Die Dokumentation: Zuspruch und Verwirklichung

Wie Säuglingstaufe und Erwachsenentaufe miteinander versöhnt werden könnten • von Roland Gebauer

Die Taufe: Realsymbol für das Ankommen Gottes im Leben des Menschen. Foto: epd

Zwei Fragen beschreiben das Kernproblem bei der Annäherung im Taufverständnis zwischen dem Verband Evangelischer Freikirchen (VEF) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Erste Frage: Ist es denkbar, dass die VEF-Kirchen, die ausschließlich die Erwachsenen- beziehungsweise Glaubenstaufe praktizieren, die Säuglingstaufe als eine gültige Form der Taufe anerkennen? Zweite Frage: Ist es denkbar, dass die EKD die nochmalige Taufe von säuglingsgetauften Christen nicht kategorisch als unzulässige Wiedertaufe ablehnt?

Um in diesen Fragen weiterzukommen, könnte eine Differenzierung der Aspekte von Heilszuspruch und Heilsverwirklichung im Zusammenhang der Taufe hilfreich sein. Grundlage für meine folgenden Überlegungen ist das neutestamentliche Zeugnis, nach dem das in der Taufe zeichenhaft zugesprochene Heil im Glauben angeeignet sein will, um zu einer existenziellen Wirklichkeit für den getauften Menschen zu werden.

Ich gehe in meinen Überlegungen also von zwei Voraussetzungen aus. Erstens: Die beiden Aspekte des Heilszuspruchs und der Heilsverwirklichung (im Glauben) entsprechen dem biblischen Zeugnis von der Taufe. Zweitens: Säuglingstaufe und Glaubenstaufe sind faktisch zwei Weisen der Taufe, hinter die wir nicht zurückgehen können. Und ich frage: Ist ein dritter Weg denkbar, der beide Weisen der Taufe miteinander zu einem zusammenhängenden pneumatischen Geschehen verbinden könnte?

Als Heilszuspruch wäre demnach die Weise der Taufe zu verstehen, die unabhängig vom Glauben des Täuflings erfolgt, das heißt de facto in der Regel die Säuglingstaufe. In dieser Weise der Taufe würde dem Säugling das Heil Gottes als unwiderruflich gültige Zusage Gottes für sein Leben bedingungslos zugesprochen. Dieser Zuspruch müsste aber (später) im Glauben ergriffen werden, um zu einer existenziellen Wirklichkeit zu werden. Von Heilsverwirklichung könnte demnach erst dann geredet werden, wenn dem Heilszuspruch in der Taufe die Heilsaneignung im Glauben entspricht. Um es in einem Bild zu verdeutlichen: Ein mir rechtsgültig zugesandter Scheck gehört unwiderruflich mir, aber er wird erst zu der mir mit ihm „zugesprochenen“ Wirklichkeit, wenn ich ihn bei der Bank eingelöst habe.

Unter Heilsverwirklichung wäre dann ein Aspekt der Taufe zu verstehen, die an glaubenden Menschen vollzogen wird. Hier hätte der Heilszuspruch der Taufe zugleich den Charakter der Heilsverwirklichung, insofern das zeichenhaft zugesprochene Heil bereits im Geschehen der Taufe im Glauben ergriffen und somit zu einer existenziellen Wirklichkeit wird. Dabei ist freilich vorausgesetzt, dass die Taufe in erster Linie als Handeln Gottes am Täufling verstanden wird; und nicht als ein der „Bekehrung“ nachgeschobener menschlicher Gehorsams- und Bekenntnisakt.

Theologische Grundlage meiner Überlegungen ist das Initiationsmodell, das von der Prozesshaftigkeit des Zum-Glauben-Kommens ausgeht und die Taufe in diesen Prozess integriert. In diesem Rahmen möchte ich die Taufe selbst als einen Prozess verstehen – als einen Vorgang innerhalb eines gewissen Zeitraums, der das Initiationsgeschehen eröffnet, begleitet und zu einem Abschluss bringt. Die Taufe könnte hierbei verstanden werden als die rituelle Markierung von Anfang und Ende des Initiationsprozesses. Das Prozesshafte der Taufe wäre dabei das Geschehen, für das die Taufe als Realsymbol steht und das den gesamten Prozess bildet: das Ankommen Gottes und seines Heils im Leben des Menschen.

Wenn die Taufe Anfang und Ende des Initiationsprozesses markiert, ist die Schlussfolgerung zu vermeiden, hier sei von zwei Taufen (eine am Anfang, eine am Ende) die Rede. Vielmehr geht es um die eine christliche Taufe, die ein einheitliches Geschehen abbildet: das Zum-Heil-Gelangen des Menschen beziehungsweise das Ankommen des göttlichen Heils in der menschlichen Existenz. Dieses einheitliche Geschehen würde unter den besagten Voraussetzungen aber in zwei rituellen Vollzügen zeichenhaft zum Ausdruck gebracht: einem Ritus des Heilszuspruchs und einem Ritus der Heilsverwirklichung. Beide Teil-Riten zusammen ergäben den einen Ritus der Taufe (wie die beiden Seiten einer Medaille).

Diese zwei Aspekte eines einheitlichen Geschehens entsprechen der Grundstruktur der biblisch bezeugten Soteriologie – wie etwa den grundlegenden Vorgängen des Hörens des Evangeliums und dem Annehmen dieses Worts im Glauben. Erst wenn beides zusammengekommen ist, kann von der existenziellen Wirklichkeit des göttlichen Heils beim Menschen die Rede sein.

Diese Differenzierung entspricht auch dem Verständnis von Heil als Beziehung. Das Heil Gottes ist nichts Dingliches, das Gott dem Menschen zukommen ließe, sondern dieses Heil ist er selbst in seiner liebenden Bezogenheit auf uns Menschen. Gottes Heil ist das Leben in der existenziellen Beziehung zu ihm. Beziehung besagt aber, dass zwei „Partner“ beteiligt sind: Gott und der Mensch. Der Zuspruch Gottes, schon immer in einer liebenden Beziehung zum Menschen zu stehen, wird erst dann zu einer heilvollen Beziehungswirklichkeit, wenn der Mensch sich für diese Beziehung im Glauben öffnet und in sie eintritt. Dabei ist freilich von der absoluten Priorität Gottes in diesem Geschehen auszugehen. Gott ist es, der dem Menschen sein Bezogen-Sein auf ihn zuspricht, und Gott ist es, der den Menschen im Glauben für diese Beziehung öffnet und ihn in sie eintreten lässt.

Auf dieser Basis könnten Kirchen, die ausschließlich Erwachsene taufen, ihre Taufe als Ritus der Heilsverwirklichung verstehen. Bei ungetauften Menschen wäre das die Taufe im vollen Sinne. Bei säuglingsgetauften Menschen wäre es ein Ritus, der den Prozess des Zum-Glauben-Kommens, dessen Anfang mit der Säuglingstaufe als zeichenhaftem Heilszuspruch markiert worden ist, zur Vollendung bringt. Es müsste ein Ritus sein, der den Aspekt der Heilsverwirklichung in der menschlichen Existenz zeichenhaft zum Ausdruck bringt. Und es müsste deutlich werden, dass dieser Ritus ein Taufritus ist – sozusagen der zweite Ritus, der den ersten der Säuglingstaufe vollendet.

Dieser Weg wäre nur gangbar, wenn die betreffenden Kirchen die Säuglingstaufe als Beginn des Heilsprozesses im menschlichen Leben anerkennen und sie nicht kategorisch als unbiblisch ablehnen. Das geht freilich ans „Eingemachte“, denn es würde bedeuten, sich auf einen Denkprozess einzulassen, der bislang gültige Überzeugungen, die teilweise identitätsbildenden Charakter haben, infrage stellt.

Die EKD-Kirchen stünden freilich vor einer nicht minder großen Herausforderung, denn sie müssten ein Ja zu einer gewissen Begrenzung der Säuglingstaufe finden. Sie müssten sich zu einem Verständnis der Säuglingstaufe durchringen, das diese lediglich als Heilszuspruch, nicht aber als Heilsverwirklichung, die ja an den Glauben gebunden ist, versteht. Auf dieser Basis müsste es möglich sein, einen Taufritus, der den Aspekt der Heilsverwirklichung zum Ausdruck bringt, als zeichenhafte Vollendung des mit der Säuglingstaufe eröffneten Prozesses des Zum-Glauben-Kommens zu verstehen und zu akzeptieren – und ihn nicht als unzulässige Wiedertaufe abzulehnen; was allerdings nur möglich wäre, wenn dieser Taufritus nicht den Charakter einer allumfassenden Taufe hätte.

Das müsste nicht zwangsläufig die Einführung eines zweiten Taufritus nach der Säuglingstaufe bedeuten, denn der in der Säuglingstaufe erfolgte Heilszuspruch drängt ja in seiner Eigenschaft als Gottes Wort wesenhaft auf die Heilsverwirklichung (im Glauben), sodass dieser Aspekt im Zuspruch impliziert ist und nicht zwingend einer sakramentalen Vergegenwärtigung bedarf. Für diejenigen, denen diese Art der Vergegenwärtigung aber für ihr Christsein wichtig ist, könnte ein entsprechender Tauf-Vollendungsritus angeboten werden (wie es ansatzweise in Tauferinnerungsfeiern ja bereits geschieht) beziehungsweise müsste dessen Vollzug durch andere Kirchen seitens der EKD anerkannt werden.

Mein Anliegen ist es, eingefahrene Gleise zu verlassen und neue Wege zumindest anzudenken. Wenn wir das nicht tun, werden wir in dieser Sache kaum entscheidend weiterkommen. Ich plädiere dafür, darüber nachzudenken, ob es neben Säuglingstaufe und Erwachsenentaufe eine dritte Form der Taufe geben könnte, die als Doppelritus den Anfang und das Ende des Initiationsprozesses markiert und vielleicht in der Lage wäre, bisher unüberwindbare Gräben zu überbrücken.

Roland Gebauer ist Rektor und Professor für Neues Testament an der Theologischen Hochschule Reutlingen. Er hielt diesen Vortrag im März 2019 beim Treffen der „Vereinigung Evangelischer Freikirchen“ (VEF) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

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