Die Hölle auf Zeit

Das Fegefeuer soll nach katholischem Verständnis die Seele reinigen • von Detlef Schneider

Unser Bild zeigt einen Holzstich zum Thema Ablasshandel aus Heinrich Heines Werk „Deutschland bis Luther“. Foto: epd

Der italienische Dichter Dante Alighieri und sein Werk „Göttliche Komödie“, das Hölle, Fegefeuer und Paradies beschreibt. Das Fresko in der Kathedrale Santa Maria del Fiore in Florenz zeigt im Hintergrund den Vulkan mit den ­sieben Terrassen, die für die Todsünden stehen. Foto: wiki

Glut und Flammen brennen in der Hölle ebenso wie im Fegefeuer. Die Seelen im Fegefeuer aber durchlaufen einen Reinigungsprozess, der sie für den Himmel vorbereitet. Martin Luther sah das ganz anders.

Ein großer feuerspuckender Vulkan, um ihn herum ein aufsteigender Weg, an dessen Rand sieben Terrassen liegen. So beschreibt der italienische Dichter Dante Alighieri in seiner „Göttlichen Komödie“ das Fegefeuer. Dieses befindet sich nicht im Inneren des Vulkans, sondern auf den sieben umlaufenden Terrassen. Der aufsteigende Weg führt an ihnen vorbei zum Licht und in den Himmel, der die gereinigte Seele erwartet.

Der deutsche Begriff „Fegefeuer“ beschreibt genauso wie das lateinische „Purgatorium“ einen Reinigungsort. Ihn durchläuft eine Seele nach dem Tod, bevor sie in den Himmel aufsteigt. Dahinter steht die römisch-katholische Lehre, dass in den Himmel nichts Unreines gelangen kann. Eine „arme Seele“ im Purgatorium ist zwar in der Gnade Gottes gestorben, hat aber ihre irdischen Sünden noch nicht verbüßt.

Göttliche Macht und vernichtende Wirkung

Bei Dante stehen die sieben Terrassen für je eine der sogenannten Todsünden. Nach römisch-katholischer Lehre können diese im Vergleich zu den lässlichen Sünden nur von Gott vergeben werden. Auf der untersten Terrasse siedelt Dante die Stolzen und Hochmütigen an, die dort schwere Steine schleppen. Auf der zweiten Terrasse befinden sich die Neidvollen. Blind irren sie dort umher, da ihre Augenlider mit Eisendraht zugenäht sind. Vorbei an den Zornigen geht es zu den Trägen, die auf der vierten Terrasse durch rast- und ruheloses Laufen von ihrer Sünde befreit werden. Nach der Terrasse der Habgierigen und Maßlosen schlagen auf der siebten und obersten Terrasse Flammen aus den Felswänden. In dieser letzten Stufe der Reinigung brennen die Wollüstigen.

Im Alten Testament symbolisiert das Feuer die Ausstrahlung göttlicher Macht. Es wärmt und erhellt, gleichzeitig vernichtet es auch. Es kann so stark und unkontrollierbar sein, dass es von Menschen nur beschränkt lenkbar ist. Das „Spiel mit dem Feuer“ kann im Chaos enden. Auch als Reinigungs- und Läuterungsmittel ist das Feuer bekannt. Die Redewendung „Für jemanden die Hand ins Feuer legen“ etwa geht ursprünglich darauf zurück. Feuerproben existierten in verschiedenen Kulturen. In Europa sind sie ab der Zeit von Karl dem Großen (768 bis 814) belegt. Um ein „Gottesurteil“ herbeizuführen, mussten Angeklagte tatsächlich ihre Hand ins Feuer legen. Da Gott der Vorstellung zufolge bei der Urteilsfindung eingriff, glaubte man, am Ausmaß der Verbrennungen den Umfang der Schuld erkennen zu können. Auch im Zuge der Hexenverfolgungen lag dem Verbrennen auf dem Scheiterhaufen dieses Motiv zugrunde: Die Seele der verurteilten Person sollte durch den Feuertod gereinigt werden.

Der Kirchenvater Tertullian prägt im 2. Jahrhundert die Vorstellung eines „refrigerium interim“, eines Zwischenzustands. An diesem Ort befinden sich ihm zufolge die Seelen der Gläubigen, die nach ihrem Tod auf das Jüngste Gericht warten. In Anlehnung an das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lukas 16) vergleicht Tertullian diesen Ort mit dem „Schoß Abrahams“ – einem Ort der Seligkeit. Im Gegensatz zu den ewig Verdammten erleiden die Seelen dort keine Qualen.

Die Vorstellung eines reinigenden Feuers findet sich im 6. Jahrhundert bei Papst Gregor dem Großen. Dieser schreibt: „Man muss glauben, dass es vor dem Gericht für gewisse leichte Sünden noch ein Reinigungsfeuer gibt. Jedoch muss man glauben, dass dies nur bei geringen, ja ganz kleinen Sünden stattfindet, wie häufiges unnützes Gerede, unmäßiges Gelächter oder eine Sünde in der Leitung des Hauses. Alles dies belastet die Seele noch nach dem Tode, wenn keine Nachlassung in diesem Leben erfolgte.“ Bei Gregor grenzt dieser Reinigungsort räumlich an die Hölle. Der Unterschied zu ihr ist ein zeitlicher: Die im Feuer gereinigten Seelen steigen von dort in den Himmel auf.

Der Kirchenlehrer Thomas von Aquin sieht das ähnlich. In seiner „Summa Theologica“ schreibt er: „Die Seele wird sofort nach der Loslösung vom Leibe entweder in die Hölle hinabgestoßen oder sie steigt zum Himmel auf. Sie steigt zum Himmel auf, wenn sie nicht durch irgendeine Schuldverstrickung zurückgehalten wird, sodass das Aufsteigen bis nach der Läuterung der Seele aufgeschoben werden muss.“ Papst Benedikt XII. legte im Jahr 1336 schließlich die Lehre vom Fegefeuer in seiner Bulle „Benedictus Deus“ lehramtlich fest.

Hände und Gesichter flehend nach oben gereckt

In der Kunst ähneln die Darstellungen des Fegefeuers häufig denen der Hölle. Beides stellen Künstler als einen Ort dar, der von Glut und Feuer erfüllt ist. Doch lassen sich die Bilder in einem Punkt unterscheiden: Die Seelen im Fegefeuer erleiden zwar Qualen, dennoch erheben sie ihre Hände und Gesichter flehend nach oben. Die Seelen in der Hölle hingegen wenden sich nach unten – sie haben keine Hoffnung auf Erlösung mehr.

Die Frage nach der Vergebung der Sünden beschäftigte die Gläubigen schon seit dem frühen Christentum. Die Historikerin Christiane Laudage benennt in ihrem Buch „Das Geschäft mit der Sünde“ den Dreiklang aus Beten, Fasten und Almosen geben, mit denen Gläubige ihre irdischen Sünden tilgen konnten. Gerade das Fasten sei dabei eine beliebte Bußstrafe gewesen. „Weil aber mitunter exorbitante Fastenzeiten zusammenkamen, die den Büßer entweder in den sicheren Hungertod getrieben oder aber seine Lebenszeit überschritten hätten, entstanden die sogenannten Kommutationen, also die Möglichkeit, ein längeres Bußverfahren durch eine kürzere, intensive Frömmigkeitsübung zu ersetzen“, so Laudage. Wer zum Beispiel drei Fastentage abzuleisten hatte, konnte sie gegen eine Nacht ohne Schlaf und draußen stehend austauschen. Ganze Bußbücher entstanden, in denen für nur jede erdenkliche Sünde eine Strafe verzeichnet war.

Im Früh- und Hochmittelalter beginnen Mönche, Bußauflagen für Sünder zu übernehmen. So konnte sich etwa der Adel von seinen Strafen freikaufen. „Nur für den Mönch bestand ein gewisses Risiko im Jenseits; er hatte die Verpflichtung übernommen, die Buße abzutragen. Vermochte er das nicht oder starb vorzeitig, wurde sie ihm angerechnet“, so Laudage.

Ablass gibt es auch für bereits Verstorbene

Die Historikerin hält fest: „Ab dem 13. Jahrhundert treten nun der Ablass und das Fegefeuer als zeitlich-jenseitige Sündenfolge in Beziehung zueinander. Der Ablass quantifizierte ja die Bußwerke auf Jahr und Tag genau, er machte ihre Wirkung zählbar.“

Doch zunächst musste man die Frage lösen, wie Gott einen Ablass als ausreichende Bußleistung anerkennen konnte. Daraus entwickelt sich die Lehre vom Kirchenschatz. Der Kardinal und Kanonist Heinrich von Susa schreibt im 13. Jahrhundert dazu, dass die christlichen Märtyrer in ihrem Martyrium mehr gestraft worden seien, als sie gesündigt haben. „Dieses Blutvergießen ist ein Schatz, welcher im Schrein der Kirche liegt und dessen Schlüssel die Kirche hat. Daher kann sie, wenn sie es möchte, diesen Schrein öffnen und nach ihrem Willen verteilen und somit den Gläubigen Nachlass für ihre Sünden und Ablässe gewähren.“ Damit waren die Ablassbriefe gedeckt. Zudem bestand die Regelung: Wer an einem Kreuzzug teilnimmt und dabei heilige Stätten besucht, dem werden seine Sünden automatisch vergeben und ihm das Fegefeuer erspart.

Eine Schlüsselfigur im vorreformatorischen Ablasswesen nimmt im 15. Jahrhundert der Domdekan von Saintes und Ablasskommisar Raimund Peraudi ein. Die baufällig gewordene Kathedrale von Saintes sollte neu errichtet werden. Doch die dafür vorgesehenen Ablassgelder reichten nicht aus. Daraufhin entwickelt Peraudi eine neue Strategie. Auf seine Initiative hin verfasst Papst Sixtus IV. im Sommer 1476 eine Bulle mit dem Titel „Salvador noster“. In ihr hält er fest: Wer einen Beitrag zum Bau der Kathedrale von Saintes spendet, der könne damit eine Seele aus dem Fegefeuer befreien. Das war eine Neuerung. Hatte man sich zuvor lediglich von seinen eigenen Sünden freikaufen können, so konnte man nun auch Ablässe für bereits Verstorbene erwerben. „Dass sich die Schlüsselgewalt des Papstes bis ins Fegefeuer erstreckt, davon waren die Gläubigen fest überzeugt“, schreibt Laudage.

Die Volksfrömmigkeit hatte im Lauf vieler Jahre immer grausigere Bilder vom Fegefeuer als „Hölle auf Zeit“ gemalt. Doch mit der Reformation kommt Kritik auf. Martin Luther äußert sich scharf gegen die Ablasshändler: „Lug und Trug predigen diejenigen, die sagen, die Seele erhebe sich aus dem Fegefeuer, sobald die Münze klingelnd in den Kasten fällt“, schreibt er. „Finsterhirne“ nennt er die Ablassprediger, „die ihre Nase nie in die Bibel gesteckt haben.“ Luther begründet, dass die Sünden der Menschen durch den Tod Jesu am Kreuz bereits vergeben seien. Und mit einem mangelnden biblischen Bezug lehnt er ebenso die Existenz des Fegefeuers ab. In den Schmalkaldischen Artikeln von 1537 schreibt er: „Darum ist das Fegefeuer mit all seinem Gepränge, Gottesdienst und Gewerbe für lauter Teufelsgespinst zu achten.“ Und in der Tat begründete biblisch lediglich 1. Korinther 3, 13–15 die Lehre vom Fegefeuer, wo von einer Rettung der Gläubigen „durchs Feuer hindurch“ die Rede ist.

Ein notwendiger Prozess der Umwandlung

Nach römisch-katholischer Lehre brennt das Fegefeuer heute noch. Im Kompendium des Katechismus der katholischen Kirche, zuletzt neu veröffentlicht unter Benedikt XVI. im Jahr 2005, heißt es: „Das Purgatorium ist der Zustand jener, die in der Freundschaft Gottes sterben, ihres ewigen Heils sicher sind, aber noch der Läuterung bedürfen, um in die himmlische Seligkeit eintreten zu können.“

Auch die Frage, was man für die Verstorbenen tun kann, beantwortet das Kompendium der katholischen Kirche: „Kraft der Gemeinschaft der Heiligen können die Gläubigen, die noch auf Erden pilgern, den Seelen im Purgatorium helfen, indem sie Fürbitten und besonders das eucharistische Opfer, aber auch Almosen, Ablässe und Bußwerke für sie darbringen.“

Christiane Laudage: Das Geschäft mit der Sünde. Ablass und Ablasswesen im Mittelalter. Herder, 2016. 351 Seiten, 24,99 Euro. ISBN 978-3-451-31598-5

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