Die Dokumentation: Wunschliste für die Weltkirche

Der synodale Weg soll die katholische Kirche in Deutschland reformieren • von Martin Bräuer

Skepsis in Rom: Die erste Tagung des synodalen Wegs beginnt am 30. Januar. Foto: epd

Im Herbst 2018 veröffentlichten die deutschen katholischen Bischöfe eine von ihnen in Auftrag gegebene Studie zum Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Jeder 20. Kleriker sei ein Beschuldigter, rechneten die Forscher aus Mannheim, Heidelberg und Gießen vor. 3677 Kinder und Jugendliche wurden zwischen 1946 und 2014 Opfer. Mindestens.

Diese Ergebnisse erschütterten die katholische Kirche in ihren Grundfesten und verschärften den seit Jahren andauernden Vertrauensverlust, der sich auch deutlich in den Kirchenaustrittszahlen niederschlug. Den Bischöfen und auch den Laienvertretern wurde erneut klar, dass Reformen unumgänglich sind. Deshalb beschlossen die deutsche Bischofskonferenz (DBK) auf ihrer Vollversammlung im Frühjahr 2019 in Lingen und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) gemeinsam über systemische Ursachen des Missbrauchs nachzudenken und Reformen anzustoßen.

Die Idee der Bischöfe war es, frei von Denkverboten und ohne Vorbehalte über die Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal zu sprechen. Sexualmoral, Zölibat und der ganze Komplex Klerikalismus sollten ergebnisoffen auf den Konferenztisch kommen. So wollten die deutschen Bischöfe in Lingen maximale Reformbereitschaft demonstrieren. Einstimmig einigten sie sich auf einen „verbindlichen synodalen Weg“.

Wie dieser synodale Weg ausgestaltet und verbindlich gemacht werden kann, dürfte aber zu dem Zeitpunkt nicht mal denen klar gewesen sein, die ihn als Reaktion auf den öffentlichen Druck ersannen. Nur so viel stand fest: Noch eine folgenlose Gut-dass-wir-darüber-geredet-haben-Veranstaltung konnte sich die DBK nicht leisten, nachdem der „Gesprächsprozess“ versandet war, den Erzbischof Zollitsch als Reaktion auf die Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg im Jahr 2010 ausgerufen hatte. Dass es beim synodalen Weg Beschlüsse und Entscheidungen geben sollte, und zwar verbindliche, war die Voraussetzung für das ZdK gewesen, sich an dem Projekt zu beteiligen.

Bei der ZdK-Vollversammlung am 10. und 11. Mai in Mainz entschieden sich die Mitglieder dafür und stellten im gleichen Zuge klar, mit welchen Forderungen sie in die Gespräche gehen: „Frauen Zugang zu allen kirchlichen Ämtern zu gewähren“, „den Pflichtzölibat abzuschaffen“ sowie „in der kirchlichen Sexualmoral die vielfältigen Lebensformen und Lebenswirklichkeiten positiv anzuerkennen“. So einigten sich DBK und ZdK auf vier Synodalforen, welche die Themen Sexualmoral, priesterliche Lebensform, Macht und Gewaltenteilung sowie Frauen in der Kirche behandeln sollen.

Um einer Engführung auf Strukturfragen gegenzusteuern, hat Papst Franziskus einen 19-seitigen Brief „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ geschrieben. Darin lobt er das Engagement der deutschen Katholiken, mahnt aber auch die „Zentralität der Evangelisierung“ an, warnt vor einem Sonderweg der Kirche in Deutschland und mahnt zur Einheit mit der Weltkirche.

Der Brief wurde von den einen mit Erleichterung aufgenommen, von anderen als befremdlich empfunden, da Franziskus synodale Prozesse fördern und eine „heilsame Dezentralisierung“ der Kirche voranbringen will. In seiner ausladenden Diktion ist der Brief durchaus deutungsoffen, sodass es von kirchenpolitischen Präferenzen abhängt, wie man ihn liest. Das wurde an den Reaktionen der einzelnen Bischöfe deutlich.

Während Kardinal Marx gemeinsam mit dem ZdK-Vorsitzenden Sternberg den Brief als Ermutigung auffasste, gab es Stimmen, die ihn wesentlich kritischer sahen. Kardinal Woelki aus Köln interpretierte den Brief als Aufforderung für eine komplette Neuausrichtung des synodalen Wegs. Sein diesbezüglicher Vorschlag, den er gemeinsam mit dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer dem Ständigen Rat der Bischofskonferenz im August 2019 unterbreitete, fand unter den Bischöfen keine Mehrheit. Auf der Herbstvollversammlung der DBK wurden von Kardinal Woelki und dem Münsteraner Bischof Genn denn auch verschiedene Exegesen des Briefs vorgetragen.

Weniger Interpretationsspielraum ließ ein zweiter Brief aus Rom, der Anfang September publik wurde. Darin erinnert Kardinal Marc Ouellet, Präfekt der Bischofskongregation, seinen Amtsbruder Reinhard Marx ganz unverblümt daran, dass Reformthemen wie Zölibat oder Frauenordination nur universalkirchlich lösbar seien. Außerdem sei das Format des synodalen Wegs kirchenrechtlich problematisch, da es Laien dasselbe Stimmrecht wie den Bischöfen zuerkenne.

Im vatikanischen Gutachten wurde außerdem moniert, die Deutschen planten eine nationale Kirchenversammlung, ein „Plenar-“ oder „Partikularkonzil“, ohne sich an die kirchenrechtlichen Vorgaben halten zu wollen. Ein solches Konzil besäße tatsächlich Gesetzgebungsgewalt. Seine Beschlüsse dürften aber erst nach Überprüfung durch den Apostolischen Stuhl in Kraft treten. Die Botschaft aus Rom lautete: Ihr könnt verbindliche Entscheidungen treffen – aber nur über Dinge, für die ihr zuständig seid, und nur, wenn ihr euch an die Regeln haltet. Kardinal Marx hatte in einem Antwortschreiben dagegen eingewendet, der synodale Weg sei ein „Prozess sui generis“.

Der DBK-Vorsitzende war kurz vor der Herbstvollversammlung der Bischöfe in Fulda für eine Sitzung des Kardinalsrats nach Rom gereist und hatte dort auch mit Kardinal Ouellet und dem Papst über die deutschen Synodenpläne gesprochen. In Fulda sagte Marx dann: „Es gibt keine Stoppschilder aus Rom für den synodalen Weg, und wir werden daher weitergehen.“

Und so verabschiedeten die Bischöfe – nach teils heftigen Diskussionen mit Kritikern aus den eigenen Reihen, die vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki angeführt wurden – schließlich eine entsprechende Satzung. Darin heißt es, dass diese Satzung „einen synodalen Weg eigener Art“ beschreibe.

Über das Prozedere der Beschlussfassung heißt es: „Die Synodalversammlung des synodalen Wegs fasst zur abschließenden Feststellung der Beratungsergebnisse Beschlüsse.“ Was die Verbindlichkeit angeht, findet man folgenden Satz: „Beschlüsse der Synodalversammlung entfalten von sich aus keine Rechtswirkung.“

Die Beschlüsse sollen nun „dem Apostolischen Stuhl als Votum des synodalen Wegs übermittelt“ werden – und sind damit eine deutsche Wunschliste für die Weltkirche, aber keine verbindlichen Beschlüsse. Damit hat man einen Kritikpunkt des römischen Gutachtens aufgenommen, welches bemängelt hatte, dass in Sachen Beschlussfassung nicht, wie im Kirchenrecht, zwischen einem „entscheidenden Stimmrecht“, das nur den Bischöfen zukomme, und einem „beratenden Stimmrecht“ der übrigen Teilnehmer differenziert werde.

Darauf reagiert die veränderte Satzung so, dass keine Entscheidungen mehr vorgesehen sind, sondern nur Feststellungen der Beratungsergebnisse und Voten. Während man also in Sachen Verbindlichkeit mindestens große Abstriche gemacht hat, wird an den vier geplanten Synodalforen festgehalten.

Kardinal Woelki und der Regensburger Bischof Voderholzer waren bei ihren Mitbischöfen mit einem Alternativentwurf gescheitert, der vorgesehen hatte, die „heißen Eisen“ komplett auszusparen und sich stattdessen ganz auf Neuevangelisierung und Pastoral zu konzentrieren. Der Vorschlag des Hildesheimer Bischofs Heiner Wilmer, die Anliegen der Kritiker aufzunehmen und das Thema Neuevangelisierung jedenfalls auch zu berücksichtigen, wurde ebenfalls nicht aufgegriffen.

Am ersten Adventssonntag 2019 wurde der synodale Weg offiziell gestartet, die erste „Synodalversammlung“ ist vom 30. Januar bis zum 1. Februar 2020 im Frankfurter Dom vorgesehen. Von den voraussichtlich 215 Mitgliedern werden sicher 98 Priester oder Bischöfe sein. Mit den zehn Ordensvertretern und den vier Diakonen ergibt dies 112 Personen. Damit bilden die Kleriker und Ordensleute die Mehrheit.

Der Vorzug synodaler Beratung besteht darin, dass Gläubige, Theologen und Bischöfe in einen produktiven Austausch eintreten. Ein solcher Austausch, wenn er freimütig geführt wird, ist konfliktträchtig, hebt sich aber ab von einer Einbahnstraßen-Kommunikation, in der von oben vorgegeben wird, was Gläubige gehorsam befolgen sollen. Dagegen sind Diskussionsverbote und Sanktionen Disziplinierungsinstrumente, welche die Glaubwürdigkeit einer Kirche nicht erhöhen. Wenn demgegenüber in einem synodalen Prozess alle Akteure das berechtigte Anliegen der jeweils anderen Seite hören und wohlwollend prüfen, dann könnten aus kognitiven Dissonanzen und verhärteten Fronten möglicherweise überraschende Lösungen entstehen.

Man kann nur hoffen, dass sich für den synodalen Weg in dieser Hinsicht gangbare Wege auftun. Sonst wäre zu befürchten, dass diesen dasselbe Schicksal ereilen könnte wie den Gesprächsprozess vor neun Jahren.

Martin Bräuer ist Referent für Catholica am Konfessionskundlichen Institut Bensheim. Der vollständige Text erschien im Materialdienst 6/2019.

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