mit. Das kleine Eiscafé mit den Bistrotischen vor der Verkaufstheke ist ein typischer Familienbetrieb, so wie Tausende Eisdielen, die ab den 1960er Jahren im ganzen Land von italienischen „Gastarbeitern“ gegründet wurden. Doch viele der alteingesessenen Betriebe befinden sich in einem existenzbedrohenden Wandel, die Zahl der Eisdielen schwindet seit Jahren: Die erste und zweite Generation der „Gelatieri“ geht in den Ruhestand, oft fehlt der Nachwuchs. Viele Jüngere wollen sich den aufreibenden und oft kaum rentablen Job nicht antun und verkaufen die Betriebe, etwa an große Eisdielenketten. Auch gibt es immer mehr Eisdielen, die nicht mehr selbst Speiseeis produzieren, sondern es von großen Herstellern einkaufen – designtes Masseneis, das geschmacklich kaum an handgemachtes Speiseeis herankommt.

Für den gelernten Bäcker Domenico D’Alessandro, dessen Großvater in den 1960er Jahren aus der Apeninnenregion Molise nach Deutschland auswanderte, ist das Eismachen ein Lebenswerk. „Man muss Idealist sein und das wollen“, sagt er. Kaum jemand wisse um die Mühe, die hinter einer fertigen Kugel Eis stecke. Rohstoffe wie Milch kauft er frisch im Großmarkt, das Obst bezieht er von einem regionalen Landwirtschaftsbetrieb. Und verkauft werden muss das Produkt auch: In seiner Sieben-Tage-Woche stehen Domenico und Andrea D’Alessandro vom frühen Nachmittag bis abends an der Theke ihres Eiscafés, Urlaub gibt es nur selten. Seinen Töchtern will er irgendwann die Übernahme des Familienbetriebs nicht antun. „Sie leben ihr eigenes Leben, ihre Männer haben ihre Jobs“, sagt er.

Im besten Sinne konservativ ist der Eismann, wenn es um die Eissorten geht. „Ich mag ‚grundehrliches‘ Eis“, sagt er, „wenige Sorten, aber die richtig.“ Es sind die Klassiker, die Jung und Alt bis heute besonders schmecken: Erdbeer, Vanille, Schokolade, Nuss, Zitrone, Joghurt. „Diese Geschmacksrichtungen haben sich von klein an bei uns eingeprägt, und sie werden von Eltern weitergegeben“, analysiert der Eismacher. Natürlich versuchten die Leute hin und wieder Ausgefallenes. „Ein Schoko-Chili-Eis habe ich auch schon gemacht. Aber so etwas ‚läuft‘ nur etwa in den Fußgängerzonen der Großstädte – aber nicht hier auf dem Land.“

Anregungen für neue Eiskreationen oder zur Produktionstechnik holt sich Domenico D’Alessandro wie viele seiner Kollegen bei der alle zwei Jahre in Stuttgart im Frühjahr stattfindenden Fachmesse „Gelatissimo“. Dort können das Fachpublikum, aber auch private Eis­liebhaber, manch abgedrehte Geschmacksrichtung selbst probieren. Ob Speiseeis mit Gorgonzola-Walnuss-Feige-Geschmack oder Rote Bete mit schwarzem Pfeffer: Ob die eiskalten Neuerungen wirklich den breiten Publikums­ge­schmack treffen, bleibt dahingestellt.

Die Kunden bestellten mehr mit „Schnickschnack“ garniertes Eis, mit Schokostreuseln oder bunt-süßer Kuvertüre, bestätigt D’Alessandro einen Trend der vergangenen Jahre. Verstärkt werde zudem aus gesundheitlichen Gründen auch gluten- und lactosefreies Eis nachgefragt. Ob er sich die auf der „Gelatissimo“ präsentierten biologisch abbaubaren Eisbecher anschafft, um Plastikabfall zu verringern, überlegt er noch. „Die sind noch sehr teuer.“

Auch Luca Graziano Frignani lässt sich gerne für seine Kunden immer neue Eiskreationen einfallen. „Die Leute wollen das“, versichert der 58-Jährige, der zwei Eiscafés in Graben-Neudorf und Oberhausen im Landkreis Karlsruhe besitzt. So lässt sich der aus dem norditalienischen Ferrara eingewanderte Eismann auch durch religiöse Feiertage zu neuen Eissorten inspirieren. Von Zeit zu Zeit bietet er Speiseeis an, das auf Rezepten von Desserts beruht, die Gläubige an christlichen oder muslimischen Festtagen zubereiten. So gab es zusätzlich zu seinen rund 30 Sorten auch schon Baklava-Eis: Die Nuss-Honig-Schnitten sind bei vielen Muslimen besonders in der Zeit des Ramadan beliebt. Auch Dattel- und Schwarztee-Eis hat Frignani schon hergestellt. Kunden aus Russland hätten sich begeistert gezeigt von seinem Paskha-Eis, erzählt er. Die Süßspeise, die auch als „Russischer Osterquark“ bekannt ist, gönnen sich orthodoxe Christen üblicherweise nur einmal im Jahr zur Osterzeit.

Bis zu 18 Stunden täglich ist Frignani auf den Beinen, um sein Eis herzustellen und es zu verkaufen. Bis auf Aushilfen im Eisverkauf macht er alles selbst: „Ich finde leider keinen guten Mitarbeiter“, klagt er. Auch er schwört auf natürliche Rohstoffe. Die Qualität weiß auch eine Konditorei zu schätzen, die Eis bei ihm bezieht. Selbst ein Supermarkt habe angefragt, ob er seine Produkte nicht liefern könne, erzählt er. Doch das wird dem Ein-Mann-Betrieb zu viel.

Eigentlich, so merkt Frignani an, müsste der gängige Preis von einem Euro pro Eiskugel deutlich höher sein. „Die Kosten für Material, Strom, Pacht und Reinigung steigen immer weiter“, sagt er. In sechs Monaten müsse er Geld genug verdienen, um mit seiner Familie über das ganze restliche Jahr zu kommen. Dennoch ist Luca Graziano Frignani ein „Gelatiere“ mit Leib und Seele. „Es bringt dem Herzen etwas“, erklärt er, warum er seine harte Arbeit auch nach Jahrzehnten noch liebt.

Auch Domenico D’Alessandro möchte die Tradition des guten Eismachens so lange weiterführen, wie es geht. „Hochzufrieden und stolz“ ist er, wenn ihm sein Produkt gelingt, wenn es wohl schmeckt und lecker anzusehen ist. Das größte Glück verspürt er aber, wenn er die Eis schleckenden Kinder beobachtet. „Die legen sich in das Eis fast rein“, erzählt er. „Da weißt du: Du machst etwas, das den Menschen etwas gibt.“

Eisessen fanden schon die alten Chinesen cool

Italiener haben die Eisherstellung perfektioniert – Schon Kaiser Nero ließ sich Gletschereis holen

Auch wenn es die Italiener stolz für sich beanspruchen: Die Chinesen waren wohl die Ersten, die Speiseeis vor Jahrtausenden herstellten. Im Sommer wurde es in Stangenform von Straßenverkäufern angeboten. Auf den Geschmack des kühlen Genusses kamen dann die Griechen und die Römer. Antike Quellen berichten davon, dass die Grundlage des Speiseeises Gletscherschnee war – angereichert mit süßen Zutaten wie Früchten, Honig oder Rosenwasser. Der griechische Arzt Hippokrates, der Begründer der Medizinkunde, riet seinen Patienten gar dazu, Speiseeis als Schmerzmittel zu nehmen.

Als Perfektionisten der Herstellung des „Gelato“ gelten aber zweifelsohne die Italiener. Der Römerkaiser und Christenverfolger Nero (37 bis 68 nach Christus) war ein „Süßer“: Er verwahrte Gipfelschnee von den Alpen in holzverkleideten Erdgruben. Um seinen Eishunger zu stillen, ließ er durch Schnellläufer notfalls Gletschereis von dort herbeiholen. Später richteten sich reiche römische Bürger auch Eiskeller ein: Es galt als besonders vornehm, seinen Gästen gefrorene Spezialitäten anzubieten.

Im Mittelalter ging in Europa das Wissen über die Zubereitung eisgekühlter Speisen und Getränke verloren. Der Entdecker Marco Polo beschrieb Ende des 13. Jahrhunderts die Herstellung einer kalten Mischung aus Schnee oder Wasser und Salpeter, die er in China kennengelernt habe. In der Folgezeit wurde Speiseeis aus Wasser und Fruchtsaft oder Fruchtpüree zu einer italienischen Spezialität. Sie war aber nur wenigen Privilegierten vorbehalten. Erst ein Zuckerbäcker aus Catania verhalf 1530 der Eisproduktion zu ihrem Durchbruch: Mithilfe von Salpeter und Salz erzeugte er eine künstliche Kälte von bis zu minus 25 Grad. Nun waren die Eiskonditoren unabhängig von Jahreszeiten oder geografischen Bedingungen bei der Eisherstellung.

Die erste Eisdiele eröffnete 1686 der Sizilianer Francesco Procopio dei Coltelli in Paris, der für die Eisproduktion eine Lizenz des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV. erhielt. Die erste Eisdiele in Deutschland machte vermutlich 1799 in Hamburg im Alsterpavillon auf. all

„Gelatissimo“ 2022

Die Fachmesse „Gelatissimo“ in Stuttgart ist die nach eigenen Angaben größte Fachmesse für handwerklich hergestelltes Speiseeis nördlich der Alpen. Die nächste findet vom 5. bis 9. Februar 2022 auf dem Gelände der Landesmesse Stuttgart GmbH in der Nähe des Flughafens statt.

Auf dem Branchenevent können sich an fünf Veranstaltungstagen Eishersteller, Eisdielen- und Cafébesitzer, Gastronomen sowie das interessierte Publikum über das Thema Speiseeis informieren. Die Messe findet parallel zur „Intergastra“, einer Leitmesse für Hotellerie und Gastronomie, statt. Weitere Informationen im Internet: www.messe-stuttgart.de/gelatissimo. all

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