Die Dokumentation: Keine Hierarchie in der Kirche

Hohe Beteiligung bei Kirchenwahl legitimiert presbyterial-synodales System • von Christian Schad

Macht Mut zur Kandidatur bei den Presbyteriumswahlen: Kirchenpräsident Christian Schad beim Neujahrsempfang im Landeskirchenrat in Speyer. Foto: Landry

Was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei …“ Vor genau 500 Jahren hat Martin Luther die Konzeption des „Priestertums aller Glaubenden und Getauften“ entfaltet. In der Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation. Von des christlichen Standes Besserung“ führt er bereits 1520 aus, was wir heute als presbyterial-synodal aufgebaute Kirche mit Leben füllen.

Luther schreibt: „Man hat’s erfunden, dass Papst, Bischof, Priester, Klostervolk wird der geistliche Stand genannt, welches gar eine feine lügnerische Erfindung und Trug ist, doch soll niemand darüber schüchtern werden, und das aus diesem Grund: Denn alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und es gibt unter ihnen keinen Unterschied … Das kommt daher …, dass wir eine Taufe, ein Evangelium, einen Glauben haben, und auf gleiche Weise Christen sind, denn Taufe, Evangelium und Glauben, die machen allein geistlich und Christenvolk … Demnach … werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht.“ Luther begründet das Priestertum aller Glaubenden mit dem Hinweis auf 1. Petrus 2, Vers 9. Dort heißt es: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht“ (1. Petrus 2, 9).

Nur die Taufe begründet Leitungsfunktion

Also nicht Weiheamt oder Ordination begründen die Leitungsfunktionen in der Kirche, sondern einzig: das Sakrament der Taufe. Jede und jeder Getaufte hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich – je an seinem Ort – als Christenmensch einzubringen in die Kommunikation des Evangeliums.

Wenn, wie Martin Luther sagt, „der wahre Schatz der Kirche das heilige Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes ist“, dann sind die vielen, die sich Tag für Tag in unserer Kirche engagieren, der menschliche Schatz. Denn sie vermitteln das Evangelium in Wort und Tat. Sie sind Menschen der Hoffnung, Menschen der Treue, Menschen, die von der Frohen Botschaft erzählen; die mit anpacken und Verantwortung übernehmen und sich den Herausforderungen der Zukunft stellen. Denn, so hat es Luther formuliert: „Alle Christen sind doch wahrhaftig geistlichen Standes, und es besteht kein Unterschied zwischen ihnen, außer des Amts wegen.“

Das sogenannte „allgemeine Priestertum“ beinhaltet, dass jeder für andere beten und die Beichte abnehmen, dass er unter bestimmten Voraussetzungen auch das Wort Gottes weitersagen und Verkündiger berufen darf. Eine spezielle Ausprägung ist die Fähigkeit und Pflicht zur Unterscheidung rechter und falscher Lehre. Besonders eine Schrift Luthers ist dafür grundlegend. Sie lautet: „Dass eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen“ (1523).

Die Getauften, sie haben also das Recht, die christliche Lehre zu prüfen. Was nicht bedeutet, dass jede und jeder für das Amt des Lehrers oder Predigers berufen ist. „Denn: Was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt“, so fährt Luther fort, „ein solches Amt auszuüben.“ Weiter schreibt er: Wenn jemand an einem Ort ist, wo Christen sind, „die mit ihm gleiche Macht und Recht haben, soll er sich nicht selbst hervortun, sondern sich berufen und hervorziehen lassen, dass er anstatt und auf Befehl der andern predige und lehre.“

Darum ist es gut, die Begabten und dazu Ausgebildeten freizustellen und für diesen Dienst in besonderer Weise zu beauftragen. Weil die Gemeinde Lehrer und Prediger benötigt, muss sie „diejenigen, die man dafür geeignet findet und die Gott mit Verstand erleuchtet und mit Gaben dazu geziert hat, selbst unter uns berufen und setzen“, so der Wittenberger Reformator. Mit anderen Worten: Man soll als Inhaber eines geistlichen Amts sein Handwerkszeug gelernt haben und beherrschen. Es geht um den Anspruch auf Professionalität und theologische Kompetenz.

Eine Hierarchie innerhalb der Kirche ist damit allerdings nicht verbunden. Mit der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 ausgedrückt: „Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.“

Der andere große Reformator, Johannes Calvin, hat sich in seiner Gemeindeordnung von 1540 besonders der Frage der kirchlichen Ämter und ihres Zusammenwirkens gewidmet. Hier favorisiert er das vierfache Amt, nämlich: Pastoren, Lehrer, Älteste und Diakone. Später, in seinem „Unterricht in der christlichen Religion“ von 1559, reduziert er die Zahl auf drei, indem er Pastoren und Lehrer zusammenfasst. Wort und Sakrament, Lehre und Leitung sowie die Fürsorge für die Armen: Diese Funktionen können nach Calvin nicht von einer Person, nicht auf ein Amt fixiert, erfüllt werden; sondern immer ist es ein Ensemble, ein Kollegium, das die Kirche leitet.

Die Presbyter sollen unterschiedliche Gaben repräsentieren. Denn, so argumentiert Calvin, „wie die verschiedenen Töne in der Musik eine eigene Melodie ergeben“, so kommt es auch in der Leitung der Gemeinde auf das Zusammenklingen der verschiedenen Personen und der unterschiedlichen Dienste an. Man begleitet einander, bewahrt vor manchen Irrtümern, hält aneinander fest, wenn Haltlosigkeit droht, bleibt einander guten Rat nicht schuldig. Diese Grundentscheidung hat sich sowohl innerkirchlich als auch politisch demokratiefördernd ausgewirkt: politisch in der Herausbildung der repräsentativen Demokratie und der Gewaltenteilung; innerkirchlich in der presbyterial-synodalen Leitungsstruktur.

In besonderer Weise wird diese in unserer pfälzischen Kirchenverfassung deutlich. Hier tragen Presbyterinnen und Presbyter sowie Pfarrerinnen und Pfarrer gemeinsam Verantwortung: Zusammen leiten sie die Gemeinde: kollegial, partnerschaftlich, geschwisterlich. Im Paragrafen 13 unserer Kirchen-Verfassung heißt es: „Presbyterinnen, Presbyter, Pfarrerinnen und Pfarrer (Presbyterium) leiten zusammen die Kirchengemeinde. Sie tragen deshalb gemeinsam Verantwortung für die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Sakrament, für die Seelsorge, die christliche Unterweisung, die Diakonie und Mission sowie für die Einhaltung der kirchlichen Ordnung.“

Etwas mehr als 4000 Frauen und Männer aus den rund 400 Kirchengemeinden in der pfälzischen Landeskirche bringen ihre Begabungen ein und bauen so Kirche von unten: ganz, wie es unsere presbyterial-synodale Ordnung vorsieht. Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft setzen sich öffentlich für die Institution Kirche ein, bekennen sich zu ihrem Glauben und zeigen damit, dass Religion keine Privatsache ist. Das bekannte Gesicht am vertrauten Ort: Es ist der unmittelbare, persönliche Kontakt zu den Menschen, die unsere evangelische Kirche repräsentieren, der die Bindung an sie am nachhaltigsten stärkt.

Kandidatenfindung durch persönliches Gespräch

Dabei will ich nicht verschweigen, dass es in manchen Gemeinden schwer werden wird, Kandidatinnen und Kandidaten für die Mitarbeit in den Presbyterien zu gewinnen. Das mag im Einzelfall auf die örtlichen Gegebenheiten zurückzuführen sein, aber natürlich spielt dabei auch die Veränderung der Arbeits- und Freizeitwelt eine Rolle.

So kommt es bei der Kandidatenfindung ebenfalls auf das persönliche Gespräch, auf die Ansprache, an. Das gelingt dort am besten, wo Presbyterien auch auf Menschen zugehen, die der Kirche vermeintlich distanziert gegenüberstehen oder ihre Angebote nur von Fall zu Fall in Anspruch nehmen. Gerade Menschen mit dem Blick von „außen“ können Impulse geben, die möglicherweise bisher fehlen. Und umgekehrt erfahren diese, dass die Kirchenmauern nicht so unüberwindbar sind, wie es manchen erscheint.

Gleichzeitig hoffe ich, dass wir die hohe Wahlbeteiligung der vergangenen Wahlen auch in diesem Jahr wieder erreichen; ist dies doch Ausdruck der Stärke und zugleich der Legitimation unseres presbyterial-synodalen Systems.

Christian Schad ist seit 2009 Pfälzer Kirchenpräsident. Die Rede hielt er am 14. Januar beim Neujahrsempfang im Landeskirchenrat.

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